Clara Mayer klagt VW. Die Klimaaktivistin (20) ist aber bei weitem nicht die Einzige, die unternehmerische Klimasünder jetzt vor Gericht bringt. Ersetzt der Gang zum Höchstrichter künftig vielleicht Demos oder Petitionen? Und was genau kommt bei so einem Prozess bestenfalls raus?
„Ich bin ja nicht eines Tages aufgewacht, und hatte Bock VW zu klagen“, stellt Clara Mayer gleich vorweg klar. Doch jetzt muss es sein. Denn der Automobil-Konzern stellt trotz ihrer emotionalen Rede auf seiner Hauptversammlung und vieler Demonstrationen noch immer zu 95 Prozent Verbrennungsmotoren her. Dieses nachhaltige Mäntelchen will sie ihm jetzt ausziehen. An ihrer Seite kämpft Greenpeace. Nicht ohne Grund: „Es geht um die Freiheitsrechte künftiger Generationen. Die kann Clara als junge Klimaaktivistin selber am besten einfordern“, sagt Campaignerin Marion Tiemann.
In Deutschland ist das die erste derartige Klage. In den USA kombiniert man das Prinzip aktive Bürgerbeteiligung schon länger mit rechtlichen Klagemitteln. Über 1.000 Klima-Klagen gibt es dort bereits, und einen Begriff dafür: Climate Litigation. In Europa kenne man diese Art Klagen deshalb erst seit kurzem, weil es umweltrechtlich lange den Ton angegeben habe, sagt Jurist Markus Gehring. Der Fall VW überrascht den Umweltrecht-Experten nicht „Wenn ich weiter Verbrennungsmotoren baue, obwohl die für 16 Prozent des Klimawandels verantwortlich sind, muss ich auch als Privatunternehmen damit rechnen, dafür verantwortlich gemacht zu werden“, sagt der Kenner der Szene, der nicht nur Dozent an der Cambridge-Universität lehrt. Er organisiert auch Konferenzen des Centre of International Sustainable Development Law (CISDL), um sich mit Klimaschutzexperten aus aller Welt auszutauschen.
Der Vibe muss stimmen
Um erfolgreich zu sein, braucht es eine Voraussetzung. „Eine Klage muss die Grundstimmung in der Gesellschaft widerspiegeln. Schließlich gilt es, einen Richter von einer relativ progressiven Interpretation eines existierenden rechtlichen Rahmens zu überzeugen“, sagt Gehring. Beim Klimawandel ist das jetzt der Fall, nicht zuletzt dank der Fridays for Future-Bewegung und viel neuem Wissen. Knapp 15 Jahre hat der gesellschaftliche Konsens hier gebraucht. Auf Gesetze zu warten, ist übrigens keine Option. „Unternehmen müssen bereits in die Verantwortung genommen werden, bevor der Gesetzgeber agiert, hinter dem sie sich teils sogar verstecken.“
Ein Höchstrichter kann nicht die Rolle des Gesetzgebers ersetzen: „Aber er kann auf Punkte hinweisen, wo der zu kurz greift.“ Und dazu haben Europas oberste Gesetzeshüter offenbar momentan Lust. Sie setzen die Langzeitziele des Pariser Klimaschutzabkommens konkret um. Und das, obwohl es kaum bindende Verpflichtungen enthält. Um nur zwei Beispiele zu nennen: In England hat etwa das Berufungsgericht Court of Appeal den parlamentarisch abgesegneten Ausbau des Flughafen Heathrow gestoppt. In Deutschland entschied das Bundesverfassungsgericht währenddessen, dass die Regierung das Klimaschutzgesetz nachbessern muss. Und zwar, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen zu schützen. Letzteres sei ein fundamentales Urteil, auch in Bezug auf Privatklagen, so Gehring: „Viele Gerichte werden den Klimawandel jetzt nicht mehr unter ,ferner liefen‘ betrachten.“
Gesetz der Logik
Dass jetzt auch immer mehr Klimasünder unter den Unternehmen eine Klage erwischt – kurz nach VW trudelte auch bei BMW und Mercedes eine ein, ist neu, aber eine logische Konsequenz daraus. Für NGO-Vertreterin Tiemann gibt es ein richtungsweisendes Urteil: Das gegen Shell. In Den Haag wurde der Ölkonzern unter Greenpeace-Beteiligung heuer dazu verpflichtet, seinen CO2- Ausstoß bis 2030 deutlich zu verringern. Das beste Ergebnis im VW-Fall? „Wäre, dass der Konzern ab 2030 weltweit keine PKW mit Verbrennungsmotor mehr verkauft, und bis dahin die Produktion drastisch runterfährt.“ Tiemann ergänzt, dass auch wenn nur ein Teil der Forderungen erfüllt würde, die Klage als Erfolg gelten kann: „Das bedeutet nicht, gescheitert zu sein. Es braucht in der Regel mehrere Klagen, die aufeinander aufbauen, um bahnbrechende Urteile erst zu ermöglichen“.
Jurist Gehring erwartet ein deklaratorisches Urteil, wie im Shell-Fall. Und das heißt? „Der Konzern muss die weitere Produktion von Verbrennungsmotoren angesichts des Klimawandels rechtfertigen. Das sehe ich bereits als Erfolg.“ Apropos: Der Erfolg solcher Klagen ist übrigens nicht vorprogrammiert: „Bei der Mehrheit sehen sich die Richter nicht in der Lage, die progressiven Interpretationen der Kläger nachzuvollziehen. Wir erfahren einfach nur mehr über gewonnene Klagen“, so der Jurist.
Und die Zukunft?
Brauchen wir künftig nicht mehr auf die Straße gehen? Heißt es automatisch Klage statt Petition? Nein, sagt Tiemann, die Zielstellungen seien ja unterschiedlich: „Eine Petition hat zwar keinen rechtlichen Hebel, aber ich kann damit klarstellen, dass hinter meiner Forderung sehr viele Menschen stehen. Demonstrationen tragen dazu bei, dass ein Thema überhaupt erst gesellschaftlich relevant wird.“ Und Jurist Gehring? Der sagt: „Wir kennen das Miteinander von Bürgerbewegung und Klagen seit 30 Jahren. Man denke nur an Bürgerinitiativen, für die der Weg der Klage angesichts umweltschädlicher Projekte wie Müllverbrennungsanlagen nichts neues ist.“
Neu ist allerdings, dass künftig noch mehr Unternehmen, die einen hohen CO2 Ausstoß verursachen, Rechenschaft darüber ablegen werden müssen, wie sie mit dem Klimawandel umgehen. Wer steht auf der Liste? „Auf der einen Seite der Transportbereich, die Schifffahrt, die Airlines, auf der anderen der energieintensive Produktionsbereich, in dem Glas, Zement, Stahl verarbeitet werden, und öffentliche Energieversorger“, so Gehring. Und dann gibt es da noch die Verletzung der Menschenrechte durch das Nicht-Handeln beim Klimawandel, die eine Grundlage für noch mehr Klagen sein könnte. „Man muss kreativ sein, aber abhängig von nationalem Recht wird es immer mehr Anknüpfungspunkte geben. Die Unternehmen tun gut daran, klimaneutrales Denken schnell umzusetzen.“ Und Clara Mayer? Die sagt es schlicht: „Diese Klage ist nur ein weiterer Schritt des Protests.“
KLAGSGRÜNDE
„Failure to Mitigate“
Es kommt zur Klage, wenn Staaten oder Unternehmen es verabsäumen, den Klimawandel zu begrenzen. In diesem Fall klagen einerseits Bürger oder NGOs Regierungen, um mehr Klimaschutz zu erreichen. Ein erfolgreiches Beispiel dafür liefern die Niederlande: Der oberste Gerichthof hat dort einer Klage Recht gegeben, dass ein zu schwacher Klimaschutz Menschenrechte verletzt. Auf der anderen Seite verklagen Regierungen oder NGOs große CO2-Emittenten auf mehr Klimaschutz oder Schadenersatz wegen versäumtem Klimaschutz. Ein Beispiel: Die Stadt New York hat die Ölkonzerne BP, Chevron, Conoco Phillips, Exxon Mobil und Royal Dutch Shell verklagt, da diese wissentlich die eigene Verantwortung für den Klimawandel heruntergespielt und der Stadt Schaden verursacht hätten. Auch der aktuell medial sehr präsente Fall des peruanischen Bauers Saul Luciano Lliuya, der mit Hilfe von Greenpeace den Energieversorger RWE klagt, fällt darunter.
„Failure to Adapt“
Darunter fallen Klagen, in denen es darum geht, dass Staaten oder Unternehmen sich nicht ausreichend auf die unabwendbaren (physischen) Risiken und möglichen Schäden durch den Klimawandel vorbereiten. Ein Beispiel dafür sind Hausbesitzer im kanadischen Ontario, die schon 2016 die Regierung klagten, weil sie sie nicht gut genug gegen Überflutungen abgesichert hätte.
„Failure to Disclose“
Hier geht es um Unternehmen, die nicht ausreichend über den Klimawandel aufklären und das sich daraus ergebende Risiko für das Unternehmen, aber auch Investoren. Darunter fallen klagen von Investoren gegen Unternehmen, aber auch Klagen von Unternehmen selbst gegen ihre Berater, etwa Ratingagenturen.