„Unternehmen tun alles, bis der potenzielle Kunde ein tatsächlicher Kunde geworden ist. Bestandskunden sind dann allerdings Kunden zweiter Klasse.“
Kennen Sie das? Sie sprechen mit dem Kundenservice und fragen höflich: „Darf ich noch um ihren Namen bitten?“ Daraufhin kommt ein kurz gehaltenes „Ich muss meinen Namen nicht nennen“ zurück. Eine andere Variante desselben Spiels: Sie bekommen eine Mail. Ihr Dienstleister informiert Sie über gravierende Änderungen, die auch ihr Produkt betreffen. Sie wollen noch etwas dazu wissen, klicken auf Antworten, aber es geht nicht. No-Reply-Mails nennt man diese Unart und sie greift um sich. Ist das Kundenservice? Fühlen Sie sich heute noch oft als König oder Königin Kunde. Nein? Sollten Sie auch nicht.
„Es gibt keinen Anspruch darauf, bestmöglich betreut zu werden“, sagt Barbara Bauer, Rechtsexpertin beim Verein für Konsumenteninformation (VKI). Und im Prinzip ist das auch schon die Antwort auf die Frage, wie das denn heute oft so ist mit den Unternehmen und ihren Kunden. Warum deren Kundenservice immer schlechter und anonymer wird, weiß sie auch: „Jeder Schritt, der sich automatisieren lässt, kostet kein Personal“, sagt sie. Maria Kubitschek, Leiterin des Bereiches Wirtschaft in der AK Wien sieht das ähnlich: „Ein guter Kundenservice heißt, ich muss in Leute investieren und Unternehmen wollen in der Regel das Gegenteil, nämlich Personalkosten einsparen.“ Lagere man das Kundenservice zu einem Callcenter aus, müsse man keine Leute anstellen, habe Sach- statt Personalkosten und mehr Flexibilität. Dafür werden dort dann nur noch Standardfragen beantwortet, kein Wert auf Qualität gelegt und im Fall des Falles einfach auf andere Optionen verwiesen.
Doch, ist das nicht viel zu kurz gedacht? Ganz sicher, sagt Management-Vordenkerin und Keynote-Speakerin Anne Schüller. Für sie ist das Dilemma allerdings ein uraltes Problem: „Unternehmen tun alles, bis der potenzielle Kunde ein tatsächlicher Kunde geworden ist. Bestandskunden sind dann allerdings Kunden zweiter Klasse.“
Jäger-Mentalität
Dann wirft Schüller den Begriff Jägermentalität ins Rennen. „Der Mann jagt die Frau, bis er sie hat und tut alles, um sie zu gewinnen. Danach ist Alltag. So ähnlich ist das in einer Kundenbeziehung auch.“ Klingt logisch, macht in dem Fall aber überhaupt keinen Sinn. Denn wir leben nicht mehr in einer Zeit ohne Internet, als es noch keine Meinungen Dritter gab, keine Erfahrungsberichte, Sternchen oder Bewertungen, und es sich die Unternehmen bequem machen konnten.
„Im Web wird man minütlich zur Untreue verführt“, so Schüller. „Bin ich erst Bestandskunde, fängt sofort wieder eine Customer Journey an.“ Wie das? Man recherchiert, ob man wirklich den besten Anbieter erwischt hat, welche Erfahrungen es gibt, was Preisvergleichsportale sagen. „Gibt es ein besseres Angebot, bin ich auch schon wieder weg“, erklärt Schüller. Und die Unternehmen? Merken häufig gar nicht, dass Kunden abspringen und hinterfragen ihr Verhalten deshalb auch nicht. Gibt es keine entsprechende Software, die auswirft, dass ein Stammkunde schon monatelang nichts mehr kauft, geht das an Firmen einfach vorbei. „Dann machen sie es sich weiter bequem, arbeiten an ihrer Effizienz und halten daran fest, dass die Kunden sich gefälligst in ihre Abläufe fügen sollen“, so Schüller. „Instrumente wie etwa No Reply-Mails sind ja auch superpraktisch. Man muss sich nicht darum kümmern und hat keine lästigen Kunden, die weiter rumquengeln und nicht klein beigeben.“
Die EU greift ein
Die EU sagt nein und setzt dem künftig die Omnibusrichtlinie entgegen. „Dort ist unter anderem festgehalten, dass der Unternehmer sicherstellen muss, dass ein Kommunikationsmittel, das er zur Verfügung stellt, effizient ist“, so Bauer. Wie das bei den indischen Callcentern gehen soll, bleibt abzuwarten. Verweigert ein Kundendienst-Mitarbeiter es, seinen Namen preiszugeben, sind seine Aussagen rechtlich dem Unternehmer zuordenbar, ist die Richtlinie einmal in Kraft. Würde ein Problem aber vor Gericht landen, wäre man beweispflichtig.
Dass Konsumenten Antworten auf Beschwerden von großen Unternehmen erhalten und nicht ersichtlich ist, ob der Unternehmen oder ein ausgelagertes Callcenter der Absender ist – auch das wird es künftig nicht mehr geben. Name und Anschrift muss preisgegeben werden. Gute Chancen hat man als Kunde auch, wenn sich aus dem Wesen eines abgeschlossenen Vertrags ergibt, dass ein dauernd bereitgestelltes Service zur Betreuung im Hinblick auf Störfälle vorhanden sein muss. Das ist beispielsweise bei Telekommunikationsunternehmen der Fall. Wenn nur ein Mitarbeiter das Problem effizient beheben könnte, es dort aber keinen menschlichen Support mehr gibt, hat man einen Anspruch auf Entgeltminderung.
Kanal Mensch wieder öffnen
Management-Vordenkerin Schüller ist sicher, das Problem mit dem schlechten Kundenservice wird sich von selbst erledigen. Schon heute, sagt sie, seien die Kunden immer weniger bereit, den zu ertragen. „Jedes kundenunfreundliche Verhalten ist ein Einfallstor für Disruptoren. Junge Unternehmen, die diese Schwachstellen nutzen und dieselbe Dienstleistung, dasselbe Produkt als Startup mit besserem Service anbieten.“ Mal ganz abgesehen von den Influencern, die immer öfter ihr ganzes Netzwerk mitziehen würden, wenn sie von einer schlechten Serviceerfahrung berichten und so richtige Wellen an Kundenverlusten auslösten.
Was ein Unternehmen, das aus Kundensicht betrachtet künftig am Markt bestehen will, ihrer Meinung nach können muss? Automatisierte Prozesse vereinfachen und wieder kompetente Menschen an die richtigen Stellen setzen. Für Schüller ist das der Knackpunkt überhaupt: „Will ich als Kunde mit einem Menschen sprechen, muss ich die Möglichkeit dazu haben. Und der Mensch muss besser sein, als jeder Automatisierungsprozess, jeder Bot und jeder Textbaustein.“