„Vote for Fritz!“, mit diesem Apell hoffte Michael Fritz auf breite Zustimmung beim Volk. Gewählt werden wollte der 30-jährige, sehr schlanke Schwabe mit Wohnsitz in Hamburg St. Pauli jedoch nicht in den Bundestag oder das Europaparlament, sondern als erster „demokratisch gewählter Millionär“. „Demokratisch reich werden“, mit diesem Motto versuchte die Sendergruppe Pro7SAT1 Zuschauer und Kandidaten für die „Millionärswahl“ zu begeistern. Doch die Show geriet zum Quotendesaster und landete am Ende im Internet.
Wasser für Äthiopien
Das Geld wollte Michael Fritz, der seine Arbeitskraft und Energie als einer von zehn Festangestellten dem eingetragenen Verein „Viva con Agua“ zur Verfügung stellt, verwenden, um 100.000 Menschen in Äthiopien Zugang zu frischem Wasser zu verschaffen. Michael Fritz und seine Mitstreiter sitzen im Brunnenbüro, in einem neuzeitlichen Backsteinbau, der innen durch matte Betonwände und viel Glas die Atmosphäre einer Werbeagentur versprüht. Die Geschäftigkeit in den Räumen von „Viva con Agua“ unterstreicht diesen Eindruck. Nur die zusammengewürfelten Schreibtische und Mitarbeiter im klassischen St.-Pauli-Look – schwarze Hose, schwarzer Sweater mit Totenkopf-Emblem und St.-Pauli-Schriftzug – passen nicht so recht zu diesem Bild. Während der Kampagne für die Wahl von Michael Fritz zum Millionär war das Brunnenbüro die Herzkammer der Wasseraktivisten. Kurze Clips für Social-Media-Plattformen wurden und werden hier konzipiert, um möglichst viele Menschen für das Thema „Alle für Wasser, Wasser für alle“ zu begeistern. „Viva con Agua“ setzt sich ein für eine Welt ohne Durst.
Nestlés „Extremlösung“
Mehr als doppelt so alt wie Michael Fritz ist Peter Brabeck-Letmathe. Auch ihm liegt Wasser am Herzen, doch er hat vor allem das Wohl von Nestlé im Visier. Der 69-jährige Villacher ist Präsident des Verwaltungsrates bei dem größten Nahrungsmittelkonzerns der Welt. Für ihn hängt vom Zugang zum Wasser die Zukunft Nestlés ab. Im Internet löste der Manager vor acht Jahren einen Shitstorm aus, weil er in die Kamera des Dokumentarfilmers Erwin Wagenhofer sagte: „Da gibt es zwei verschiedene Anschauungen. Die eine, würde ich sagen, extrem, wird von den NGOs (Nichtregierungsorganisationen, Anm. des Autors) vertreten, die darauf pochen, dass Wasser zu einem öffentlichen Recht erklärt wird. Das heißt, als Mensch sollten sie einfach das Recht besitzen, Wasser zu haben. Das ist die eine Extremlösung. Und die andere, die sagt, Wasser ist ein Lebensmittel. So wie jedes andere Lebensmittel sollte es einen Marktwert haben. Ich persönliche glaube, es ist besser, man gibt einem Lebensmittel einen Wert, sodass uns allen bewusst ist, dass das etwas kostet. (…)“ Brabeck-Letmathes Äußerungen empörten Globalisierungsgegner auf der ganzen Welt. Aus gutem Grund. Dass rein privatwirtschaftlich geführte Wasserkonzerne vor allem Gewinnmaximierung und nicht die optimale Versorgung der Bürger als Priorität ihres Handelns sehen, zeigt sich überall dort, wo die Wasserversorgung schon privatisiert wurde, so wie in einigen Gemeinden Portugals und Griechenlands, aber auch in London und Berlin. Durch den Verkauf kommunaler Wasserwerke wurde viel Geld in die leeren Gemeindekassen gespült. Konsequenz für die Bürger: Trinkwasser wird fast immer teurer und häufig auch schlechter.
Die Kontroverse ums Wasser
Aus Wut über die negativen Auswirkungen der Privatisierung traf sich am 30. Jänner in der deutschen Hauptstadt erstmals der „Berliner Wasserrat“. Ziel der hier vereinten Organisationen und Initiativen ist es, die Teilprivatisierung der hauptstädtischen Wasserversorgung nach 14 Jahren wieder rückgängig zu machen. Der „Berliner Wasserrat“ fordert, „dass die zukünftig kommunalen Berliner Wasserbetriebe vollständig in Gemeindeeigentum unter direkter Einbeziehung der Bevölkerung zu leiten sind und nicht der Gewinnmaximierung unterliegen dürfen“.
EU-Kommissar Michel Barnier dürften solche Vorstellungen nicht gefallen. Im vergangenen Jahr legte der für den Binnenmarkt zuständige Franzose einen Entwurf für eine Konzessionsrichtlinie vor, die scheinbar genau das Gegenteil festschreiben wollte. Damit entfachte er den größten Aufschrei der europäischen Öffentlichkeit seit der Verbannung der alten Glühbirne. Was war passiert?
Der Vorschlag sah vor, dass eine Kommune die Wasserversorgung auch in private Hände legen kann. Oder anders ausgedrückt, dass internationale Wasserkonzerne sich überall in Europa in die lokale Wasserversorgung einkaufen können. Besonders für Österreich könnte dies einschneidende Folgen haben, denn hierzulande sind 90 Prozent der Trinkwasserversorgung in kommunaler Hand. Die zehn Prozent in Privatbesitz sind hauseigene Brunnen. Bisher kein Markt für Wassermultis.
Kritiker sehen eine „Wassermafia“ am Werk, sie zählen weltweit agierende Unternehmen wie die französischen Konzerne Suez, Saur und Veolia, aber auch Nestlé aus der Schweiz dazu. Ihre Befürchtung: Die Konzessionsrichtlinie führe unweigerlich dazu, Europas Wasserquellen rigoros zu privatisieren. Wasser im Privateigentum zur wirtschaftlichen Bereicherung von Shareholdern? Nestlé-Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck hätte wohl wenig Einwände gehabt, profitieren doch vor allem Weltkonzerne von der immer weiter voranschreitenden Öffnung der Märkte.
„Es drohen der Ausverkauf der Wasserversorgung und die Liberalisierung weiterer sensibler Leistungen der Daseinsvorsorge.“ Thomas Kattnig, Gewerkschafter
Direkte Demokratie: Allererste EU-Bürgerinitiative
Treibende Kraft des Widerstands sind denn auch überall auf dem Kontinent die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. Gemeinsam organisieren sie eine Europäische Bürgerinitiative, kurz EBI, unter dem Schlagwort „Right 2 Water“. Der Internationale Referent der GdG-KMSfB (Gewerkschaft der Gemeindebediensteten – Kunst, Medien, Sport, freie Berufe), Thomas Kattnig, fürchtet: „Es drohen der Ausverkauf der Wasserversorgung und die Liberalisierung weiterer sensibler Leistungen der Daseinsvorsorge.“ Und wahrscheinlich auch der Verlust von Arbeitsplätzen. Nicht zuletzt dank des organisatorischen Fundaments der Gewerkschaften erreicht „Right 2 Water“ als erste EBI nicht nur die notwendige eine Million Unterschriften, sondern auch das Länder-Quorum, das die EU als zusätzliche Hürde für eine erfolgreiche EBI aufgestellt hat. In mindestens sieben Mitgliedsstaaten der Union muss eine länderspezifische Mindestanzahl von Unterschriften gesammelt werden, um in Brüssel Gehör zu finden. In Österreich wurden mit fast 65.000 Unterschriften viereinhalb Mal mehr Signaturen eingereicht, als notwendig sind. In Deutschland waren es am Ende sogar 18 Mal mehr, als notwendig, ganz genau 1.382.195.
Direktdemokratisches Placebo?
Dabei scheint die „Europäische Bürgerinitiative“ auf den ersten Blick nicht viel mehr als ein direktdemokratisches Placebo zu sein. Denn obwohl „Right 2 Water“ schon im September alle bürokratischen Hürden übersprungen hatte, ist die EU-Kommission nicht verpflichtet, das Bürgerbegehren als Gesetzesinitiative ins Europäische Parlament einzubringen. Sie muss lediglich öffentlich Stellung nehmen und behält das alleinige Initiativrecht. Das entspricht allerdings auch unserem Prinzip der repräsentativen Demokratie, auf dem Österreich und die EU aufbauen. Wir alle werden durch das Europäische Parlament vertreten und haben nur durch Stimmabgabe bei den Wahlen die Möglichkeit, über unseren Abgeordneten auf die europäische Gesetzgebung Einfluss zu nehmen.
Der schlechte Stand der EU
Bedauerlich nur, dass der gemeine EU-Bürger immer weniger davon überzeugt zu sein scheint, dass seine Stimmabgabe wirklich etwas bewirken kann. Seit Jahrzehnten ist die Wahlbeteiligung rückläufig. 1979 gaben bei der ersten Direktwahl noch 63 Prozent der Europäer ihre Stimme ab. Bei der letzten Europawahl waren es nur noch 43 Prozent. In Österreich und Deutschland ist es am 25. Mai wieder so weit und dieses Mal könnte die Wahlbeteiligung sogar noch geringer ausfallen. Ist ein Wahlergebnis, das am Ende auf nicht einmal der Hälfte aller Stimmen beruht, noch demokratisch zu nennen? Belgien, Luxemburg und Griechenland kennen dieses Legitimationsproblem nicht, dort gilt Wahlpflicht. Eine Option.
Allerdings würde durch eine Wahlpflicht die Skepsis gegenüber Europa, seinen Politikern und Institutionen kaum geringer werden. Hierzulande ist der Ärger über die Union sogar ganz besonders groß. Nur 25 Prozent der Österreicher haben eine gute Meinung zur EU, aber 35 Prozent eine negative.
Formen Direkter Demokratie könnten durchaus dafür sorgen, dass sich der Einzelne in Europa wiederfindet. Dies scheint ein aktueller Trend zu sein. Immer lauter wird der Ruf nach direkter Bürgerbeteiligung. Große Hoffnung ruht dabei auf „Right 2 Water“. Schon die immense Unterstützung in Form von mehr als einer Million Unterschriften innerhalb eines halben Jahres löste auf Brüssel einen so hohen Druck aus, dass am 25. Juni vergangenen Jahres die Wasserwirtschaft von der Konzessionsrichtlinie ausgespart wurde. Ein riesiger Erfolg für „Right 2 Water“. Und ein Etappensieg.
Doch nur gut Organisierte haben die Chance, länderübergreifend von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden und damit ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen. So wie jetzt die Gewerkschaften, die „Right 2 Water“ unterstützen und in Kürze vielleicht auch die katholische Kirche, in deren Reihen sogenannte Lebensschützer die Bürgerinitiative „Einer von uns“ gegründet haben. Sie will erreichen, dass keine EU-Gelder mehr für Embryonenversuche und Klonen ausgegeben wird.
Am 17. Februar war es so weit. Erstmals können die Organisatoren einer EBI in Brüssel Vertretern der Kommission und EU-Abgeordneten ihre Argumente vortragen. Thomas Kattnig war dabei. „Wasser als Menschenrecht“ anzusehen, entspricht eigentlich dem gesunden Menschenverstand. Eigentlich. Durchaus nicht alle Abgeordneten zeigen sich offen für alle Forderungen von „Right 2 Water“. Die Anhörung ist auch ein Weckruf für alle Lobbyisten der Wasserindustrie, doch auch Kattnig gibt sich kämpferisch. Wasser als Lebensgrundlage gegen privatwirtschaftliche Wertschöpfung zu schützen sieht der 47-jährige SPÖ-Abgeordnete im aufziehenden Europawahlkampf als wichtiges Thema seiner Partei.
EU-Kommission verspricht …
Wie weit die EU-Kommission dem Anliegen von „Right 2 Water“ am Ende nachgibt, wird über die Glaubwürdig- und Sinnhaftigkeit dieses direktdemokratischen Instruments entscheiden. Kurz vor Redaktionsschluss gab Vizepräsident Maroš Šefcovic bekannt: „Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben ihr Anliegen vorgebracht und die Kommission hat heute positiv darauf reagiert. Als direktes Ergebnis dieses ersten gesamteuropäischen, bürgergesteuerten Demokratieprozesses kommen verbesserte Wasserqualität, Infrastruktur, Abwasserentsorgung und Transparenz allen Menschen – in Europa und in den Entwicklungsländern – zugute. Ich beglückwünsche die Organisatoren zu ihrem Erfolg.“ – Was wirklich folgt, bleibt abzuwarten.
Selbst Peter Brabeck zeigt sich „beeindruckt von der breiten Diskussion, die die EBI Right 2 Water in Gang gebracht hat“, so formuliert es Philippe Aeschlimann, eine „Corporate Spokesperson von Nestlé“. Zufall oder nicht, am 4. September vergangenen Jahres stellte der Lebensmittelkonzern ein Video mit Brabeck auf YouTube ein, in dem er ganz anders klingt als bei seiner berüchtigten Äußerung von 2005. Jetzt sagt er: „Ich habe das Menschenrecht auf Wasser immer unterstützt. Jeder Mensch sollte genügend sauberes und sicheres Wasser für seine grundlegenden täglichen Bedürfnisse haben, um die 50 bis 100 Liter pro Tag. (…) Wir müssen anfangen, Wasser als wertvolle Ressource zu verstehen.“
Michael Fritz (Bild) und seine Mitstreiter von Viva con Agua (VcA) stimmen mit diesen Worten Peter Brabecks überein, dennoch trennen sie Welten. Denn während der Nestlé-Chairman die „wertvolle Ressource“ vor allem mit einem Preisschild versehen möchte, steht für die Wasseraktivisten die kostenlose Zugänglichkeit für 768 Millionen Menschen zu diesem wichtigsten aller Lebensmittel im Vordergrund. Michael Fritz plädiert dafür, dass Konzerne prinzipiell nicht Besitzer der wertvollsten Ressource des Planeten sein sollten, sagt aber im selben Atemzug, dass „Viva con Augua“ nicht zu politisch werden will. Es ist die sinnvolle Tätigkeit, gepaart mit viel Spaß, die ihn und das Projekt vorantreiben.
Aufschlussreich ist, wie der Nestlé-Sprecher Philippe Aeschlimann versucht, den Konzern aus der Verantwortung zu nehmen: Flaschenwasser „ist weder Teil des Problems noch Teil der Lösung, dazu sind schon die Mengen viel zu klein. Im Falle des von Nestlé verkauften Wassers sind es lediglich 0,0009 Prozent des insgesamt für menschlichen Gebrauch abgezogenen Süßwassers. Nestlé ist nicht in der öffentlichen Wasserversorgung tätig und hat auch nicht die Absicht, die Geschäftstätigkeiten auf leitungsgebundene Wasserversorgung auszuweiten.“ Dennoch ein gigantisches Geschäft. Nach Recherchen des schweizerischen Fernsehens macht Nestlé mit dieser scheinbar verschwindend geringen Wassermenge einen Umsatz von neun Mrd. Franken, also rund 7,4 Mrd. Euro. Dies entspricht ungefähr dem Staatshaushalt der Republik Zypern.
Das Wasser, das in Flaschen abgefüllt wird, kommt aber auch aus irgendwelchen Quellen. Auch „Viva con Agua“ verfügt über eine eigene Quelle. Sie liegt in einem Wald bei Husum an der deutschen Nordseeküste. 84 Meter tief ist der Brunnen Nr. 18 der Stadtwerke Husum-GmbH. Die Husumer füllen das „Viva con Agua“-Quellwasser ab. Vom Verkaufsgewinn fließen 60 Prozent in Wasserprojekte in Afrika und Asien, 40 Prozent sollen langfristig das eingesetzte Startkapital wieder einspielen. Dennoch, sagt Michael Fritz, sei es am sinnvollsten, wenn Durstige Leitungswasser trinken, weil es Ressourcen schont. Und „wenn das nicht möglich ist, dann abgefülltes, soziales Wasser, also Viva con Auga“. Das soziale Flaschenwasser ist in Österreich noch nicht erhältlich. Aber vielleicht fragen Sie mal bei ihrem Händler. Wäre doch eine Option!