Platon oder Machiavelli? Über die persönlichen Eigenschaften des idealen Politikers zerbricht sich die Menschheit seit jeher den Kopf. Für Platon etwa gehörten Intelligenz, verstanden als Weisheit und Vernunft, Lernbereitschaft und Ausdauer zu den wichtigsten Eigenschaften eines guten Politikers. Für den florentinischen Politiker und Philosophen Niccolo Machiavelli sah die Sache schon etwas anders aus. Für ihn standen neben Intelligenz vor allem Kompromisslosigkeit, Ehrgeiz, Pragmatismus und die Erhabenheit über moralische Ansprüche im Vordergrund. Dabei wies der weise Mann bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts darauf hin, dass ein Politiker „diese Eigenschaften nicht besitzen müsse, sondern wohl den Eindruck erwecken müsse sie zu besitzen“. Machiavelli riet daher seinen Kollegen sich möglichst „in den Vordergrund zu stellen und auf sich aufmerksam zu machen, um die Gunst des Volkes auf seine Seite zu ziehen“.
Obwohl Machiavelli in Vielem Recht behalten sollte, so trifft seine Einschätzung zumindest in einem Punkt ganz und gar nicht zu: dass Politiker die Gunst der Wähler auf ihre Seite ziehen würden. Denn das Ansehen von Politikern befindet sich heute trotz einer gigantischen PR-Maschinerie auf einem historischen Tiefstand. Im Vorjahr stellte etwa das Meinungsforschungsinstitut OGM fest, dass 85 Prozent der österreichischen Bevölkerung kein Vertrauen mehr in ihre Politiker hatten (Grafik rechts).
Politiker-Vertrauen
Der Demokratiebefund 2015 (Grafik nächste Seiten) weist einen neuen Tiefstand beim Vertrauen gegenüber Politiker aus: 85 Prozent der Befragten haben wenig oder gar kein Vertrauen in die Volksvertreter. Laut der letzten Eurobarometer-Umfrage denken 66 Prozent der Österreicher, dass Korruption in ihrem Land weit verbreitet ist. Zwar liegt der EU-Durchschnitt bei dieser Einschätzung bei 76 Prozent, das Ergebnis ist dennoch besorgniserregend.
Einfach Irre
Auch die heutige Wissenschaft zeichnet ein äußerst kontroverses Bild erfolgreicher Politikerpersönlichkeiten. Eine ganze Riege von Psychologen und Psychiatern widmet sich heute der Erforschung von Führungspersönlichkeiten und attestiert diesen mitunter psychopathische Züge. Diese sogenannte dissoziative Persönlichkeitsstörung zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass die Betroffenen äußerst charmant, charismatisch, selbstsicher und eloquent sind. Zum anderen fehlen ihnen jedoch jegliche Empathie, emotionale Stabilität und soziale Verantwortung. Nicht zuletzt erweisen sie sich als Meister der Manipulation. Die Mehrzahl dieser Untersuchungen stammen jedoch aus dem Unternehmenskontext, da es mitunter äußerst schwierig ist mit erfolgreichen Politikern in Kontakt zu treten, geschweige denn mit ihnen Persönlichkeitstests durchzuführen.
So stellte etwa der kanadische Psychologe Robert Hare fest, dass sich etwa in den Chefetagen von Konzernen etwa dreieinhalb Mal so viele Psychopathen befinden, wie im Durchschnitt der übrigen Bevölkerung. Der Bostoner Psychiatrieprofessor Nassir Ghaemi entdeckte ebenfalls erstaunliche Zusammenhänge zwischen psychischen Störungen und Führungsfähigkeiten. In seinem Buch „Erstklassiger Wahnsinn“ (A first-rate madness) stellte er sogar die These auf „Wenn Frieden herrscht, und das Staatsschiff nur auf Kurs bleiben muss, eignen sich geistig gesunde Führer. Wenn unsere Welt aber in Aufruhr gerät, eignen sich geistige kranke Führer“.
Platons Jünger
Ein gänzlich anderes Persönlichkeitsprofil zeichnet der Sozialpsychologe Andreas Olbrich-Baumann von der Universität Wien. Im Rahmen seiner Forschungsarbeit extrahierte er aus der philosophischen, politologischen, psychologischen und soziologischen Literatur insgesamt 17 persönliche Eigenschaften, die in einem nachweislichen Zusammenhang mit politischem Erfolg standen. Diese wurden in der Folge von österreichischen Abgeordneten gewichtet und ergaben das folgende Profil: Ehrlichkeit und positive Selbstdarstellung stellten demnach die wichtigsten Erfolgszutaten für eine erfolgreiche Politikerkarriere dar, gefolgt von Charisma, Ehrgeiz und Initiative, Stresstoleranz, Erfahrung, Kritikfähigkeit und Optimismus.
Zu einem ähnlichen Persönlichkeitsprofil kam auch der österreichische Politikwissenschaftler Jens Tenscher. Er führte 2012 eine Befragung unter allen österreichischen Abgeordneten durch, von denen die meisten politische Vertrauenswürdigkeit, verantwortungsbewusstes Handeln und Ehrlichkeit als die wichtigsten Eigenschaften nannten. „Die Ergebnisse legen nahe, dass die österreichischen Nationalratsabgeordneten in ihrer Rangreihung eher Platons Konzept des Politikers entsprechen“, so Olbrich-Baumann. Scheinbar hat sich an unserem Idealbild eines Politikers seit den letzten 2363 Jahren, als Platon’s Politea verfasst wurde, nicht viel geändert hat.
Eine Frage der Opportunitäten
Ungeachtet dieser empirisch wohl belegten Persönlichkeitsprofile räumt Professor Olbrich-Baumann gleichzeitig ein: „Das Verhalten eines Menschen ist zu einem Großteil von der Situation abhängig und nur zu einem geringeren Teil von seiner Persönlichkeit. Manche Forscher gehen von einem Verhältnis von 75:25 Prozent aus“.
Auch der Politikwissenschaftler Lars Vogel, der an der Universität Jena seit Jahren Politikerkarrieren analysiert, relativiert ebenfalls die Rolle von persönlichen Eigenschaften für den politischen Erfolg: „Politische Karrieren sind nicht zuletzt eine auch Frage der Opportunitäten“. Ihm zufolge werden Politiker in erster Linie nach ihren symbolischen Eigenschaften rekrutiert, also danach, welche Gruppen und welche Kompetenzen sie symbolisieren, denn „unterschiedliche politische Funktionen haben unterschiedliche Anforderungen“. Demnach stehen etwa für repräsentative Positionen die sozialen Kompetenzen im Vordergrund, für fachliche wiederum die fachlichen. Was erfolgreiche Politiker seiner Meinung nach gemeinsam haben ist die Tatsache, dass sie in der Regel eine lange Bewährungsprobe in unterschiedlichen parteiinternen Funktionen hinter sich haben, bevor sie zu den Parteigranden aufsteigen. Der Fall, dass ein Mensch also im Wienerwald von einem Schamanen in die Politik berufen wird, wie es dem Vernehmen nach bei NEOS-Mitbegründer Martin Strolz der Fall war, dürfte also eher selten sein.
Aus der Sicht der Wähler
Berechtigter Weise lässt sich nun einwenden, dass beide Persönlichkeitsprofile letztendlich von Politikern selbst erstellt wurden und lediglich ihre Selbstwahrnehmung widerspiegeln. Daher sollen sie mit einem weiteren Persönlichkeitsprofil verglichen werden, das die Sicht der deutschen Bevölkerung wiederspiegelt. Auch diesem Profil zufolge stellt die Glaubwürdigkeit des Politikers die wichtigste Eigenschaft dar, gefolgt von Sachverstand, Bürgernähe, Tatkraft und Sympathie. Der Vergleich legt den Schluss nahe, dass Politiker die Bedeutung ihrer rhetorischen und medialen Fähigkeiten deutlich überbewerten, während sich die Wähler in Wirklichkeit mehr Bürgernähe wünschen. Auch die Sympathie scheint von den Abgeordneten tendenziell überbewertet zu werden. Darüber hinaus scheint es jedoch in den wesentlichen Zügen Übereinstimmung zu geben.
Die Untersuchungen deuten darauf hin, dass das niedrige Vertrauen, das heutzutage gegenüber Politikern herrscht, nicht so sehr auf ihren miesen Charakter zurückzuführen ist, als vielmehr auf die vielfältigen (Wirtschaft-, Euro-, EU-, Flüchtlings-, Russland-) Krisen, denen sie sich stellen müssen. So meint etwa der österreichische Politikwissenschaftler Marcelo Jenny, dass „die Wähler diesen Krisendruck verspüren und an die politische Elite weitergeben“. Dennoch bleibt die Frage, wer diese Krisen eigentlich ausgelöst hat. Nicht zuletzt sollte man sich vor den charmanten, charismatischen, selbstsicheren und eloquenten Führungspersönlichkeiten in Acht nehmen und uns wohl überlegen, ob wir eben diesen unsere Stimme geben.
Die wichtigsten Eigenschaften für Politiker-Erfolg
Politische Erfahrung
Erfahrung hinsichtlich effektiver Verhaltensweisen in der Politik aufgrund bereits längeren Arbeitens in PolitikEhrlichkeit
Ehrlich, aufrichtig und unbefangen im Umgang mit anderen Personen seinUnverwundbarkeit
Fähigkeit selbst mit Belastung umgehen zu können; nicht leicht in Panik verfallen; selten aufgebenOptimismus
Den Eindruck bei anderen erwecken, optimistisch in die Zukunft zu blicken und in den eigenen Äußerungen Zuversicht ausdrückenDurchsetzungsvermögen
Die eigene Meinung ohne zu zögern kundtun; eine soziale Vormachtstellung einnehmen; sich gegenüber anderen durchsetzenExtraversion
Erlebnishungrig, gesellig, herzlich, sowie aktiv und fröhlich seinCharisma
Die Eigenschaft Respekt einzuflößen, Aufmerksamkeit zu erregen, sowie andere Personen alleine durch Anwesenheit zu motivierenBedürfnis nach Macht
Im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel die Neigung haben, andere zu kontrollieren und zu koordinierenGeringes Affiliationsbedürfnis
Sich bei Entscheidungen an der Sachebene orientieren können und nicht aus der Sorge um persönliche Beziehungen heraus agierenInitiative
Gelegenheiten erkennen und nutzen; Handlungen setzen; Herausforderungen mögen; andere gerne von den eigenen Ideen überzeugenEnergie/Stresstoleranz
Körperliche Gesundheit und emotionale Belastbarkeit besitzenSelbstvertrauen
Das Gefühl besitzen, mit möglichen Schwierigkeiten fertig zu werdenInterne Kontrollüberzeugung
Gefühl besitzen, das Schicksal selber beeinflussen zu können; Verantwortung für die eigene Tätigkeit und LeistungZuschreibung von Integrität
Von anderen Personen als ehrlich und vertrauenswürdig eingeschätzt werdenIntelligenz
Schnell lernen und Schlussfolgerungen ziehen können; Strategien entwickeln und Probleme lösen könnenKritikfähigkeit
Komplexe Sachverhalte prüfen und sich ein eigenes Urteil bildenSelbstmanagement
Selber Tätigkeiten zielgerichtet planen und effizient arbeitenQuelle: aus „Platons Erben: Anforderungsprofile in der österreichischen Politik“, Andreas Olbrich-Baumann et al., Uni Wien