in

Was Menschen zu Flüchtlingen macht

60 Millionen Menschen waren Ende 2014 weltweit auf der Flucht, ein Jahr zuvor 51,2 Millionen. In Österreich erwartet das Innenministerium für das Jahr 2015 bis zu 80.000 Asylanträge. – Der massive Anstieg wurde vor allem durch den Krieg in Syrien verursacht. 7,6 Millionen Syrer sind Flüchtlinge im eigenen Land, knapp 3,9 Millionen in den Nachbarländern gestrandet – der Rest kommt nach Europa. Aber auch in anderen Ländern herrschen kriegerische Konflikte – neben Syrern kommen vor allem Flüchtlinge aus Afghanistan und dem Irak nach Europa. Die Gemeinsamkeit: Bei all diesen Konflikten haben andere Länder ihre Finger im Spiel.

Flucht

Flüchtlinge: Folgen industriestaatlicher Interessen

Das Regime des syrischen Diktators Baschar al-Assad wird von Russland mit Waffen versorgt. Die Irak-Krise und die Erstarkung des IS (Islamischer Staat) ist eine direkte Folge des Irak-Feldzuges von US-Präsident George Bush. „Das Machtvakuum, das durch die Auflösung der Armee entstand, wurde von Ablegern der Al Kaida gefüllt – daraus formte sich der heutige Islamische Staat oder IS“, erklärt Nahost-Expertin Karin Kneissl.

„Es ist erschreckend zu beobachten, dass jene straflos bleiben, die Konflikte auslösen.“
António Guterres, UN-Flüchtlingskommissar António Guterres

Immer wieder ist Erdöl ein Auslöser für Kriege, wie die Hochschuldozenten Petros Sekeris (Universität von Portsmouth) und Vincenzo Bove (Universität von Warwick) herausfanden. Sie untersuchten für eine Studie 69 Länder, in denen zwischen 1945 und 1999 Bürgerkriege wüteten. In rund zwei Drittel der Konflikte griffen ausländische Mächte ein, unter anderem Großbritannien in Nigeria (1967 bis 1970) oder die USA im Irak 1992. Das Ergebnis der Studie: Länder, die über hohe Erdölreserven und eine gewisse Marktmacht verfügen, können auf militärische Unterstützung aus dem Ausland hoffen. Nigeria kommt bis heute nicht zur Ruhe: Dort beuten die Ölfirmen Shell und ExonMobil seit Jahrzehnten die Ölvorkommen des Nigerdeltas aus und zerstören Natur und Lebensgrundlagen der Bevölkerung. Die Unternehmen profitieren mit Hilfe der nigerianischen Regierung von den reichen Ölvorkommen, die Bevölkerung dagegen wird nicht an den Gewinnen beteiligt. Die Folge sind zahlreiche, oft bewaffnete Konflikte. „Es ist erschreckend zu beobachten, dass jene straflos bleiben, die Konflikte auslösen“, kritisiert UN-Flüchtlingskommissar António Guterres. Auch Diktatoren können auf Hilfe aus dem Ausland zählen: Der libysche Diktator Muammar Gadafi verschob knapp 300 Millionen Euro auf Schweizer Konten, ähnlich ging der ehemalige ägyptische Machthaber Hosni Mubarak vor. „Dieses Geld fehlt den Nachfolgeregierungen für den Aufbau des Landes“, erklärt Attac-Sprecher David Walch.

„Die Globalisierung der Konzerne ist nichts anders als eine Fortsetzung der Ausbeutung in finstersten Kolonialzeiten. […] Ein Fünftel der brasilianischen Ackerfläche wird bereits für den Anbau von Tierfutter für die EU-Länder verwendet, während ein Viertel der Bevölkerung von Hunger bedroht ist.“
Klaus Werner-Lobo, Autor von „Uns gehört die Welt“

Machenschaften der Unternehmen

Zu den sogenannten Push-Faktoren, die Menschen dazu bringen, ihr Land zu verlassen, gehören Armut, Unterdrückung und Verfolgung; Anziehungsfaktoren sind die Aussicht auf Wohlstand, Versorgung und auf ein menschenwürdiges Leben. „Menschliche Grundbedürfnisse sind auf der ganzen Welt gleich: Essen, ein Dach über dem Kopf und Bildung für die Kinder“, meint Caritas-Sprecherin Margit Draxl. „Die allermeisten Menschen wünschen sich ein gutes Leben in ihrer Heimat, nur ein kleiner Teil will weg.“ Doch Globalisierung und ausbeuterische Unternehmen entziehen Menschen in Entwicklungsländern ihre Lebensgrundlagen. „Die Globalisierung der Konzerne ist nichts anders als eine Fortsetzung der Ausbeutung in finstersten Kolonialzeiten“, schreibt Klaus Werner-Lobo in seinem Buch „Uns gehört die Welt“.

„Die allermeisten Menschen wünschen sich ein gutes Leben in ihrer Heimat, nur ein kleiner Teil will weg.“
Margit Draxl, Caritas

Als Beispiel nennt er den Bayer-Konzern, einen der wichtigsten Abnehmer von Coltan. Aus Coltan wird das Metall Tantal gewonnen, das wiederum für die Herstellung von Mobiltelefone oder Laptops verwendet wird. Bis zu 80 Prozent der weltweiten Coltan-Vorkommen liegen in der Demokratischen Republik Kongo. Dort wird die Bevölkerung ausgebeutet, die Profite bleiben einer kleinen Elite vorbehalten. Seit 1996 herrschen im Kongo Bürgerkrieg bzw. bewaffnete Konflikte. Jeder Cent, den die Kriegsparteien durch den Verkauf von Rohstoffen verdienen, fließt in Waffenkäufe und verlängert den Krieg. In den kongolesischen Minen schuften Arbeiter, darunter viele Kinder, unter unmenschlichen Bedingungen. Auch der Lebensmittelkonzern Nestlé wird in Hinblick auf Menschenrechten vielfach kritisiert: Ein Grundrecht des Menschen ist etwa der Zugang zu sauberem Wasser, in Entwicklungsländern oft Mangelware. Nestlé-Verwaltungsratschef Peter Brabeck macht kein Geheimnis daraus, dass Wasser in seinen Augen kein öffentliches Gut ist, sondern einen Marktwert wie jedes andere Lebensmittel haben sollte. In Ländern wie Pakistan pumpt Nestlé Grundwasser ab, um es in Flaschen zu füllen und als „Nestle Pure Life“ zu verkaufen.

Hunger ist von Menschen gemacht

Der foodwatch-Report „Die Hungermacher: Wie Deutsche Bank, Goldman Sachs & Co. auf Kosten der Ärmsten mit Lebensmitteln spekulieren“ liefert wiederum erdrückende Belege dafür, dass Nahrungsmittelspekulationen an den Rohstoffbörsen die Preise treiben und Hunger verursachen. „Allein 2010 wurden durch höhere Nahrungsmittelpreise 40 Millionen Menschen zusätzlich zu Hunger und absoluter Armut verdammt“, heißt es in dem Bericht. Dazu kommt, dass ein Großteil der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen in Entwicklungsländern für die Produktion von Exportgütern genutzt wird. Immer öfter auch für den Anbau von Soja, das dann als Tierfutter nach Europa verschifft wird. „Ein Fünftel der brasilianischen Ackerfläche wird bereits für den Anbau von Tierfutter für die EU-Länder verwendet, während ein Viertel der Bevölkerung von Hunger bedroht ist“, schreibt Klaus Werner-Lobo. „Ein Kind das heute an Hunger stirbt, wird ermordet“, folgert Jean Ziegler, Schweizer Autor und Menschenrechtsaktivist. „Hungernde Menschen sind meist zu schwach, um ihr Land zu verlassen“, erklärt Caritas-Sprecherin Margit Draxl. „Diese Familien schicken dann oft den stärksten Sohn weg, um die zurückbleibende Familie zu unterstützen.“

Verkehrte Entwicklungshilfe

Ausgaben für Entwicklungshilfe sind angesichts dieser Machenschaften nur ein Tropfen auf den heißen Stein, zumal Österreich seiner Verantwortung nicht gerecht wird: Die UNO sieht vor, dass jedes Land der Welt 0,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes BIP für Entwicklungshilfe bereitstellt, Österreich kam 2014 auf lediglich 0,27 Prozent. Immerhin soll ab 2016 die Erhöhung des Auslandskatastrophenfonds von jährlich fünf auf 20 Millionen Euro umgesetzt werden.

„Zwischen 2008 und 2012 überstiegen die Abflüsse aus Ländern des globalen Südens die Zuflüsse von neuen finanziellen Mitteln um mehr als das Doppelte.“
Eurodad (European Network on Debt and Development)

Zwei kürzlich veröffentlichte Berichte von Global Financial Integrity und Eurodad (European Network on Debt and Development) über Entwicklungsgelder kommen zudem zu einem erschreckenden Ergebnis: Allein 2012 gingen den Regierungen von Ländern des globalen Südens durch illegale Geldströme mehr als 630 Milliarden US-Dollar verloren. Einen Großteil davon machen Preismanipulationen im unternehmensinternen Handel aus, dazu kommen Schuldentilgungszahlungen und zurückgeführte Gewinne ausländischer Investoren. „Zwischen 2008 und 2012 überstiegen die Abflüsse aus Ländern des globalen Südens die Zuflüsse von neuen finanziellen Mitteln um mehr als das Doppelte“, heißt es in dem Eurodad-Bericht.

Flucht vor dem Klimawandel

Auch der Klimawandel ist eine Ursache für Flucht. Laut Greenpeace werden allein in Indien und Bangladesch bis zu 125 Millionen Menschen aufgrund des steigenden Meeresspiegels von der Küste ins Landesinnere fliehen müssen. Der Präsident des pazifischen Inselstaates Kiribati hat bereits im Jahr 2008 bei Australien und Neuseeland offiziell um die Anerkennung seiner mehr als 100.000 Bürger als permanente Flüchtlinge angesucht. Der Grund: Der steigende Meeresspiegel wird voraussichtlich bis Ende dieses Jahrhunderts den Inselstaat überflutet haben. Doch Umweltflüchtlinge kommen in der Genfer Flüchtlingskonvention (noch) nicht vor. Die kürzlich beschlossenen UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) sehen unter anderem den gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel vor. Dieser schließt auch ein verbindliches internationales Klimaschutzabkommen mit ein, das bei der UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember getroffen werden soll.

Neue Lösungen für Asylwerber

Menschen, die es auf ihrer Flucht vor Krieg und Verfolgung bis nach Österreich geschafft haben, finden hier nicht immer optimale Bedingungen vor, wie die Krise im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen beweist. Asylverfahren ziehen sich in der Regel über Jahre hin und den Asylwerbern ist es kaum möglich, eine Arbeitsbewilligung zu bekommen. Laut Ausländerbeschäftigungsgesetz dürften sie zwar nach drei Monaten arbeiten, einen uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten sie aber erst nach positivem Abschluss des Asylverfahrens, wenn sie als Flüchtlinge anerkannt wurden bzw. „subsidiären Schutz“ erhalten haben. In der Praxis können Asylsuchende nur gemeinnützige Arbeiten annehmen, wie etwa Gartenarbeiten oder Schnee schaufeln. Dafür gibt es einen so genannten Anerkennungsbeitrag von wenigen Euro pro Stunde, der zum Leben nicht ausreicht.

Projekte wie die „Nachbarschaftshilfe“ der Caritas Vorarlberg ermöglichen es Asylwerbern, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Privatpersonen, die Unterstützung brauchen – etwa für Haus- und Gartenarbeit – haben hier die Möglichkeit, Asylwerber zu engagieren, bezahlt wird indirekt über Spenden. Kilian Kleinschmidt, international erfahrener Flüchtlingsexperte, sieht die Lösung darin, Flüchtlinge am Wirtschaftszyklus teilnehmen zu lassen. Der Deutsche leitete im Auftrag des UNHCR das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt an der jordanisch-syrischen Grenze und machte aus dem Lager eine Stadt mit eigener Wirtschaftskraft. „Auffangghettos für Flüchtlinge machen die Integration schwierig, da sie oft geographisch isoliert sind“, meint Kleinschmidt und plädiert für Wohnbauprogramme statt Container. „Europa braucht mittelfristig 50 Millionen Arbeitskräfte, bestimmte Berufssparten sind unterbesetzt. Flüchtlinge kommen, um zu arbeiten und nicht, um Sozialhilfe zu sammeln.“

Initiativen

Organisationen wie die Caritas oder die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (ADA) bieten Menschen in Entwicklungsländern Zukunftsperspektiven. So unterstützt die ADA die ostafrikanische Entwicklungsorganisation IGAD bei der Implementierung des Konfliktfrühwarnsystems CEWARN zur Konfliktvermeidung und Friedensförderung. Die Caritas unterstützt in einem ihrer Projekte die Ausbildung von Grundschullehrern im Südsudan und trägt somit zur Verbesserung der Bildungschancen im Land bei. Auch Fairtrade ermöglicht mit höheren Preisen und Prämien für Kaffee- oder Baumwollfarmer ein besseres Leben in Ländern des Südens.
www.entwicklung.at
www.caritas.at
www.fairtrade.at

Magdas Hotel
In Österreich gilt magdas Hotel in Wien, ein Social Business der Caritas, als Vorzeigeprojekt für die Integration von Flüchtlingen: Hier arbeiten anerkannte Flüchtlinge aus 14 Nationen. Neben den Gästezimmern wurde eine Wohngemeinschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eingerichtet, die eine Lehre im Hotel beginnen können.
www.magdas-hotel.at

Bank für Gemeinwohl
Die Bank für Gemeinwohl bietet eine Alternative zu herkömmlichen Banken: Profit ist nicht mehr der einzige Faktor, an dem Erfolg gemessen wird. Der Faktor Geld soll spekulationsfrei und regional für das Gemeinwohl verwendet werden.
www.mitgruenden.at

Fairphone
Das Mobiltelefon Fairphone wird unter möglichst fairen Bedingungen hergestellt, die für die Herstellung benötigten Mineralien, vor allem Coltan, werden aus geprüften Minen bezogen, von denen kein Bürgerkrieg finanziert wird.
www.fairphone.com

Foto/Video: Shutterstock, Option Medien.

Geschrieben von Susanne Wolf

Schreibe einen Kommentar