Eine kleine Untersuchung des Quellengebiets
Kriege sind keine plötzlich hereinbrechenden Katastrophen. Keine Katastrophe ist das letztlich. Auch einem Vulkanausbruch geht eine lange Geschichte voran, eine Geschichte in seinem Inneren, in seinem Glutkern. Beim Krieg ist das nicht anders.
Ach, die Flut beginnt nicht mit den brechenden Dämmen. Sie beginnt mit dem leisen Gurgeln der winzigen, sich füllenden Drainagekanäle am Strand. Und nichts können wir dagegen tun, es sei denn, wir stoppten den Lauf des Mondes um die Erde.
Aufmerken können wir aber und auf dieses leise Gurgel des Krieges hören, sobald es erklingt: in den Radio- und TV-Kanälen, in Leitartikeln und Bundespressekonferenzen, in politischen Positionswechseln, in Predigten und Talkshows, in verblüffenden Verbrüderungen, aber auch an Stammtischen, auf Spielplätzen am Rande der Sandkästen, in eifernden Diskussionen in der Kassenschlange. Und ja, auch in unseren Neuronensträngen und Herzkranzgefäßen kann er gurgeln, der Krieg.
Am einfachsten erkennen wir seine Quellen in uns selbst. Wenn die Milde schwach wird in uns und die Menschlichkeit brüchig, wenn eine neue Kraft uns erfasst, eine Begeisterung für die Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit des Opfers; wenn wir nicken und es sich gut anfühlt, dabei zu sein und so zu denken, wie die anderen denken. Dann hat der Krieg beinahe gewonnen. Spätestens aber, wenn wir an seinem Sinn nicht mehr zweifeln. Wenn wir beginnen, gute Gründe zu finden und das Morden uns auf einmal gerechtfertigt erscheint und wir den Frieden gar nicht mehr wirklich wollen, sondern nur mehr ein bisschen.
Dann fällt es uns wie Schuppen von den Augen und wir können nicht mehr verstehen, wie dumm wir früher waren oder doch wenigstens naiv, als wir noch an den Frieden glaubten. Die Zeit des Glaubens ist jetzt vorbei, jetzt geht es ums Wissen. Wir sind informiert und wissen, dass wir im Recht sind. Und wie gut doch, dass wir so viele sind, denn nur, wenn wir viele sind, haben wir eine Chance gegen das Böse, und wir werden täglich mehr. Auch große Namen sind dabei, Männer und Frauen, integre, führende Persönlichkeiten, die wie wir wissen: Wenn wir jetzt nicht kämpfen, öffnen wir dem Unrecht und der Gewalt Tür und Tor; wenn wir jetzt nicht kämpfen, hat der Feind leichtes Spiel, dann sind wir verloren. Aber das werden wir nicht zulassen, wir werden unser Land schützen und unser Volk und unsere Kinder. Wir sind da ganz nüchtern. Oh ja, wir wissen, ein Krieg ist keine schöne Sache, da machen wir uns nichts vor, aber er muss nun einmal sein. Für einen guten Zweck muss man eben Opfer bringen. Aber am Ende, am Ende stehen der Sieg und die Freiheit. Wenn sich dafür nicht zu kämpfen lohnt, wofür dann?
P.S.:
Eine Frage hätte ich noch. Warum eigentlich ziehen die Kriegsherren nicht selbst in den Krieg, Mann gegen Mann? Es wäre so viel billiger. Und ihre Botschaft erschiene mir glaubwürdiger, wenn sie ganz vorne stünden im Stahlgewitter und sich opferten für ihr Volk, statt ihr Volk vorzuschicken, auf dass es sich opfere. Für wen?
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