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Liebe im Netz – Kolumne von Mira Kolenc

Mira Kolenc

Vor zehn oder elf Jahren, als Facebook noch in den Kinderschuhen steckte und ich meine ersten Gehversuche im Internet unternahm, wurde mir schnell klar, dass diese sozialen Netzwerke, die wie Pilze aus dem Boden schossen, für weit mehr genutzt werden konnten als zum Vernetzen mit Freunden und Bekannten. Ihr Gebrauch war jedoch von einer Ambivalenz begleitet. Die Gefühle schwankten zwischen Euphorie und Misstrauen.

Das soziale Netzwerk der Stunde hieß damals, zumindest in München, wo ich zu jener Zeit lebte, Lokalisten. Dem Eindruck nach tummelte sich dort das gesamte junge München und im Gegensatz zur analogen Welt war die Hemmung jemanden anzusprechen viel geringer. Ständig flatterten Nachrichten ins Postfach. Gemeinsame Leidenschaften, Freunde oder Ziele, auf einmal konnte jeder finden, was er suchte und musste dafür nicht das Haus verlassen und auf das Schicksal hoffen, das einem die richtigen Menschen zuführt.
Natürlich blieb keinem Nutzer verborgen, dass solche Netzwerke auch hervorragende Anbahnungshelfer sind. Interessensbekundungen konnten noch nie so einfach gezeigt werden. Entspannte sich durch die Konversation ein Sympathiefaden, stand irgendwann ein reales Treffen an.

Und diese hatten nahezu etwas Anrüchiges. Jeder der Herren, die ich traf, beteuerte noch niemals oder erst einmal überhaupt eine Frau aus dem Internet getroffen zu haben. Der größte Teil der Gespräche war damit belegt, dass die Kluft zwischen digitaler und analoger Welt als sehr groß empfunden wurde. Das Gegenüber war fremd, viel fremder als es sonst ein gewöhnlicher Unbekannter sein konnte. Die Trennung zwischen der „echten“ und der „unechten“ Welt war scharf. Und der Unbekannte aus dem Internet irgendwie nicht Teil der vertrauten und einschätzbaren analogen Welt.

Wurde diese Kluft tatsächlich einmal überwunden und zwei Menschen fanden zusammen, wurden ein Paar, strickte dieses an einem Kennenlernmythos, der fernab des Internets seinen Ursprung hatte. Wie hörte es sich denn auch an, wenn die Antwort auf die Kennenlernfrage schlicht „Internet“ hieß? Romantisch auf jeden Fall nicht. Und war das Internet nicht auch eigentlich nur etwas für Nerds, die im wahren Leben keine Chance hatten einen Partner zu finden?

Heute, wenn ich abends in großer Runde mit Freunden zusammensitze, erzählt jeder ganz selbstverständlich von seinen Internet-Flirts. Und auch die eigene Oma ist über derlei Kennenlernwege nicht mehr erstaunt. Nicht zuletzt deshalb, weil es schon längst kein Phänomen ausschließlich der ganz jungen Generation ist, sondern alle Altersgruppen fröhlich in der Welt des Online-Datings mitmischen. 30 Prozent aller Beziehungen sollen mittlerweile über das Internet zustande kommen.

„In Berlin habe ich mitunter das Gefühl, dass das Flirten im öffentlichen Raum nahezu völlig eingestellt wurde und sich alles ins Netz verlagert hat.“

In Berlin habe ich mitunter das Gefühl, dass das Flirten im öffentlichen Raum nahezu völlig eingestellt wurde und sich alles ins Netz verlagert hat. Sogar, wenn man als Frau alleine am Abend in einer Bar sitzt wird dies nicht als Aufforderung wahrgenommen. Wobei sich Berlin wahrscheinlich einfach nur zu cool für diese heteronormativen Klischees fühlt und auf eine Art und Weise flirtet, die so subtil ist, dass sie einfach unter meinen Wahrnehmungsradar fällt. Eine Frage, an deren Aufklärung ich noch arbeite.

Mit der Einführung der Dating-App Tinder im Jahr 2012 schließlich, wurde eine neue Stufe in der Evolution des (Online-) Datings erreicht. Das Versprechen: Kennenlernen noch leichter gemacht! Das Prinzip: Auswählen nach dem optischen Reiz. Entscheidender Grund dafür, dass Tinder zu einem globalen Phänomen wurde.

Denn mit der Tatsache, dass ein Bild über die Kontaktaufnahme entscheidet und nicht das geschriebene Wort, wurde sämtliche Sprachbarrieren ausgehebelt, die Macher trafen damit einen zentralen Nerv. Jeder dritte Erwachsene ist Single, der Markt groß. Ein flexibler Lebensstil erfordert auch in der Liebe alle Optionen offen zu halten. Wir haben uns das Prinzip der Marktwirtschaft längst auch im Privatleben zu Eigen gemacht. Tinder ist da nur die letzte Konsequenz.

Doch jeder, der sich dem Online-Dating einmal hingegeben hat, stellt irgendwann fest, dass es wenig Befriedigung bringt. Zunächst das überwältigende Gefühl, den Wunschpartner aus einem riesigen Katalog auswählen zu können, viele erfolglose Dates später dann die Ernüchterung und innere Leere.

„Dating-Apps sind Egobooster, die uns das Gefühl geben, einen Augenblick vor der eigenen Bedeutungslosigkeit errettet zu sein und jedes Ende einer Beziehung nur als eine Option für einen besseren Partner erscheinen lassen.“

Dating-Apps sind Egobooster, die uns das Gefühl geben, einen Augenblick vor der eigenen Bedeutungslosigkeit errettet zu sein und jedes Ende einer Beziehung nur als eine Option für einen besseren Partner erscheinen lassen.

In letzter Zeit jedoch tauchen immer öfter Texte von ehemaligen Tinder-Usern auf, die sich zu Ihrem Ausstieg bekennen. Dating sei nur noch eine schlechte Angewohnheit, gut, um ein paar Minuten Wartezeit zu überbrücken, so der Tenor. Der Einzelne gehe dabei vollkommen in der gesichtslosen Masse unter und verliert seine Verletzlichkeit.

Die Bilanz ist ernüchternd: Die Probleme beim Finden und Führen von Beziehungen sind gleich geblieben. Bewähren muss sich am Ende ein Internetflirt immer noch in der Realität. Das, was wir wirklich lernen müssen, ist der Umgang mit den neuen Möglichkeiten. Denn wir sollten sie beherrschen, nicht sie uns.

Geschrieben von Mira Kolenc

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