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Vorbild Scheidung – Kolumne von Mira Kolenc

Mira Kolenc

Die Liebe ist ein seltsames Spiel. Und keiner weiß so genau, wie man es spielt, noch, ob es überhaupt Spielregeln gibt. Beim Sex fangen wir genauso bei Null an wie bei Beziehungen. Nur durch Ausprobieren sammeln wir ein paar Erkenntnisse, die uns manchmal weiterbringen, manchmal aber auch nicht. Und es ist doch nur gerecht, dass das Unwissen auf alle gleich verteilt ist, oder etwa doch nicht?

Es gibt eine Weitergabe des Scheidungsrisikos an die nächste Generation. […] Mittlerweile stellt sich viel eher die Frage: Sind wir nicht alle ein bisschen Scheidungskind?

Seit den Siebzigerjahren gibt es Untersuchungen darüber, wie sehr sich eine Scheidung der Eltern später auf die Beständigkeit der Ehe ihrer Kinder auswirkt und die Erkenntnis ist: Es gibt eine Weitergabe des Scheidungsrisikos an die nächste Generation. Warum dies so ist und welche Faktoren dabei noch eine Rolle spielen, ist, wie so oft, nicht ganz klar. Da ist der Mensch eben doch zu komplex. Bindungserfahrungen sind zwar prägend, aber im Einzelfall kommt es immer noch auf das Verhältnis zwischen belastenden Faktoren und Bewältigungsangeboten an, sprich: Eine Scheidung kann zwar einen Risikofaktor darstellen, andauernde familiäre Streitigkeiten sind aber längerfristig viel schlimmer für den Nachwuchs und dessen Entwicklung sowie seinen späteren Umgang mit Paarkonflikten.

Interessant ist auch, so ergaben (andere) Studien, dass Jugendliche mit geschiedenen Eltern häufiger Liebesbeziehungen führten als deren Altersgenossen aus Elternhäusern mit intakten Ehen. Es wird vermutet, dass die Disharmonie des Elternhauses bei Scheidungskindern das Bedürfnis nach Halt in einer romantischen Beziehung fördert.
Soweit die Wissenschaft. Vergessen darf man dabei aber nicht, dass diese ganzen Studien auf Zahlen basieren, deren Erhebung schon länger zurückliegt. Die Welt hat sich mit den sozialen Netzwerken jedoch ziemlich verändert. Mittlerweile stellt sich viel eher die Frage: Sind wir nicht alle ein bisschen Scheidungskind? Allgemein gilt: Je älter man wird, desto komplexer ist es mit der Liebe. Das Mehr an Wissen, könnte man meinen, sei ein Vorteil, aber in der Liebe bleiben wir bis zum Ende Idioten. Mit sieben fanden wir noch den Jungen toll, der die gleiche Begeisterung für besonders kleine Schnecken teilte, mit sechzehn gefiel uns der Nachbarjunge einfach nur deshalb, weil er ein Mofa hatte und mit zwanzig war der nerdige DJ besonders cool, einfach nur, weil er über ein Wissen verfügte, das man selbst nicht besaß und einen am Ende auch nicht wirklich interessierte.

Doch dann kommt dieser dramatische Moment, in dem Frauen sagen: Am Wichtigsten ist es doch, dass er Humor hat! Und meinen damit die selbe hohe Bildung wie sie selbst, einen herausragenden Status oder die Aussicht darauf, sowie ausreichende ökonomische Ressourcen. Es soll doch bitte ein Mann sein, der sich auch als schmückende Brosche auf der Bluse eignet. Ob an dieser nun mehr oder weniger Knöpfe geöffnet sind, und wie die Welt gerade dazu steht, ist herzlich egal.

Bei Männern wiederum steigen die Ansprüche an eine potentielle Partnerin häufig dann dramatisch an, wenn eine langjährige Beziehung scheiterte.
Wie auch immer. Der steigende Anspruch im Alter wäre an sich kein Problem. Zumindest hat er noch nie den Menschen davon abgehalten, sich weiterhin zu paaren. Nun aber gab man ihm ein Werkzeug an die Hand, das scheinbar das möglich macht, was unmöglich scheint: den Traumpartner in einem World Wide Web-Katalog auszusuchen.

„Wer seine Beziehung nur nach dem Baukastenprinzip konstruiert, bekommt nur das, was er will – aber nicht unbedingt das, was er braucht.“

Allein das Wissen um diese Möglichkeit macht den ein oder anderen bereits wahnsinnig. In einem Interview mit der ZEIT spricht Arne Kahlke, einst Chef von Elitepartner und Parship, das aus, was uns selbst langsam dämmert: „Die Menschen werden nicht glücklicher, wenn sie sich alles selbst aussuchen können.“ Und Kahlke sagt weiter: „Wer seine Beziehung nur nach dem Baukastenprinzip konstruiert, bekommt nur das, was er will – aber nicht unbedingt das, was er braucht.“
Die gefühlt unendlichen Möglichkeiten, die da auf einen warten, lassen so manchen auch leichtherziger eine Beziehung beenden. Nicht umsonst war die Scheidungsrate in Großstädten schon immer höher als anderswo.

Vermutlich ist für das Scheidungsrisiko entscheidender, wie man als Kind auf den Marshmallow-Test reagiert hätte. Denn hier sind wir auch schon wieder bei der kniffligen Frage, warum ein Kind warten kann, während das andere sofort der Bedürfnisbefriedigung anheim fällt (und den Marshmallow isst). Veranlagung? Sozialisierung? Erfahrung?
Ob bei diesen Tests explizit auf jeweilige Tendenzen bei Scheidungs- und Nichtscheidungskindern geachtet wurde, weiß ich leider auch nicht. Das Internet ist auf jeden Fall ein riesengroßer Marshmallow und wenn Sie dessen Versuchungen widerstehen können, dann werden Sie vielleicht belohnt. Und zwar ganz unabhängig davon, was Ihre Eltern so getrieben haben.

Geschrieben von Mira Kolenc

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