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Lieferkettengesetz vs. Lobbys: die Taktiken der Industrie

Lieferkettengesetz vs. Lobbys

Ein Lieferkettengesetz, das Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch Unternehmen ahndet? Ist weiter nicht in Sicht. Schadenersatz vor Europäischen Gerichten? Bleibt ein Wunschdenken, so lange sich Wirtschaftsverbände unter dem Deckmantel der Kooperation für eine Entschärfung der geplanten Regeln einsetzen.

Krebs, Husten, Unfruchtbarkeit. Darunter leiden die Bewohner des chilenischen Arica. Und zwar seit der schwedische Metallkonzern Boliden 20.000 Tonnen seines Giftmülles dorthin verschiffte und eine örtliche Firma für die Endabfertigung bezahlte. Die Fima ging in Konkurs. Das Arsen aus dem Abfall blieb. Die Einwohner Aricas klagten. Und blitzen vor dem schwedischen Gericht ab. Zwei Mal – trotz der Kritik des Menschenrechtsrats der UN.

Ein Einzelfall? Leider nein. Alejandro García und Esteban Christopher Patz von der European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) haben in ihrer Analyse „Goliath klagen“ gerade erst 22 Fälle von Zivilverfahren gegen EU-Unternehmen wegen Menschenrechts- und Umweltverletzungen im Ausland untersucht. Nur zwei der 22 Kläger erhielten formal Recht – Aricas Einwohner waren nicht darunter. Schadenersatz bekam kein einziger Kläger zugestanden.

Warum das so ist? „Die Fälle werden häufig nach dem Recht des Landes verhandelt, in dem der Schaden eingetreten ist, und nicht nach dem Recht des Sitzes der Mutter- oder Führungsgesellschaft“, so Garcia. Im Übrigen werde meist ein Kollektiv von Menschen geschädigt – egal ob es sich um den Einsturz einer Fabrik oder die Verschmutzung eines Flusses handelt. „Die nationalen Rechtsordnungen erlauben jedoch nicht immer, dass eine große Zahl von Klägern gemeinsam Schadensersatzansprüche geltend machen kann.“ Und schließlich sind da noch die Fristen. „Sie betragen mitunter bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung nur ein Jahr.“ Was eine rechtzeitige länderübergreifende Klageerhebung praktisch unmöglich mache. Dass Unternehmen kein Interesse an einer baldigen Absegnung eines Lieferkettengesetzes auf EU-Ebene haben, liegt auf der Hand.

Lieferkettengesetz vs. Lobbys: Kooperation als Taktik

„Besonders perfide agieren jene Wirtschaftsverbände, die unter dem Deckmantel der Kooperation für eine Entschärfung der geplanten Regelungen sorgen“, so Rachel Tansey, die die Taktiken der Lobbyisten in Sachen Lieferkettengesetz in der ECCJ-Analyse „Fein Raus“ beschrieben hat. Tatsächlich gibt es gar nicht so wenige Wirtschaftsverbände, die progressiv auftreten und eine gesetzliche Sorgfaltspflicht unterstützen. Dazu zählt etwa AIM, der 2019 bis zu 400.000 Euro für Lobbyarbeit in der EU ausgegeben hat.

AIM, bei dem etwa Coca-Cola, Danone, Mars, Mondelez, Nestlé, Nike und Unilever Mitglied sind, setzt sich allerdings für politische Instrumente ein, die Unternehmen Anreize zur Achtung der Menschenrechte geben. Die Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte sähe man zudem gern „außerhalb des Umfangs gesetzlicher Haftung”. Falls doch eingeschlossen, plädiert AIM sie auf “schwere Menschenrechtsverletzungen” zu beschränken. Tansey sagt: „AIMs bevorzugte Variante des Gesetzes würde seine Mitglieder nicht für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft ziehen. Falls eine Haftung aber nicht abzuwenden sein sollte, würde die nächstbeste Variante sich nicht auf die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens erstrecken.“ Oder um mit den Worten des nicht unumstrittenen Kakaoverbands zu sprechen: „Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, Risiken in ihren Lieferketten offenzulegen, ohne Sorge vor einem erhöhten Haftungsrisiko haben zu müssen.”

Lobbys: Freiwillige Initiativen als Deckmantel

Dann gibt es Wirtschafslobbygruppen, wie CSR Europe. Deren Zweck ist allerdings, freiwillige Corporate Social Responsibility-Initiativen als Deckmantel zu benutzen. Dabei seien Menschenrechts- und Umweltskandale vielen ihrer Mitglieder nicht fremd, wenn man etwa an VW – Stichwort Abgasskandal denke, so Tansey. Tatsächlich erklärte die Lobbygruppe schon im Dezember 2020 die Notwendigkeit, “von den Unternehmen bereits geleistete Arbeit mit einzubeziehen.“ Im Übrigen betont man die Wichtigkeit „Standards ‘von unten’ zu entwickeln und ortet den Eindruck „dass es der Kommission an Vertrauen in Industrie-geleitete Standardisierung fehlt”. Was CSR Europe eigentlich in Sachen Lieferkette vorschwebt, sagt der Verband auch klar: „Unterstützende Anreize” für Unternehmen und neue europäische Branchendialoge und -allianzen. Schließlich ist man der Ansicht, der Erfolg werde „in hohem Grad von der Mitarbeit des europäischen Privatsektors abhängen.”

Gleiche Bedingungen für alle?

Die nationalen Lobbyverbände der Länder, in denen es bereits ein Lieferkettengesetz gibt, sind derweil auch nicht untätig. Allem voran sind das die französischen. Dort muss man sich mit der Frage auseinandersetzen, ob sich das kommende EU-Gesetz dem nationalen angleichen soll oder umgekehrt. Für den französischen Lobbyverband AFEP ist dabei klar: Angleichung ja, aber damit verbunden bitte die Verwässerung des eigenen Gesetzes. „Stimmt“, sagt Tansey: „In Brüssel arbeitet die Lobby französischer Großunternehmen darauf hin, das ambitionierte europäische Gesetzesvorhaben auszuhöhlen, und drängt auf schwächere Bestimmungen als in Frankreich.“ Aber nicht nur das: Man plädiert zudem dafür, dass eine EU-Definition der Sorgfaltspflicht den Klimawandel nicht miteinschließen dürfe. Dass das Unternehmen Total im AFEP-Vorstand sitzt, scheint da kein Zufall mehr zu sein. Seine Lobbyarbeit lässt sich AFEP übrigens was kosten: jährlich laut Eigenangabe 1,25 Mio. Euro.

Ablenkungsmanöver der Lobbys

Wie Irreführung geht, beweist schließlich der niederländische Unternehmensverband VNO-NCW und die deutschen Unternehmensverbände. Erstgenannter kommuniziert daheim, eine Lieferkettengesetz nur auf EU-Ebene zu befürworten, nicht aber national. In Brüssel allerdings bezeichnet man das Vorhaben als „unpraktikabel“ und „drakonisch.“
Die deutschen Pendants schafften es währenddessen, das nationale Lieferkettengesetz abzuschwächen. In Brüssel versuchen sie jetzt dasselbe. Angesichts all dieser Taktiken bleibt nur mehr eine Hoffnung, die Tansey vorsichtig so formuliert: „Dass die politisch Verantwortlichen nicht in die Falle tappen, einen annehmbaren Mittelweg zwischen Bremsern und scheinbar ‘konstruktiven’ Unternehmen zu verorten.“

INFO: Aktuelle Taktiken der Wirtschaftslobby

Die Forderung nach ‘pragmatischen’ und ‘praktikablen’ Regelungen
Die Konzentration liegt auf “positiven Anreizen” für Unternehmen, das Richtige zu tun, und zielen auf eine Vermeidung jeglicher Haftung, d.h. ernsthafter Konsequenzen für Unternehmen, die in Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind. Verpackt wird das Ganze in klingende Worte wie etwa: Sorgen um ein “erhöhtes Klagerisiko”, “leichtfertige Anschuldigungen” und “Rechtsunsicherheit“. Dahinter steckt der Wunsch nach einer Begrenzung der Sorgfaltspflicht auf direkte Zulieferer des Unternehmens, also die erste Stufe in der globalen Wertschöpfungskette. Die meisten Schäden fielen dort nicht hinein. Rechtsansprüche der Schwächsten würden erlöschen.

Das Drängen auf freiwillige CSR-Maßnahmen
Oft sind diese schon vorhanden – implementiert von der Industrie, völlig unwirksam und machen die Gesetzesinitiative erst nötig.

Angleichung von Wettbewerbsbedingungen
Unter dem Motto „Level playing field“ pochen derzeit allem voran die französischen Wirtschaftslobbyisten – Frankreich hat bereits ein Lieferkettengesetz – auf eine Angleichung des EU-Gesetzes unter dem eigenen Niveau.

Irreführung
In Deutschland und den Niederlanden agieren Wirtschaftsverbände gegen die eigenen ambitionierten Gesetzesvorhaben und plädieren für eine EU-Lösung. Auf EU-Ebene versuchen sie dann, diesen einheitlichen Entwurf zu schwächen und zu untergraben.

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Alexandra Binder

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