„Wenn alle nackert und zufrieden herumlaufen, wäre kein Wachstum notwendig“, scherzt Christoph Schneider, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik in der WKO. Was hinter dieser Aussage steckt: Die Bedürfnisse des Menschen bleiben nicht stehen und entwickelten sich ständig weiter. Nicht nur der Drang nach immer mehr Gütern und Dienstleistungen, sondern auch die Sehnsucht nach Neuem treiben das Wachstum an. Dazu kommt der Wunsch nach Wahlmöglichkeiten im Leben. „Wir essen zwar im Wirtshaus fast immer nur Schnitzel, aber wollen trotzdem auch Schafskäsebällchen im Speckmantel auf der Speisekarte haben“, veranschaulicht es Schneider.
So lange es also wachsende Ansprüche puncto Wohlstand gibt, so lange ist Wachstum notwendig. Beispiel dafür sind höhere Löhne, leistungsfähigere Smartphones und noch mehr Speckschichten über dem Schafskäse.
Gutes Leben für alle?
Globalisierung oder Abschottung? Freier Handel ja oder nein? Beim Kongress „Gutes Leben für alle“ diskutierten rund 140 internationale ExpertInnen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Interessensvertretungen, Politik und Wirtschaft mit rund 1.000 KongressteilnehmerInnen.
„Es geht darum, Globalisierung zu erden und mit emanzipatorischer wirtschaftlicher Regionalisierung Handlungsspielräume ‚von unten‘ zurückzugewinnen. Dabei brauchen wir aber beides: Eigenständigkeit und Weltoffenheit – einen heimatverbundenen Kosmopolitismus“, sagte Andreas Novy, Leiter des Instituts Multi-Level Governance and Development an der WU.
Neben neuen Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung würde es aber auch eine Auseinandersetzung mit den durch sie hervorgebrachten Gefahren benötigen: „Echter Fortschritt verlangt es auch nein zu sagen zu einer Entwicklung, die vor allem globale Ungleichheit und ökologische Probleme mit sich bringt“, so Professor Jean Marc Fontan von der Universität Montreal.
Wachstum im Blut
Doch was ist Wirtschaftswachstum eigentlich? In Zahlen ist es die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts. Vereinfacht ausgedrückt ist es die Summe aller Löhne in einem Land. Je höhere Löhne Unternehmen ihren Angestellten zahlen, desto „besser“ geht es ihnen. Denn je mehr man verdient, desto öfter geht man ins Wirtshaus essen. Das steigert wiederum den Umsatz der Unternehmen. Die Gäste bestellen sogar öfters die teuren Schafskäsebällchen.
Der Puls des Kapitalismus
Wachstum ist also das Blut in den Adern des Kapitalismus. Ohne Wachstum würde unser System in die Knie gehen, denn Unternehmen stehen in ständigem Wettbewerb zueinander. Sie können nur bestehen, wenn sie größer und besser werden. „Macht eine Firma jedes Jahr den gleichen Umsatz, kann es seinen Angestellten keine Lohnerhöhungen bieten. Daher waren Kollektivvertrags-Erhöhungen während der Wirtschaftskrise, in der es in manchen Branchen kein Wachstum gegeben hat, verantwortungslos“, mahnt Schneider rückblickend. Kurzfristig wurden die höheren Lohnausgaben mit Einsparungen bei Forschung und Entwicklung kompensiert. Auf lange Sicht ein gefährliches Unterfangen, denn es leiden Innovationen darunter. Der Traum von der zweiten Speckschicht um den Käse rückt in weite Ferne, denn die Produktivität steigt nicht. Der Wirt investiert in keine Speckwickelmaschine, damit seine Köche in kürzerer Zeit mehr Schafskäse für mehr Gäste einwickeln könnten. Zwischenfazit: Wollen wir mehr verdienen und uns damit mehr Wohlstand gönnen, müssen die Umsätze der Unternehmen wachsen.
Vom Speck zu mageren Pensionen
Damit sich die Pensionisten das immer teurere Schnitzel leisten können, müssen ihre Pensionen steigen. Zudem gesellen sich immer mehr Pensionsbezieher dazu, Stichwort älter werdende Gesellschaft. Ohne Wirtschaftswachstum reichen Pensionen bald nur mehr für eine Frittatensuppe. „Ohne Wirtschaftswachstum würden die Sozialleistungen in einer Volkswirtschaft nicht steigen“, gibt Schneider zu bedenken. Zwar kann der Staat zuschießen (was er derzeit bei den Pensionen schon zu rund einem Drittel tut), aber nicht unendlich.
Das Null-Wachstums-Szenario
Österreichs Wirtschaft wird Prognosen zu Folge heuer um 1,5 Prozent wachsen, genau so viel wie vergangenes Jahr. Kein Grund zur Euphorie, aber auch keiner zur Trauer, denn 2013 wuchs das BIP fast gar nicht. Angenommen, es wäre bei null stehen geblieben, wie lange würde unser System einigermaßen stabil bleiben? „Maximal eine Legislaturperiode der Regierung, das entspricht einem Konjunkturzyklus“, schätzt Schneider vage.
Und dann geht es nach etwa fünf Jahren der Stagnation rasch bergab. Sofort greift die Angst unter den Arbeitnehmern um sich, den Job zu verlieren. Die Folgen: Die Menschen konsumieren weniger und sparen mehr. Der Besuch im Gasthaus wird zur Seltenheit. Weniger Konsum trifft den sehr personalintensiven Dienstleistungssektor am meisten, der knapp drei Viertel des BIPs ausmacht. Das wirkt wie ein Turbo im Teufelskreis, der zu noch höherer Arbeitslosigkeit führt.
Das war die Geschichte vom Kapitalismus. Aber es geht theoretisch auch anders.
Keine Stopptaste in Sicht
„Derzeit auf Stopp drücken, geht nicht, weil unser System auf Innovation und Wachstum ausgelegt ist“, ist sich auch Julianna Fehlinger, Aktivistin und ehemaliger Vorstand der globalisierungskritischen NGO „Attac“, bewusst. Diese international agierende Organisation setzt sich unter anderem für mehr soziale Gerechtigkeit ein und ist kein Verfechter des maximalen Wachstums. Doch den Null-Wachstum-Modus kann nicht ein Einzelner beginnen, sondern muss sich gleichzeitig durch alle Bereiche ziehen: Private, Unternehmen, Staat. Auch eine einzelne Volkswirtschaft kann sich nicht dem Wachstum entziehen, denn durch die Globalisierung ist der Wettbewerb international. Auf Wachstum zu verzichten, müsste also die ganze Welt an einem Strang ziehen. Utopie? Ja!
Doch so radikal ist die Ideologie der Postwachstumsökonomie gar nicht. Sie bezeichnet eine Wirtschaft ohne BIP-Wachstum, aber ohne Verzicht auf Wohlstand. Die Stärkung lokaler und regionaler Selbstversorgung und Reduktion von globalisierter Industrie sind die Zutaten für dieses Rezept.
Paradebeispiel für die regionale Selbstversorgung ist die Landwirtschaft. Aktivistin Fehlinger hat als Selbstversuch zwei Jahre auf einem Bauernhof gelebt, um Ernährungssouveränität am eigenen Leib zu erfahren. Dort hat die am Hof lebende Gemeinschaft das Modell der solidarischen Ökonomie angewandt: gemeinsame Kasse, jede Arbeit ist gleich viel Wert – egal ob draußen am Feld oder daheim in der Küche. Ihr Resümee: „Landwirtschaft ist attraktiv, obwohl es viel Arbeit dahinter steckt. Würden mehr Menschen Höfe bewirtschaften, wäre weniger Argarindustrie notwendig“. Wachstum in der Agrarindustrie bedeutet nämlich soziale und ökologische Ausbeutung, denn es zerstört die kleinstrukturierte Landwirtschaft. Der hohe Preisdruck macht kleine Höfe nur schwer rentabel.
Aber die Welt besteht nicht nur aus Bauernhöfen. „Man muss sich in allen Bereichen aus dem kapitalistischen Marktmodell herausdenken“, meint Fehlinger. Ein Beispiel sind „selbstverwaltete Betriebe“. Diese Unternehmen ohne Chef stehen im Besitz der Arbeiter, die sie demokratische führen. Das heißt, die Arbeiter müssen nicht die Löhne des Managements erwirtschaften, sondern nur ihre eigenen. Zum Tragen kam dieses Modell unter anderem nach der Staatspleite Argentiniens rund um den Jahrtausendwechsel. Allerdings mit mäßigem Erfolg, denn es lässt sich in der Praxis nicht auf alle Unternehmen anwenden. Doch spinnen wir die Idee der selbstverwalteten Betriebe einmal weiter.
Solidarische Ökonomie
Sie stehen unter dem Dach der „solidarischen Ökonomie“. Dabei handelt es sich um einen sehr weit gefassten Begriff, der unter anderem ein sozial gerechtes und ökologisches Denken ohne Überschussproduktion beinhaltet. „Soziale Ökonomie ist das Ziel in einem System ohne Wachstum, weil Marktökonomie schafft Ungleichheit“, so Fehlinger. Beispiel: Trotz BIP-Wachstum ist das statistische Realeinkommen in Österreich in den letzten Jahren nicht gestiegen. „Der Ottonormalverbraucher hat vom Wachstum nichts“, kritisiert Fehlinger. Grund dafür ist unter anderem die steigende Zahl an Teilzeitjobs.
In der solidarischen Ökonomie ist Wachstum zwar nicht das Leitmotiv, aber durchaus möglich. Die Bedürfnisse des Menschen müssen sich jedoch verschieben. Statt eines schnellen Autos ist es dann das Bedürfnis nach Mobilität. Weg vom Materiellen, hin zum Verlangen nach mehr Bildung, Kultur und politischer Mitbestimmung.
Derzeit befinden wir uns in einem Teufelskreis. „Unternehmen meinen, sie orientieren sich an den Bedürfnissen der Menschen, dabei generieren sie diese durch Werbung selbst“, betont Fehlinger. Anders agieren Unternehmen in der Idee der solidarischen Ökonomie. Existierende Beispiele sind Bauernhöfe, die solidarische Landwirtschaft umsetzen. Über erworbene Anteile stellt man dem Bauern die Vorfinanzierung der landwirtschaftlichen Produktion und garantiert gleichzeitig die Abnahme. Dadurch entfallen Überschüsse. Gleichzeitig tragen die Anteilseigner die Risiken mit, wenn etwa Hagel die Fisolenernte zerstört.
Grünes Wachstum durch Reparieren
Der Wachstumskritiker, WU-Professor und Obmann der „Grünen Bildungswerkstatt“, Andreas Novy, hat eine klare These: „Wachstum führt zur Ausbeutung von Menschen und Natur.“ Er fordert eines grünes, nachhaltiges Wachstum und eine „Zivilisation des guten Lebens“. Dabei stehen regionale Produktions- und Konsumstrukturen, kürzere Arbeitszeiten sowie eine ressourcensparende Reparatur-Ökomomie im Vordergrund. Oberstes Gebot ist dabei die Bescheidenheit der Menschen anstelle von Gier.
Durch die Digitalisierung und Automatisierung wäre laut Novy eine massive Arbeitszeitverkürzung möglich. Damit bleibt mehr Zeit für Tätigkeiten im sozialen Bereich, etwa Altenpflege sowie für die Reparatur von Geräten. „Uns geht ja nicht die Arbeit aus“, fügt er hinzu. Auch wenn das BIP nicht wächst, heißt das noch lange nicht, dass es keine steigenden Löhne gibt. Ganz im Gegenteil. „Eine Waschmaschine zu reparieren kostet Geld, was wiederum an die darauf spezialisierten Handwerksbetriebe fließt“, veranschaulicht es der Ökonom. Gleichzeitig muss für die reparierte Maschine keine Neue produziert werden. Das Produktionsvolumen von Unternehmen würde demnach sinken. „Die Einen wachsen, während die Anderen schrumpfen“, bringt es Novy auf den Punkt.
Grünes Wachstum bedeutet Innovationen und Weiterentwicklung ohne Ausbeutung. Novy dazu: „Technologie steigert die Effizienz der Ressourcen-Nutzung, zum Beispiel wenn Abwärme aus Industriebetrieben zum Heizen genutzt wird.“ Hundertprozentig geht diese These natürlich nicht auf, denn Technologie kann nur einen Beitrag leisten. Novy fordert eine neue Organisation der Wirtschaft. „Wir müssen uns vom Konkurrenzmodell verabschieden, denn das ist der größte Wachstumstreiber.“ Derzeit führt Wachstum zu Überproduktion mit Wegfwerfkultur.
Der Ausweg aus dem Wachstums-Wahn ist schwierig, weil Machtstrukturen aufgebrochen werden müssten. „Warum zeigt sich zum Beispiel VW bei der Entwicklung von Elektroautos zurückhaltend? Weil das Unternehmen damit weniger verdienen würde“, veranschaulicht es der Wachstumskritiker.
„Oberstes Gebot ist dabei die Bescheidenheit der Menschen anstelle von Gier.“ Das wird wohl leider schwierig… aber die Hoffnung stirbt zuletzt.