Wissen Sie, was amüsant ist? Damals, als ich mir mit Sechzehn mehr durch Zufall meinen ersten Mantel aus den 60er Jahren kaufte und mich für ein passendes Styling dazu entschied, riefen mir auf der Straße immer wieder Menschen „Marilyn Monroe“ hinterher. Sie war scheinbar das Einzige, was sie mit dieser Art von Äußerem verbanden. Dass sie ihre Haare weißblond trug und ich zu meiner braunen Naturhaarfarbe stand, tat offenbar nichts zu Sache.
Sechzehn Jahre später werde ich, wenn es nur irgendwie die Situation erlaubt, gefragt, ob ich eigentlich ein Mann bin oder früher einmal einer war. Es mag sein, dass ich mir das nur einbilde, aber ich finde, das erzählt schon etwas über die aktuelle Stimmung in unserer Gesellschaft.
Die Beurteilung des Äußeren begleitet, wie der Sexismus, Frauen schon ab ihrer frühen Kindheit. Und das sogar, wenn man sehr behütet und fernab der Modeindustrie aufwächst, wie ich es tat. Ich möchte nicht abstreiten, dass Jungs nicht auch einmal auf die seltsamen Blüten, die die Pubertät styletechnisch so treiben kann, angesprochen werden, dennoch wird sich um die Mädchen immer deutlich mehr Sorgen gemacht. Und das Ungleichgewicht bleibt. Ich vermute, bis zum Ende des Erwerbslebens.
Dennoch empfand ich den Kommentar von Barbara Kuchler (DIE ZEIT), der kürzlich im Zuge der #metoo-Debatte erschien, mehr als fragwürdig. Kurz zusammengefasst fordert sie darin die Frauen auf, sich quasi dem Mann modisch anzupassen, körperunbetonte Kleidung zu tragen und die Energie nicht für Äußerlichkeiten, sondern für Karriere und Bildung zu nutzen. Und auch, um dem Sexismus zu entkommen – ohne Reiz, keine (Grapsch-)Reaktion – so ihre Meinung.
„Der uniformierte Mann als Sinnbild für Vernunft und Leistungsfähigkeit ist ebenso ein hohles Klischee wie das der Frau, deren Geisteskräfte sich im Auflegen von Lippenstift bereits erschöpfen.“
Interessant doch, dass sich die Inszenierung von Weiblichkeit heutzutage gewissermaßen immer verdächtig macht. In welcher Art auch immer, sicher ist: Wer als Frau Gehör finden möchte, muss die Weiblichkeit aufgeben. Angela Merkel ist hier ein Beispiel, das sich aufdrängt. Sie repräsentiert einen Staat, aber als Frau ist sie unkenntlich.
Der Geistesmensch ist in unserer Gesellschaft männlich codiert. Der Mann unterstreicht mit Beginn der 20. Jahrhunderts, dass er auf Äußerlichkeit keinen Wert legt und Wichtigeres zu tun hat. Während die Frau quasi bis heute als die ewig Rückständige gilt, die nichts weiter im Kopf hat als ihr Äußeres reizvoll zu verpacken und sich darzubieten. Weiblichkeit, so stellt Modetheoretikerin Barbara Vinken fest, steht immer im Verdacht von Dummheit und Frivolität.
Einen derartigen Ansatz zur Verkollektivierung der Geschlechter mittels Kleidung halte ich eher für eine sinnlose Anpassung an die patriarchale Welt. Und die Männer in Anzügen haben der Erde nun auch nicht besonders gut getan, oder? Der uniformierte Mann als Sinnbild für Vernunft und Leistungsfähigkeit ist ebenso ein hohles Klischee wie das der Frau, deren Geisteskräfte sich im Auflegen von Lippenstift bereits erschöpfen.
Lookism, also die Diskriminierung auf Grund des Aussehens, ist mir schon seit Beginn meiner beruflichen Laufbahn regelmäßig widerfahren. Ich habe mich aber nie gefragt, was falsch an mir ist, sondern was eigentlich falsch in dieser Gesellschaft läuft, dass der Kleidungsstil derartig über die Beurteilung der Kompetenz entscheidet. Und da ist so einiges im Argen. Wir sollten den Mann aus seinem Uniformzwang befreien und ihn sich mit seiner neuen „Nacktheit“ beschäftigen lassen. Er hat sich schon viel zu lange verstecken können und geglaubt, er kann es sich leisten, auf Charme und Eleganz zu verzichten. In der Zwischenzeit gilt wohl weiterhin: Sie sollten Weiblichkeit als ein Akt der Rebellion betrachten und sich nichts anderes einreden lassen.
Ich denke, das, was wir selten sehen, erregt mehr Aufmerksamkeit. Bei vielen indigenen Völkern ist Nacktheit normal, keinen kümmert es, ob nackte Körperteile zu sehen sind. Es ist, wie es ist.
Angewendet auf diese unsere Welt macht es Sinn, wenn viel mehr Frauen sich einfach ihre Weiblichkeit zur Schau stellen trauen. Sich viel mehr Frauen zu-trauen, ihren Stil zu tragen. Damit die BetrachtER endlich gesättigt wären und dann ein für alle Mal Schluss ist mit dem Zwang.
Ha, so einfach ist das nicht. Denn wie bei einer Zwiebel kommt unter einer Schicht die nächste zu Tage:
Lassen wir die Frauen tragen, was sie möchten.
Wozu brauchen wir aber überhaupt diesen Dresscode? Wieso zählen in unserer Gesellschaft Leistung und Aussehen mehr als innere Werte? Warum denken wir, uns hinter all dem verstecken zu müssen? Was wäre, wenn wir uns alle wirklich „nackt“ im Sinne von authentisch – so wie wir sind, mal verletzlich, mal stark, mal irrsinnig, mal erst … zeigen würden? Würde es dann mehr wahrhaftige Begegnungen geben? Könnten wir dann leichter von den Erfahrungen anderer lernen? Wüchse die Gemeinschaft der Menschen dann in Liebe zusammen? Gäbe es keine Kriege mehr, dafür mehr zärtliche Umarmungen? Fühlten wir uns dann tatsächlich verbunden mit allem? Auch oder besonders mit der Natur? … Wo ist der Kern, wo das Ende?
Im Grunde ist es einfach. Jeder beginnt bei sich. Aber idealer Weise alle in der gleichen Epoche. ;-D