Eine Welt ohne Krankheiten – ist das überhaupt möglich?
Es ist ein risikoreiches Menschenexperiment. Das weiß der britische Mediziner Edward Jenner. Und doch zögert er nicht, als er am 14. Mai 1796 die Pockenpustel einer an Kuhpocken erkrankten Melkerin aufsticht. Die infizierte Flüssigkeit überträgt er auf den angeritzten Arm des achtjährigen Sohnes seines Gärtners. Jenner handelt im Dienste einer Mission. Er will die gefährliche Virusinfektion Pocken ausrotten, an der zu dieser Zeit alleine in Europa jährlich 400.000 Menschen sterben. Kurze Zeit später erkrankt das Kind vorprogrammiert an den relativ harmlosen Kuhpocken. Wieder gesund, infiziert der Arzt es erneut, diesmal mit Menschenpocken. Geht sein Plan auf, dann hat der Körper des Jungen nach durchgemachter Infektion eine Abwehrfunktion gegen das Menschenpocken-Virus aufgebaut. Und tatsächlich, er bleibt verschont.
Vakzination, abgeleitet vom lateinischen Wort für Kuh Vacca nennt der britische Mediziner seine Impfung. Er wird verlacht, forscht weiter, macht nicht einmal vor seinem eigenen elf Monate alten Sohn halt. Und dann, zwei Jahre später, wird seine Impfung anerkannt. Europaweit, wird sie bis Mitte der 1970er Jahre durchgeführt und bringt die Ausrottung der Pocken, wie die WHO 1980 bestätigt.
Welt ohne Krankheiten durch KI-Medizin?
IT-Konzerne mischen künftig die Medizin auf und könnten zu einer Welt ohne Krankheiten beitragen:
IBMs Watson – IBM stellt den Supercomputer Watson in den Dienst der Gesundheit. Damit lassen sich die Ergebnisse von Genanalysen von Patienten in wenigen Minuten mit Millionen anderer Patientenakten, möglichen Behandlungen und Forschungsberichten vergleichen. Das führt auf raschestem Weg zu einer präzisen Diagnose und einem entsprechenden Therapievorschlag. Dafür arbeitet man mit dem Medizin-Unternehmen Quest Diagnostics zusammen. Einkaufen können Ärzte oder Kliniken das Angebot als Cloud-Dienst. „Das ist eine breit angelegte Kommerzialisierung von Watson im Bereich der Onkologie“, wird John Kelly zitiert, ein Forschungschef von IBM.
Google – Mit GoogleFit steigt der Suchmaschinengigant in den Medizinbereich ein. Mit der DNA-Test-Firma 23andMe hat er bereits eine Datenbank von 850.000 DNA-Proben gesammelt, die Nutzer freiwillig abgegeben haben. Die Pharma-Firmen Roche und Pfizer werden diese DNA-Daten für die Forschung nutzen. Doch Google will mehr, eigene Medizin entwickeln nämlich. Die Google Labs haben zusammen mit Novartis eine Insulin-messende Kontaktlinse entwickelt und zudem längst mit der Entwicklung von Nano-Medikamenten begonnen.
Microsoft – Bill Gates Unternehmen hat das Produkt Healthcare NeXT auf den Markt gebracht, ein Cloud-basiertes Projekt für künstliche Intelligenz und Forschung. In zehn Jahren will man auch das „Problem Krebs“ gelöst haben. Möglich machen soll das die „Biological Computation Unit“ des Unternehmens, deren langfristiges Ziel es ist, Zellen in lebende Computer zu verwandeln, die man beobachten und umprogrammieren kann. Die Verhaltensweise von Krebszellen sei an sich nicht sehr komplex, sagte Laborleiter Chris Bishop. Selbst ein handelsüblicher PC habe genügend Rechenkapazität, um die dahinterstehenden Algorithmen zu erkennen.
Apple – Apple gibt seinen Usern mit dem Research Kit, zunächst eine App-Entwickler-Plattform, die Möglichkeit, ihre Daten aus Gesundheits-Apps direkt für medizinische Forschung zur Verfügung zu stellen. Damit lockt man die großen Forschungsinstitute als Entwickler solcher Studien-Apps an. „ResearchKit gibt der Gemeinschaft der Wissenschaftler Zugang zu einer vielschichtigen Bevölkerung auf der ganzen Welt und bietet mehr Möglichkeiten, Daten zu erheben, als jemals zuvor“, so Apple.
Visionär, Idee, Impfstoff – reicht das für eine Welt ohne Krankheiten?
Um eine Krankheit, in diesem Fall eine Infektionskrankheit auszurotten, braucht es demnach allem voran einen Visionär, eine Idee, einen Impfstoff und eine durchgeimpfte Weltbevölkerung? Klingt zu schön, um wahr zu sein? Ist es auch. Denn es hapert an der sogenannten Herdenimmunität. Dafür sorgen Impfgegner, Impfmüdigkeit und wenig rigorose Impfschemata in vielen Ländern. Deshalb sind die Pocken auch bis heute die einzige wirklich ausgerottete Infektionskrankheit. Ändern wird sich das nicht so bald, die Welt ohne Krankheiten ist Zukunftsmusik.
Alleine in Österreich sind mittlerweile über die Hälfte der Eltern Impfskeptiker (56%), besagt eine Umfrage des Karl-Landsteiner-Vereins zur Förderung medizinisch-wissenschaftlicher Forschung. Was braucht es daher an dieser Stelle? Richtig, wieder einen Visionär. Sein Name könnte Scott Nuismer sein. Nusimer ist Wissenschaftler an der University of Idaho in Moscow und hat ebenfalls einen gewagten Plan: Ein Vakzin (Impfstoff) herzustellen, das sich selbst ausbreitet und Infektionskrankheiten stark zurückdrängt oder ausrottet. Dass das funktionieren kann, hat Nuismer durch Simulationen am Beispiel Polio ausgerechnet. Davor sind beispielsweise in Deutschland unter den 11- bis 17-Jährigen nur noch 53 Prozent ausreichend geschützt.
Neue Waffen gegen Krebs
Die eigenen Immunzellen
In den USA ist seit September 2017 eine Therapie mit den eigenen, gentechnisch veränderten Immunzellen zugelassen. Damit lassen sich nicht nur bestimmte Formen von Leukämie und von Lymphdrüsenkrebs erfolgreich behandeln, sondern auch andere Arten von Krebs, etwa Tumoren in Brust, Eierstock, Lunge oder Bauchspeicheldrüse, hoffen Forscher.
Molekularbiologie
Die genetischen Veränderungen, die zur Krebs-Entstehung beitragen, hat in den letzten Jahren die Molekularbiologie genau analysiert. Daraus folgernd wurden Biotech-Medikamenten (monoklonale Antikörper) und kleine synthetische Moleküle entwickelt, die ganz gezielt Merkmale und Signalwege von Krebszellen angreifen. Mittlerweile befinden sich weltweit mehr als 200 neue Substanzen der zielgerichteten Krebstherapie in klinischen Studien.
Arsen
Arsen, bekannt als Mordgift, kann in der richtigen Dosis, zum richtigen Zeitpunkt verabreicht, Menschenleben retten. Arsentrioxid verbessert bei einer Variante der aktuten myeloischen Leukämie, der Promyelozytenleukemie die Heilungschancen. Das zeigte eine Phase-III-Studie im New England Journal of Medicine.
Epigenetik
Die Wissenschaft arbeitet daran, diejenigen epigenetischen Markierungen zu finden, die bei Tumorerkrankungen wie zum Beispiel Blutkrebs eine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang testen sie Wirkstoffe, die diese Veränderungen wieder rückgängig machen sollen. Krebszellen, so ihre Hoffnung, könnten auf diese Weise wieder in gesunde Zellen zurückverwandelt werden.
Kaltes Plasma
Vielversprechend ist eine Plasma-Version, die ungefähr Körpertemperatur hat und sich relativ einfach aus elektrisch geladenen Edelgasen und selbst aus Luft herstellen lässt. Behandelt man Krebszellen mit kaltem Plasma, sterben sie schnell und natürlich ab, die sie umgebenden gesunden, robusten Körperzellen können neu in das das beschädigte Gewebe wachsen.
Das Prinzip der „biologischen Waffe“
Und so geht´s: Im Labor modeln Nuismer und sein Team ein Virus, in diesem Fall Polio, gentechnisch so um, dass es keine Krankheiten mehr auslöst, aber das Immunsystem gegen Ursprungserreger oder ein anderes Virus wappnet. Dieses Virus wird in der Folge in freier Wildbahn ausgesetzt, verbreitet sich von selbst und schon Neugeborene stecken sich einfach bei ihrer Umgebung an. Einen Arztbesuch zur Impfung? Braucht dann kein Mensch mehr. Was es zur Realisierung allerdings schon braucht, ist eine ungefährliche Variante des Ursprungserregers, beispielsweise ein schwach infektiöses Virus, das mittels Gentechnik so verändert wird, dass es sich keinesfalls wieder in ein krank machendes Virus zurück entwickeln kann. Eine verrückte Zukunftsvision ist das übrigens keineswegs, im Tierversuch werden sich selbst verbreitende Vakzine schon eingesetzt. Aktuell laufen im Falle der Kaninchenpest und des Sin-Nombre-Hantavirus bei Hirschmäusen Versuche damit. Und Wissenschaftler Nuismer ist davon überzeugt, dass man auf diese Weise bald auch Viren wie Ebola zu Leibe rücken wird, die vom Wildtier auf den Menschen übertragen werden.
Welt ohne Krankheiten: Retter Gentechnik?
Die Infektionskrankheiten haben wir also eventuell bald in Griff. Aber was ist mit genetisch bedingten Erbkrankheiten? Auch die könnten schon um 2050 keine Rolle mehr spielen. Und zwar dank Gentechnik. Wissenschaftler werden bei Embryonen gezielt in das Erbgut eingreifen, um die für seltene Krankheiten verantwortlichen Gene auszuschalten.
Das wird so schnell nicht passieren? Ist es längst, und zwar im April 2015 in China – wenngleich der Versuch damals misslang. Gentherapien bei Menschen mit schweren Krankheiten werden heute schon als ethisch und rechtlich bedenkenlos eingestuft, so lange die Veränderung nicht an die Nachkommen weitergegeben wird. Um eingreifen zu können, muss lediglich der genetische Defekt, der der Krankheit zugrunde liegt, genau bekannt sein, wie etwa bei Mukoviszidose, Chorea Huntington und der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Diese Krankheiten wird man künftig schon im frühen Embryonalstadium beseitigen.
Und noch eine Methode bringt die Gentechnik mit sich: „Crispr/Cas9“. Damit kann man das Genom von Pflanzen, Tieren und Menschen gezielt verändern. So gehören Knochenmarkstransplantation bei Erkrankungen wie der Sichelzellenanämie in unserem Zukunftsszenario bald der Vergangenheit an. Anstatt Spenderzellen zu übertragen, korrigiert man künftig einfach das defekte Gen in den eigenen blutbildenden Zellen. Die Universität von Massachusetts hat damit bereits ein Gen in Muskelzellen ausgeschaltet, das eine Art von muskulärer Dystrophie erzeugt. Auszuschalten statt zu schneiden und reparieren wird schon bald die Devise lauten. Zu guter Letzt gibt es auch noch gute Nachrichten für Tropenliebhaber. Auch Tropenkrankheiten wie Malaria gehören bald der Vergangenheit an – durch das gezielte Eingreifen in das Genom von Mücken.
Kritik an neuer Gentechnik
Aktuell alarmiert Greenpeace angesichts des Vorschlages des Generalanwaltes am EU-Gerichtshof. Neuartige Gentechnik-Verfahren sollen laut dessen Einschätzung rechtlich nicht als Gentechnik behandelt werden. Bei den neuartigen Gentechnik-Verfahren wie etwa CRISPR-Cas (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) wird technisch in den Erbgut-Strang eingegriffen. Es gibt derzeit keinen Grund anzunehmen, dass es bei den mit neuen Gentechnik-Verfahren hergestellten Produkten nicht auch negative Effekte auf Umwelt oder Gesundheit gibt. Auch bei gentechnischen Veränderungen mit Hilfe der CRISPR-Cas-Technik wurden in Studien unbeabsichtigte Veränderungen im Genom gefunden. „Einmal ausgepflanzt können diese Pflanzen auskreuzen oder sich weitervermehren. Die Folgen dieser Risiko-Technologie kann alle Pflanzen, Tiere und Menschen treffen – auch diejenigen, die eine solche Technologie nicht nutzen oder die Gentech-Produkte ablehnen“, so Greenpeace–Sprecher Hewig Schuster.
Oder soll es ganz anders gehen. Etwa mit der Traditionell Chinesischen Medizin TCM? Oder anderen Alternativen?