„Es ist vorstellbar, dass clean meat auch gesünder gemacht werden als natürliches Fleisch.“
Im August 2013 wurde in London vor laufenden Kameras und im Beisein von 200 Journalistinnen und Journalisten der bisher teuerste Burger gebraten und verkostet. 250.000 Pfund, so wurde damals berichtet, habe das sorgfältig gebratene Fleischlaibchen gekostet. Allerdings nicht, weil es von einem zu Tode gestreichelten Kobe-Rind stammte, sondern weil eine Gruppe von niederländischen Wissenschaftlern mehrere Jahre daran gearbeitet hat, dieses Stück Rindfleisch im Labor züchten zu können. Sie wollen damit die Fleischproduktion der Zukunft revolutionieren und das Leben auf dem Planeten Erde retten. In ein paar Jahren schon könnte ein Hamburger aus kultiviertem Rindfleisch nur mehr zehn Euro oder weniger kosten und so schmecken, wie wir das gewohnt sind.
clean meat: das künstliches Fleisch aus der Petrischale
Die Idee, Fleisch in der Petrischale zu züchten, hatte schon der britische Staatsmann Winston Churchill. Im Dezember 1931 spekulierte er in einem Artikel im „Strand Magazine“ über die Zukunft: Es sei absurd, dass wir ein ganzes Huhn aufziehen, wenn wir nur die Brust oder Keule essen wollen, in etwa 50 Jahren würden wir sie in einem Medium züchten können.
Anfang der 2000er Jahre regte der pensionierte Unternehmer Willem van Ellen Forscher der Universitäten Amsterdam, Eindhoven und Utrecht und eine niederländische fleischverarbeitende Firma an, sich mit der Entwicklung von in vitro-Fleisch zu beschäftigen. Das Projekt InVitroMeat erhielt von 2004 bis 2009 eine staatliche Finanzierung. Mark Post, Gefäßbiologe an der Universität Maastricht, war von der Idee so fasziniert, dass er an der Sache dranblieb. Bei der ersten Verkostung seines Labor-Burgers im August 2013 nahmen neben ihm auch der US-amerikanische Journalist Josh Schonwald und die österreichische Ernährungs-Wissenschaftlerin und Food-Trendforscherin Hanni Rützler teil.
Der Burger sei schon sehr nahe am Geschmack von natürlich gewachsenem Fleisch, sagten sie übereinstimmend, allerdings etwas trocken. Es fehlte das Fett, das Saftigkeit und Geschmack verleiht. Optisch konnte man keinen Unterschied zu herkömmlichem Faschiertem erkennen, auch beim Braten verhielt sich das Fleisch so, wie man es gewohnt ist. Dabei war es aus einzelnen Zellen eines Rindermuskels über Wochen auf Nährlösung in Laborflaschen vermehrt worden.
Für Umwelt und Gewissen
Doch warum der ganze Aufwand? Einerseits aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes. Um ein Kilogramm Rindfleisch zu erzeugen, braucht man 15.000 Liter Wasser. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation werden 70 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für die Fleischproduktion verwendet, die für 15 bis 20 Prozent der Treibhausgase verantwortlich ist. Bis zum Jahr 2050 könnte die Fleischproduktion weltweit um 70 Prozent steigen, weil mit Wohlstand und Zunahme der Weltbevölkerung auch der Hunger nach Fleisch wächst.
Für Kurt Schmidinger, Aktivist beim Verein gegen Tierfabriken und Leiter der Initiative „Future Food – Fleisch ohne Tierhaltung“, ist in gleichem Maße der ethische Aspekt wichtig: „Weltweit werden mehr jährlich als 65 Milliarden Tiere für die Ernährung getötet. Um eine Kalorie Fleisch zu erzeugen, müssen sieben Kalorien Tierfutter eingesetzt werden und es entstehen große Mengen an Kot und Abwässern.“ Eine rein pflanzliche Ernährung, die Kurt Schmidinger betreibt, würde also weit mehr Menschen versorgen, Tierleid vermeiden und die Umwelt schonen. Kurt Schmidinger, der Geophysik studiert hat und in der IT-Branche arbeitet, ist jedoch Realist: „Schon in den 90er Jahren habe ich mir gedacht, es wäre gut, wenn man für die Menschen, die nicht darauf verzichten wollen, Fleisch künstlich züchten könnte.“ Immer wieder habe er nach derartigen Möglichkeiten gesucht, doch erst 2008 fand der erste In-vitro-meat-Kongress in Norwegen statt.
Schmidinger sammelte Informationen und verfasste dazu eine Doktorarbeit am Department für Lebensmittelwissenschaften der Universität für Bodenkultur. Auf der Website futurefood.org publiziert er über Alternativen zum Fleischkonsum, darunter auch über „cultured meat“ oder „clean meat“, wie In-vitro-Fleisch aus Gründen der besseren Vermarktbarkeit jetzt genannt wird.
Die Mehrzahl der Konsumentinnen und Konsumenten steht dem Fleisch aus dem Reagenzglas derzeit skeptisch gegenüber oder lehnt es komplett ab. Das könnte sich jedoch ändern, wenn die Markteinführung in greifbare Nähe rückt und mehr über die Herstellungsmethoden, die Vorteile und den Geschmack des kultivierten Fleisches bekannt wird.
clean meat – Besser und billiger
Anfang 2010 war es den niederländischen Wissenschaftlern erstmals gelungen, aus Stammzellen einer Kuh größere Mengen Muskelgewebe zu züchten. Das Problem war, dass Muskelzellen im lebenden Organismus normalerweise Bewegung brauchen, um ausreichend zu wachsen. Die Anregung der Zellen durch Stromstöße und die Bewegung der Laborbehälter kostete jedoch viel Energie. Mittlerweile können die Forscher das Fleisch aus Myoblasten (muskelbildenden Vorläuferzellen) und auch Fett mit weniger Energieaufwand züchten, und sie konnten das Serum aus ungeborenen Kälbern, das anfangs als Nährlösung verwendet wurde, durch ein anderes Medium ersetzen.
Es ist vorstellbar, dass „clean meat“ auch gesünder gemacht werden als natürliches Fleisch. So ist denkbar, dass der Anteil an Fett verringert oder an gesunden Omega 3-Fettsäuren erhöht wird. Außerdem könnten Krankheitserreger im Fleisch weitgehend verhindert werden, ohne auch nur Antibiotika einzusetzen.
Bis zur Herstellung im Industriemaßstab werden aber noch paar Jahre vergehen. Allerdings sind die niederländischen Forscher längst nicht mehr alleine auf diesem Feld tätig. In den USA und in Israel arbeiten Startups an Kultivierungsmethoden für Fleisch und Fisch, Bill Gates, Sergey Brin und Richard Branson, das multinationale Lebensmittelunternehmen Cargill und die deutsche PHW-Gruppe (u.a. Wiesenhof Geflügel) haben Millionen von Dollar und Euro dafür zur Verfügung gestellt. Man kann also davon ausgehen, dass kultiviertes Fleisch das Potential für ein Riesengeschäft hat.
Ob die Kultivierung von Fleisch die weltweite Verteilungsgerechtigkeit verbessert oder verschlechtert, wird sich weisen. Für den niederländischen Forscher Mark Post ist jedenfalls eine dezentrale Produktion vorstellbar: Gemeinschaften würden ein paar Tiere halten und pflegen, denen ab und zu schmerzfrei Stammzellen entnommen werden, und daraus dann in einer Anlage Fleisch züchten. Um religiösen Vorschriften von Juden oder Muslimen gerecht zu werden, könnte auch ein Tier getötet werden, daraus könnte dann aber ein Vielfaches an kosherem oder halal-Fleisch kultiviert werden.