Von Martin Auer
Wie würden sich die Klimafolgen eines nuklearen Kriegs auf die globale Ernährung auswirken? Dieser Frage ist ein Forscherteam um Lili Xia und Alan Robock von der Rutgers University nachgegangen. Die Studie wurde soeben in der Fachzeitschrift Nature Food veröffentlicht.
Der Rauch und Ruß von brennenden Städten würde buchstäblich den Himmel verdunkeln, zu einer massiven Abkühlung des Klimas führen und die Nahrungsmittelproduktion extrem beeinträchtigen. Die Modellrechnungen ergeben, dass bei einem „begrenzten“ Krieg (etwa zwischen Indien und Pakistan) bis zu zwei Milliarden Menschen an den Folgen von Nahrungsmittelknappheit sterben könnten, bei einem „großen“ Krieg zwischen den USA und Russland bis zu fünf Milliarden.
Die Forscher:innen verwendeten Klima-, Pflanzenwachstums- und Fischereimodelle, um zu berechnen, wie viele Kalorien den Menschen in den einzelnen Ländern im zweiten Jahr nach dem Krieg zur Verfügung stehen würden. Dabei wurden verschiedene Szenarien untersucht. Ein „begrenzter“ Atomkrieg etwa zwischen Indien und Pakistan könnte zwischen 5 und 47 Tg (1 Teragramm = 1 Megatonne) Ruß in die Stratosphäre einbringen. Das hätten ein Absinken der globalen Durchschnittstemperatur um 1,5°C bis 8°C im zweiten Jahr nach dem Krieg zur Folge. Allerdings, so betonen die Autor:innen, könnte es schwierig sein, einen atomaren Krieg zu begrenzen, sobald er einmal begonnen hat. Ein Krieg zwischen den USA und ihren Verbündeten und Russland – die zusammen über mehr als 90 Prozent des nuklearen Arsenals verfügen – könnte 150 Tg Ruß verursachen und einen Temperaturrückgang um 14,8°C. Während der letzten Eiszeit vor 20.000 Jahren waren die Temperaturen um ca. 5°C niedriger als heute. Die Klimaeffekte eines solchen Krieges würden nur langsam zurückgehen und bis zu zehn Jahre anhalten. Die Abkühlung würde auch die Niederschläge in Regionen mit Sommermonsun reduzieren.
Tabelle 1: Atombomben auf urbane Zentren, Sprengkraft, direkte Todesopfer durch Bombenexplosion und Anzahl der von Hungertod bedrohten Menschen in den untersuchten Szenarien
Tabelle 1: Der Fall mit einer Verseuchung durch 5 Tg Ruß entspricht einem angenommenen Krieg zwischen Indien und Pakistan im Jahr 2008, bei dem jede Seite 50 Bomben ihres damals verfügbaren Arsenals in der Stärke einer Hiroshima-Bombe einsetzt.
Die Fälle von 16 bis 47 Tg entsprechen einem angenommenen Krieg zwischen Indien und Pakistan mit der atomaren Bewaffnung, über die sie 2025 verfügen könnten.
Der Fall mit 150 Tg Verseuchung entspricht einem angenommenen Krieg mit Angriffen auf Frankreich, Deutschland, Japan, Großbritannien, die USA, Russland und China.
Die Zahlen in der letzten Spalte sagen aus, wie viele Menschen verhungern würden, wenn der Rest der Bevölkerung mit dem Minimum von 1911 kcal pro Person versorgt würde. Die Annahme geht davon aus, dass der internationale Handel zusammengebrochen ist.
a) Die Zahl in der letzten Zeile/letzten Spalte ergibt sich, wenn 50 % der Futtermittelproduktion auf menschliche Nahrung umgestellt werden.
Die lokale radioaktive Verseuchung von Boden und Wasser in der Umgebung der Bombenexplosionen ist aus der Studie ausgeschlossen, die Schätzungen sind daher jedenfalls sehr konservativ und die tatsächlichen Opferzahlen lägen jedenfalls darüber. Die plötzliche, massive Abkühlung des Klimas und der verminderte Lichteinfall für Photosynthese („nuklearer Winter“) würde bei Nahrungspflanzen zu verspäteter Reife und zusätzlichem Kältestress führen. In mittleren und hohen Breitengraden würde die landwirtschaftliche Produktivität stärker leiden als in subtropischen und tropischen Gebieten. Bei einer Verschmutzung der Stratosphäre mit 27 Tg Ruß würden in mittleren und hohen Breiten der nördlichen Hemisphäre die Ernten um mehr als 50 % zurückgehen, die Fischereierträge um 20 bis 30 %. Für die Atomwaffen besitzenden Länder China, Russland, USA, Nordkorea und Großbritannien würde das Kalorienangebot um 30 bis 86 % zurückgehen, in den südlicheren Nuklearstaaten Pakistan, Indien und Israel um 10 %. Insgesamt würde beim unwahrscheinlichen Szenario eines begrenzt bleibenden nuklearen Kriegs schon durch die Klimafolgen ein Viertel der Menschheit verhungern, bei einem größeren Krieg, dem wahrscheinlicheren Szenario, würden innerhalb von zwei Jahren über 60% der Menschen verhungern.
Die Studie bezieht sich, wie betont werden muss, nur auf die indirekten Wirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion durch die Rußentwicklung eines Atomkriegs. Kriegführende Staaten hätten freilich noch mit anderen Problemen zu kämpfen, nämlich mit zerstörter Infrastruktur, radioaktiver Verseuchung und Unterbrechung von Lieferketten.
Tabelle2: Veränderung der Verfügbarkeit von Nahrungskalorien in den atomwaffenbesitzenden Ländern
Tabelle 2: China umfasst hier Festlandchina, Hongkong und Macao.
Lv = Lebensmittelverschwendung in Haushalten
Die Folgen für die Ernährung hängen allerdings nicht nur von der verursachten Klimaveränderung ab. Die Modellrechnungen kombinieren verschiedene Annahmen über die Zahl an eingesetzten Waffen und den dadurch verursachten Ruß mit weiteren Faktoren: Gibt es weiterhin internationalen Handel, sodass ein lokaler Nahrungsmangel ausgeglichen werden kann? Wird die Produktion von Futtermitteln ganz oder teilweise durch die Produktion von Nahrungsmitteln für Menschen ersetzt? Gelingt es, Lebensmittelverschwendung ganz oder teilweise zu vermeiden?
Im „günstigsten“ Fall einer Verseuchung mit 5 Tg Ruß würden die Ernten global um 7 % zurückgehen. In diesem Fall müsste die Bevölkerung der meisten Länder zwar mit weniger Kalorien auskommen, hätte aber genug, um ihre Arbeitskraft aufrecht zu erhalten. Bei stärkerer Verseuchung würden die meisten Ländern in mittleren oder hohen Breiten an Hunger leiden, wenn sie weiter Futtermittel für Tiere anbauen. Wenn die Futtermittelproduktion halbiert wird, könnten einige Länder in mittleren Breiten ihrer Bevölkerung noch genug Kalorien zur Verfügung stellen. Doch sind dies Durchschnittswerte, und die Frage de Verteilung hängt von der sozialen Struktur eines Landes und der vorhandenen Infrastruktur ab.
Bei einer „mittleren“ Verseuchung mit 47 Tg Ruß könnten genug Nahrungsmittelkalorien für die Weltbevölkerung nur gewährleistet werden, wenn die Futtermittelproduktion zu 100 % auf Nahrungsmittelproduktion umgestellt würde, es keinerlei Lebensmittelverschwendung gäbe und die vorhandenen Lebensmittel gerecht auf die Weltbevölkerung verteilt würden. Ohne internationalen Ausgleich könnten nur weniger als 60 % der Weltbevölkerung ausreichend ernährt werden. Im schlimmsten untersuchten Fall, einer Verseuchung der Stratosphäre mit 150 Tg Ruß würde die weltweite Nahrungsmittelproduktion um 90 % zurückgehen und es würden in den meisten Ländern im Jahr zwei nach dem Krieg nur 25 % der Bevölkerung überleben.
Besonders starke Ernterückgänge werden für wichtige Nahrungsmittelexporteure wie Russland und die USA vorhergesagt. Diese Länder könnten mit Exportbeschränkungen reagieren, was katastrophale Folgen für importabhängige Länder zum Beispiel in Afrika und dem nahen Osten hätte.
Im Jahr 2020 litten je nach Schätzung zwischen 720 und 811 Millionen Menschen an Unterernährung, obwohl global mehr als genug Nahrungsmittel produziert wurden. Das macht es wahrscheinlich, dass auch im Fall einer atomaren Katastrophe weder innerhalb noch zwischen den Ländern eine gerechte Verteilung der Nahrungsmittel stattfinden würde. Die Ungleichheiten ergeben sich aus klimatischen und wirtschaftlichen Unterschieden. So hätte Großbritannien einen stärkeren Ernterückgang als etwa Indien. Frankreich, derzeit Exporteur von Lebensmitteln, würde wegen der Unterbrechung des internationalen Handels in den niedrigeren Szenarien einen Nahrungsmittelüberschuss haben. Australien würde von einem kühleren Klima profitieren, das sich besser für den Weizenanbau eignen würde.
Abbildung 1: Nahrungszufuhr in kcal pro Person pro Tag im Jahr 2 nach einer Verseuchung durch Ruß infolge eines Atomkriegs
Abbildung 1: Die Karte links zeigt die Ernährungssituation im Jahr 2010.
Die linke Spalte zeigt den Fall mit fortgesetzter Viehfütterung, die mittlere Spalte den Fall mit 50 % der Futterpflanzen für menschliche Ernährung und 50 % für Viehfutter, die rechte zeigt den Fall ohne Viehzucht mit 50 % der Futterpflanzen für menschlichen Konsum.
Alle Karten gehen von der Annahme aus, dass kein internationaler Handel stattfindet aber die Nahrungsmittel innerhalb eines Landes gleichmäßig verteilt werden.
In grün markierten Regionen können die Menschen genug Nahrung bekommen, um ihre physischen Tätigkeiten wie gewohnt fortzusetzen. In gelb markierten Regionen würden die Menschen Gewicht verlieren und könnten nur sitzende Tätigkeiten durchführen. Rot bedeutet, dass die Kalorienaufnahme geringer als der Grundumsatz ist, was nach der Erschöpfung der Fettvorräte und der entbehrlichen Muskelmasse zum Tod führt.
150 Tg, 50 % Verschwendung heißt, dass 50 % der sonst im Haushalt verschwendeten Lebensmittel für die Ernährung zur Verfügung stehen, 150 Tg, 0 % Verschwendung bedeutet, dass die gesamten sonst verschwendeten Lebensmittel für die Ernährung zur Verfügung stehen.
Grafik aus : Global food insecurity and famine from reduced crop, marine fishery and livestock production due to climate disruption from nuclear war soot injection, CC BY SA, Übersetzung M. A.
Alternativen in der Nahrungsproduktion wie kälteresistentere Sorten, Pilze, Seetang, Proteine aus Einzellern oder Insekten und dergleichen wurden in der Studie nicht berücksichtigt. Es wäre eine überwältigende Herausforderung, die Umstellung auf solche Nahrungsquellen rechtzeitig zu bewerkstelligen. Die Studie bezieht sich auch nur auf Nahrungskalorien. Menschen brauchen aber auch Proteine und Mikronährstoffe. Vieles bleibt also für weitere Studien offen.
Abschließend betonen die Autor:innen noch einmal, dass die Folgen eines Atomkriegs – auch eines begrenzten – für die globale Nahrungsmittelsicherheit katastrophal wäre. Zwei bis fünf Milliarden Menschen könnten abseits des Kriegsschauplatzes sterben. Diese Ergebnisse sind weitere Belege dafür, dass ein atomarer Krieg nicht gewonnen werden kann und nie geführt werden darf.
Titelbild: 5ofnovember via deviantart
Gesichtet: Verena Winiwarter
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