Wer nur eine Gruppe vor Diskriminierung und Verfolgung schützen will, verteidigt nicht wirklich die Demokratie
Reden wir einmal anstatt von Rassismus von “gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit”. Damit erübrigen sich hoffentlich Diskussionen darüber, ob man “Rassismus und Antisemitismus” nebeneinanderstellen soll oder ob das eine eine spezifische Form das anderen ist. Und hoffentlich auch Diskussionen darüber, ob man feindliche Einstellungen gegenüber einer religiösen Gruppe als Rassismus bezeichnen kann. Der Oberbegriff umfasst beispielsweise auch Sexismus, die Abwertung von Obdachlosen, Homosexuellen und Behinderten.
Passive, aktive und politische Gruppenfeindlichkeit
Ich sehe im Wesentlichen drei Abstufungen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit:
- Passive Gruppenfeindlichkeit wie Vorurteile, Stereotype, Glaube an Verschwörungstheorien und dergleichen.
- Aktive Gruppenfeindlichkeit wie Beschimpfungen, Gewalttätigkeit, feindselige und diskriminierende Handlungen, wie Hakenkreuze auf Synagogen oder Moscheen zu schmieren, Friedhöfe zu schänden, Angehörigen einer bestimmten Gruppen offen oder unter einem Vorwand einen Arbeitsplatz, die Vermietung einer Wohnung oder den Eintritt in ein Lokal zu verweigern etc.
- Politische Gruppenfeindlichkeit: Befürworten oder öffentliches Eintreten für Entrechtung, Vertreibung oder Ermordung von bestimmten Gruppen.
Auch die erste Stufe stellt eine Gefährdung der Demokratie dar, weil sie jedenfalls anfällig macht für die zweite und dritte Stufe. Handlungen der zweiten Stufe hängen wohl meistens auch mit einer Übereinstimmung zur dritten Stufe zusammen. Die dritte Stufe ist unmittelbar demokratiegefährdend: Sie zielt auf die Zerstörung demokratischer Strukturen und die Einschränkung der Menschenrechte ab.
Sehen wir uns nun zwei Studien an: den Antisemitismusbericht 2022 im Auftrag des Parlaments und den Sozialen Survey der Universität Salzburg 2018 zu Einstellungen zu Muslimen in Österreich. In allen Tabellen stellt die Prozentzahl die Summe der beiden Bewertungen „sehr zutreffend“ und „eher zutreffend“ dar. Zu den Hervorhebungen komme ich später.
Antisemitismusbericht 2022 im Auftrag des Parlaments
- Die Juden beherrschen die internationale Geschäftswelt: 36 Prozent
- In wachsendem Ausmaß zeigen sich heute wieder Macht und Einfluss der Juden in der internationalen Presse und Politik: 30 Prozent
- Juden haben in Österreich zu viel Einfluss: 19 Prozent
- Hinter aktuellen Preissteigerungen stehen oft jüdische Eliten in internationalen Konzernen: 18 Prozent
- Von einem Juden kann man nicht erwarten, dass er anständig ist: 10 Prozent
- Wenn ich jemanden kennenlerne, weiß ich in wenigen Minuten, ob dieser Mensch Jude ist: 12 Prozent
- Juden sind für mich im Grunde israelische Staatsbürger und keine Österreicher: 21 Prozent
- Juden haben wenig Interesse, sich in das jeweilige Land zu integrieren, in dem sie leben. Das ist der Hauptgrund für ihre ständigen Probleme: 22 Prozent
- Es ist nicht nur Zufall, dass die Juden in ihrer Geschichte so oft verfolgt wurden; zumindest zum Teil sind sie selbst schuld daran: 19 Prozent
- Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazi-Zeit Opfer gewesen sind: 36 Prozent
- In den Berichten über Konzentrationslager und Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg wird vieles übertrieben dargestellt: 11 Prozent
- Ich bin dagegen, dass man immer wieder die Tatsache aufwärmt, dass im Zweiten Weltkrieg Juden umgekommen sind: 34 Prozent
- Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, dann herrscht Frieden im Nahen Osten: 14 Prozent
- Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat: 23 Prozent
- Die Israelis behandeln die Palästinenser im Grunde auch nicht anders als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Juden: 30 Prozent
Spannend ist noch der folgende Anhang an den Antisemitismusbericht. Dreimal so viele Menschen würden sich von muslimischen Nachbarn gestört fühlen wie von jüdischen, aber am meisten von Roma·nja und Sinti·zze.
- Rom:nja und Sinti:zze: 37 Prozent
- Muslimische Menschen: 34 Prozent
- Schwarze Menschen: 17 Prozent
- Jüdische Menschen: 11 Prozent
- Homosexuelle: 11 Prozent
- Österreicher:innen: 5 Prozent
Einstellungen zu Muslimen in Österreich –Ergebnisse des Sozialen Survey 2018
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- Muslime müssen sich in Österreich an unsere Kultur anpassen: 87 Prozent
- Der Staat soll islamische Gemeinschaften beobachten: 79 Prozent
- Muslime stellen keine kulturelle Bereicherung dar: 72 Prozent
- Das Kopftuch ist ein Symbol der Unterdrückung der Frau: 71 Prozent
- Der Islam passt nicht in die westliche Welt: 70 Prozent
- Muslime sollten in der Schule kein Kopftuch tragen dürfen: 66 Prozent
- Ich habe Angst, dass Terroristen unter den Muslimen in Österreich sind: 59 Prozent
- Glaubensausübung bei Muslimen soll eingeschränkt werden: 51 Prozent
- Ich fühle mich durch Muslime manchmal wie Fremde in Österreich: 50 Prozent
- Wir sollten keine Moscheen in Österreich tolerieren: 48 Prozent
- Muslime sollten nicht gleiche Rechte haben wie alle in Österreich: 45 Prozent
Offensichtlich sind die Fragestellungen der beiden Studien unterschiedlich. Üblicherweise wird aber bei einer Erhebung im Vorfeld untersucht, welche Fragestellungen überhaupt relevant sind. Dazu wird wissenschaftliche Literatur herangezogen oder es werden Vorstudien gemacht. Jedenfalls wird im Antisemitismusbericht etwa die Frage nach der Gleichberechtigung von Jüdinnen und Juden oder nach der Akzeptanz von Synagogen gar nicht gestellt, vermutlich weil davon keine relevanten Ergebnisse erwartet wurden.
Forderungen nach politischer Entrechtung
Im Antisemitismusbericht habe ich nur eine Aussage gefunden, die direkt auf innenpolitische Entrechtung von Jüd:innen hinausläuft: “Juden sind für mich im Grunde israelische Staatsbürger und keine Österreicher.” Beunruhigende 21 Prozent stimmen dieser Aussage zu, die impliziert, dass Jüd:innen als Ausländer:innen behandelt werden sollen. Vielleicht wäre dieser Prozentsatz doch eine Veranlassung, auch direkt die Frage nach der Gleichberechtigung zu stellen. Die Aussage “Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, dann herrscht Frieden im Nahen Osten”, die von 14 Prozent geteilt wird, ist außenpolitisch, aber nicht präzise formuliert. Wenn sie darauf hinauswill, die Juden in Israel zu vertreiben oder umzubringen, ist sie klar menschenfeindlich. Etwas anderes ist es, wenn damit eine Einstaatenlösung gemeint ist, ein demokratischer Staat für alle seine Bürger:innen – so illusorisch das auch erscheinen mag. Das wäre dann nicht mehr das jetzige Israel, das sich ja als jüdischer Staat definiert.
Im Sozialen Survey zu Muslimenfeindlichkeit finde ich dagegen fünf Aussagen, die ich zur politischen Gruppenfeindlichkeit zähle: Am beunruhigendsten ist, dass 45 Prozent offen aussprechen: “Muslime sollten nicht gleiche Rechte haben wie alle in Österreich”. 48 Prozent wollen keine Moscheen tolerieren, 51 Prozent wollen Glaubensausübung von Muslim:innen eingeschränkt sehen, und 79 Prozent wollen, dass der Staat islamische Gemeinschaften beobachtet. Hinter der Forderung nach Kopftuchverbot in der Schule, die von 66 Prozent geteilt wird, könnten ja eventuell auch pädagogische Motive stehen, wenn sie generell auf die Forderung nach Trennung von Religion und Schule abzielt. Soweit sie sich aber ausschließlich auf Musliminnen bezieht, stellt sie die Forderung nach Entrechtung dar.
Alle Formen der Gruppenfeindlichkeit bekämpfen
Alle Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gefährden die Demokratie, weil Vorurteile und Stereotype eben leicht in Handlungen umschlagen können, vor allem, wenn sie von politischen Abenteurern bewusst geschürt und ausgenutzt werden. Doch wer nur eine spezifische Form bekämpfen will, nur eine Form als bedrohlich für die Demokratie sieht, verteidigt nicht wirklich die Demokratie. Es gibt in Österreich eine Antisemitismus-Meldestelle, eine Dokustelle für antimuslimischen Rassismus, eine Beratungsstelle für Roma und Sinti, die einen Bericht Antiziganismus in Österreich herausgibt. Soweit ich weiß, gibt nur der Verein Zara Berichte über alle Formen von Rassismus heraus und berät und unterstützt alle von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit Betroffenen, die sich an ihn wenden.
Wir sollten uns doch klar sein: Man kann Muslimenfeindlichkeit bekämpfen und gleichzeitig antisemitisch eingestellt sein. Man kann Antisemitismus bekämpfen und gleichzeitig muslimenfeindlich sein. Man kann Romafeindlichkeit oder Homosexuellenfeindlichkeit oder Sexismus bekämpfen und gleichzeitig andere Gruppen verachten oder sie entrechten wollen. Man kann eine spezifische Form von Rassismus bekämpfen und gleichzeitig selber Rassist sein. Wer wirklich die Demokratie verteidigen will und nicht nur spezifische Gruppeninteressen, muss sich gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stellen, insbesondere gegen die politischen Formen.
Titelbild: March Against Racism 2017, Foto: Garry Knight, Public Domain
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