Wohnen, insbesondere leistbares, ist ein zentrales, politisches Thema – nicht nur in Österreich. Der Soziale Wohnungsbau soll hier Abhilfe schaffen. Doch gerade in Zeiten wirtschaftlicher Engpässe fällt auch der durch Steuermittel geförderte, solziale Wohnbau so manchem Sparstift zum Opfer. Eine internationale Entwicklung der letzten Jahre, die in der Europäischen Union eine heftige Debatte ausgelöst hat. Die zentrale Frage: Wer darf den Sozialen Wohnbau in Anspruch nehmen?
Eine Frage des Wettbewerbs?
Anstoß zur europaweiten Diskussion lieferte 2005 eine Klage des Vermieterverbandes European Property Foundation, ein Vertreter privater Vermieter, in Schweden an die Wettbewerbskommission der EU – wegen Wettbewerbsverzerrung durch günstigerer Kredite gegenüber den freifinanzierten, privaten Immobilienentwicklern. Tenor: Keiner am Markt sollte bevorzugt werden und sich durch öffentliche Mittel Vorteile verschaffen können. Auch nicht im Rahmen des Soziale Wohnbaus. Der müsse, so der Wunsch der privaten Vermieter, entweder unter den gleichen Bedingungen arbeiten oder dürfe nur tatsächlich Bedürftigen zugute kommen.
Doch während sich die Skandinavier an einen Tisch setzten und einen Kompromiss ausverhandelten, fanden sich in den Niederlanden erfolgreichere Nachahmer. 2010 bestätigte die EU-Kommission die niederländische Klage in der Frage des freien Wettbewerbs. Mit Folgen, wie Barbara Steenbergen vom internationalen Mieterbund IUT, umreißt: „Damit musste die Versorgung auf die Ärmsten eingeschränkt werden. Es ist nur eine Frage der Zeit bis Ghettos entstehen.“
Der niederländische (Ver-)Fall
Die neuen Spielregeln in den Niederlanden: Für die „Wocos“, die gemeinnützigen Bauträger, gilt eine Einkommensgrenze von 33.000 Euro pro Jahr (bisher 38.000 Euro) – brutto und nun auch unabhängig von der Zahl der Bewohner eines Haushaltes. Zum Vergleich: In Wien etwa gilt als Einzelperson eine Netto-Einkommensgrenze von 43.970 Euro pro Jahr (zwei Personen: 65.530 Euro ff) als Voraussetzung für eine geförderte Miet- und Genossenschaftswohnung. 550.000 heimische Haushalte und etwa 1,25 Millionen Menschen nutzen in Österreich den sozialen Wohnbau. Wie viele hätten bei gesenkter Einkommensgrenze noch Anspruch auf die geförderte Wohnung?
Steenbergen über die Situation in den Niederlanden: „650.000 Haushalte sind damit unmittelbar ausgeschlossen worden. Der Mietpreis in Amsterdam für eine 45 Quadratmeter Wohnung beläuft sich aktuell auf rund 1.000 Euro. Am Stadtrand betragen die Wartezeiten inzwischen bis zu neun Jahre.“ Zudem droht auch die Gebäudequalität enorm zu leiden. Durch die gesunkenen Einkommensgrenzen und Mieten müssen die künftigen Wohnquartiere ebenfalls möglichst billig errichtet werden.
Der Soziale Wohnbau als Staatsziel
2011 drohte sich Ähnliches in Frankreich zu wiederholen. Abermals klagte eine private Vermietergesellschaft bei der EU – stieß jedoch auf den Widerstand der „Grande Nation“: In der Beantwortung an die EU im Mai 2013 erklärte Frankreich den sozialen Wohnbau kurzerhand zum Staatsziel. Seitdem herrscht Stille zur Causa. Die Eigenverantwortung des nationalen Staates hat offenbar über das Wettbewerbsprinzip der EU obsiegt. Schließlich gilt für den Wohnbau das Subsidiaritätsprinzips – er ist reine Angelegenheit der Nation.
EU-Diskussion zum Sozialen Wohnbau
Fragen, die nun innerhalb der EU verstärkt zum Thema werden: Im Juni 2013 beschloss das EU-Parlament einen Berichtsentwurf über den sozialen Wohnbau in der Europäischen Union. Ein erstes Diskussionspapier mit zahlreichen Vorschlägen, Forderungen und Hinweisen. Was daraus wird? Man weiß es nicht. „Die Kommission hat sich noch immer nicht dazu ausgesprochen“, sichtet Steenbergen von der IUT auch demokratische Engpässe in der EU: „Wenn sich alle dagegen aussprechen und die Kommission bewegt sich immer noch nicht, liegt dann nicht ein Demokratie-Defizit vor? Beamte bestimmen gegen das eindeutige Votum der Parlamente.“
Für Claire Roumet, Generalsekretärin des Europäischen Verbindungsausschuss für die soziale Wohnungswirtschaft CECODHAS, kommt das Papier kein bisschen zu früh: „Ich nenne die letzten 20 Jahre die zwei verlorenen Jahrzehnte der sozialen Wohnbaupolitik. Es kam überall zu einem Anstieg der Wohnkosten. Teile der Bevölkerung haben nicht genug Geld für Wohnraum.“
Die unterschiedlichen Auslegungen des sozialen Wohnbaus seien eine grundsätzliche Frage, keine Frage der Ländergröße: „Die meisten Länder konzentrieren sich auf die Eigentumsförderung. Während der Krise gibt es aber weniger Mittel für den Wohnbau, Subjektförderungen werden heruntergefahren. Das ist nicht nachhaltig. Wohnbaugelder müssen entsprechend angepasst werden“, stellt Roumet klar.
„Wir haben uns eine Rückkehr zur Gemeinnützigkeit auf die Fahnen geschrieben. Ich denke, wir müssen den Verantwortlichen erklären, wie gemeinnütiger Wohnungsbau funktioniert. In den meisten Ländern kennt man nur den liberalen und den total subventionierten Markt. Eine leistbare Wohnraumversorgung funktioniert aber nicht über den Markt. Der Markt hat die Tendenz Preise hochzudrehen“, wünscht sich Steenbergen vom internationalen Mieterbund nicht nur eine Expertengruppe der Kommission, sondern auch die Verbreitung des österreichischen Modells.
Der österreichische Weg als Vorbild
Aber was macht das österreichische Modell im internationalen Vergleich überhaupt aus? Wolfgang Amann vom heimischen Forschungsinstitut für Immobilien, Bauen und Wohnen IIBW: „Wir haben ein System mit sogenannten integrierten Mietenmärkten. Das heißt, dass der gewerbliche und der soziale Mietenmarkt im Wettbewerb zueinander stehen. Wohnungssuchenden Haushalten – außer den wirklich wohlhabenden – stehen beide Marktsegmente offen. Das führt zu einem wohltuenden Preis- und Qualitätswettbewerb. Gleichzeitig liegen die Sozialmieten nur moderat unter den freien Marktmieten. Das führt dazu, dass der öffentliche Aufwand für die Wohnbauförderung unter dem EU15-Durchschnitt liegt.“
Doch wie jeder weiß, ist nicht alles perfekt. „Wir haben ein sogenanntes Insider-Outsider-Problem. Die allermeisten Haushalte mit alten Mietverträgen wohnen gut und günstig. Wer aber aktuell auf der Wohnungssuche ist, hat es sehr viel schwerer. Zudem betrifft das überwiegend junge Haushalte, die insgesamt mit knapperen Budgets auskommen müssen. Generell gilt: Wer einen langen Planungshorizont hat, ist massiv im Vorteil. Wer nicht weiß, wo er in einem halben Jahr leben wird, muss recht teuer dafür zahlen“, umreißt Amann die aktuelle Situation. Im internationalen Vergleich steht Österreich jedoch, wie die vorgegangenen Beispiele ebenfalls zeigen, bei Preis und Angebot gut da.
Miete in Österreich
Seit dem Jahr 2009 stieg der Anteil am verfügbaren Haushaltseinkommen, der für Wohnkosten in Mietwohnungen aufgebracht werden muss, von 23 Prozent auf 25 Prozent. Die Entwicklung fällt nach Mietkategorie unterschiedlich aus. In privaten Hauptmieten stieg der Wohnkostenanteil um etwa drei Prozentpunkte und lag im Jahr 2013 bei 28 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens. Hohe Wohnkostenanteile weisen vor allem Haushalte ohne Pension, d. h. überwiegend jüngere Haushalte auf. Dabei sind vor allem alleinlebende Personen (Frauen 31 Prozent, Männer 28 Prozent) und Ein-Eltern-Haushalte (31 Prozent) betroffen. Wesentlich für die Höhe des Wohnkostenanteils ist nicht zuletzt, wie lange der Haushalt bereits in der Wohnung wohnt.
Die Mieten für Hauptmietwohnungen stiegen seit 2009 in den einzelnen Mietsegmenten unterschiedlich stark. Während die Kostensteigerung zwischen 2009 und 2013 insgesamt bei 13 Prozent lag, stiegen die Wohnungsmieten im privaten Mietsektor um 17,2 Prozent, nämlich von 6,6 auf 7,8 Euro pro Quadratmeter. Die Steigerungen bei Genossenschaftswohnungen waren mit zehn Prozent im selben Vergleichszeitraum deutlich geringer. Für Gemeindewohnungen musste im Jahr 2013 um 8,3 Prozent mehr bezahlt werden als noch 2009.
Bei Neuverträgen (bis zu fünf Jahren bisheriger Mietdauer) wird im Schnitt 7,6 Euro pro Quadratmeter bezahlt. Haushalte, die langfristige Mietverträge mit mehr als 30-jähriger Vertragsdauer haben, wenden 4,8 Euro inklusive Betriebskosten auf.
(Quelle: Statistik Austria)
Förderung & Gemeinnützigkeit
Für Markus Sturm, Obmann des Vereins für Wohnbauförderung vwbf beruht der Erfolg des österreichischen Wohnbausystem vor allem auf zwei Säulen: „Das ist zum einen die Wohnbauförderung und zum anderen die gemeinnützige Wohnungswirtschaft. Mit dem partnerschaftlichen Zusammenspiel aus einer finanziell gut ausgestatteten Objektförderung und sozial gebundenen Wohnbauträgern ist es gelungen, in den letzten Jahrzehnten die Versorgung mit günstigem Wohnraum stark auszuweiten.“ Im Detail: Mit einem Anteil von 24 Prozent am gesamten Wohnungsbestand liegt der soziale Wohnbau in Österreich im EU-Vergleich an zweiter Stelle.
Abseits der Wohnversorgung stellt das System mit den Gemeinnützige Wohnbauträger auch einen volkswirtschaftlichen Faktor dar, wie Sturm unterstreicht: „Aufgrund der kontinuierlich zur Verfügung stehenden Wohnbauförderungsmittel und eigenkapitalstarker gemeinnütziger Bauvereinigungen ist nicht nur eine stabile Neubauleistung von im Schnitt rund einem Drittel der insgesamt fertiggestellten Wohnungen pro Jahr gewährleistet, sondern auch starke konjunkturelle Impulse sichergestellt.“
Gemeinnützige Bauträger
Etwa jeder sechste Bewohner Österreichs lebt in einer von Gemeinnützigen errichteten und/oder verwalteten Wohnung. Aktuell verwaltet die gemeinnützige Wohnungswirtschaft bundesweit 865.700 Wohnungen, davon 252.800 Eigentumswohnungen. Das entspricht etwa 25 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes in Österreich. Vor dreißig Jahren lag dieser Anteil noch bei rund zehn Prozent. 2013 wurden von den Bauvereinigungen 13.720 Wohnungen fertiggestellt, 2014 waren es 16.740 neue Wohnungen.
Von den derzeit jährlich insgesamt rund 50.000 fertiggestellte Wohnungen sind 50 Prozent gefördert, 50 Prozent freifinanziert (vorher: 70 Prozent/30 Prozent). Der geförderte Geschoßwohnungsbau wird aktuell zur Gänze von den Gemeinnützigen geschultert, die gewerblichen Bauträger engagieren sich im freifinanzierten Eigentumswohnungsbau. (Quelle: GBV).
Zurück zur Zweckbindung
Deshalb sei es auch so wichtig, die Wohnbauförderung festzuschreiben: „Zur Sicherung des Wohnbaumodells ist die Wiedereinführung der Zweckbindung der Wohnbauförderung sicherlich eine Voraussetzung. Möchte man den sozialen Wohnbau auf gewohnt hohem Niveau erhalten, braucht es aber auch Maßnahmen zur Stärkung der gemeinnützigen Wohnbauunternehmen ebenso wie effiziente Instrumente zur Grundstücksbeschaffung für den sozialen Wohnbau.“ Ähnlich sieht das auch Amann vom IIBW: „Ich plädiere für Langeweile! Wir brauchen Kontinuität bei der finanziellen Sicherstellung der Wohnbauförderung. Wir brauchen ein ausgewogenes Verhältnis von gefördertem und freifinanziertem Wohnbau. Wir brauchen wettbewerbsorientierte gemeinnützige Bauvereinigungen.“
Aktuelle Wohnbaustatistik
2013 wurden österreichweit knapp 51.000 Wohnungen errichtet. Nicht enthalten sind die in Wien durch An-, Auf-, Umbautätigkeit an bestehenden Gebäuden zu errichtenden Einheiten. Mit dieser aktuellen Zahl wurde ein um mehr als 16 Prozent höheres Ergebnis als für das Vorjahr gemeldet. Gegenüber dem Jahr 2011 betrug die Steigerung annähernd 30 Prozent. Das im Jahr 2013 erzielte gute Fertigstellungsergebnis ist hauptsächlich auf den mehrgeschoßigen Wohnbau zurückzuführen, welcher im Durchschnitt um fast die Hälfte mehr Wohnungen hervorbrachte als in den letzten beiden Jahren zuvor (plus 36 Prozent im Vergleich zu 2012, plus 58 Prozent gegenüber 2011).
(Quelle: Statistik Austria)
Sozialer Friede durch breiten Zugang
Doch zurück zur wesentlichen Frage, wer nun Zugang zum Sozialen Wohnbau haben sollte – und warum. Sturm vom vwbf: „Im Unterschied zu anderen Ländern zeichnet sich der geförderte Wohnbausektor durch einen Zugang breiter Bevölkerungsschichten aus. Das hat sich bewährt. Durch die dadurch bewirkte soziale Durchmischung konnten segregative Tendenzen wie etwa in französischen Städten (Banlieus) und damit räumlich sichtbare soziale Schichtungen mit oftmals damit verbundenen sozialem „Sprengstoff“ wirksam verhindert werden.“
Mit dieser Meinung ist Sturm nicht alleine, auch Wohnbaupolitik-Experte Amann erkennt im heimischen, breiten Zugang zum Sozialen Wohnbau eine Notwendigkeit: „Der österreichische Weg mit großen Sozialwohnungssektoren, die auch dem Mittelstand offen stehen, hat gleich mehrere Vorteile. Das Zusammenleben aller sozialer Schichten in denselben Wohnhäusern ist ein immens wirkungsvoller sozialer Kitt. Wer sich täglich sieht und grüßt und die Kinder des Nachbarn kennt, hat ein wesentlich besseres Verständnis für die oft ganz ungewohnten Probleme der anderen „sozialen Schicht“. Die soziale Integration hat zur Folge, dass es bei uns keine Ghettos und keine brennenden Vorstädte gibt. Die Sozialmieten sind so teuer, dass selbst breit aufgestellter geförderter Wohnbau billiger ist, als etwa das Wohnbeihilfensystem in Großbritannien oder die steuerliche Förderung in den Niederlanden.“
In der Bundeshauptstadt Wien ist die soziale Durchmischung ein wesentlicher Faktor der Wohnbaupolitik. Regelmäßige Spitzenplatzierungen als weltweit lebenswerteste Stadt honorieren auch diesem Umstand. Christian Kaufmann, Sprecher von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig: „Wir wollen keine Konzentration von soziale Schwachen in bestimmten Vierteln. Das zeichnet Wien aus und das wollen wir auch erhalten. Wegen den Niederlanden, Schweden und Frankreich haben wir die Resolution zur Erhaltung des sozialen Wohnbaus gestartet, der sich europaweit 30 Städte angeschlossen haben.“