„Ein Weltparlament, das es erlaubt, alle Mitglieder der Weltgemeinschaft – und das sind alle Menschen – in Entscheidungen von globaler Tragweite einzubeziehen.“
Andreas Bummel, Mitgründer und Koordinator der UNPA
Der Einfluss der Globalisierung auf unsere Demokratien läßt sich kaum unterschätzen. Sie läßt immer mehr Machtsphären abseits des Nationalstaates entstehen. Politologen beobachten eine rasante Zunahme internationaler Organisationen und Netzwerke, die auf globaler Ebene agieren und über den Nationalstaat hinweg erhebliche politische Macht ausüben. Aber: Ist das schlecht, oder vielleicht sogar wünschenswert?
Der Politologe Jan Aart Scholte von der University of Warwick spricht in diesem Zusammenhang von „zahllosen formalen Maßnahmen, informellen Normen und allumfassenden Diskursen zur Regulierung globaler Beziehungen […] die durch komplexe Netzwerke umgesetzt werden“. Diese Netzwerke bestehen aus Nationalstaaten, internationalen Organisationen, globalen Institutionen, sub-staatlichen Agenturen und nichtstaatlichen Akteuren wie etwa NGOs oder Konzernen.
Richtungsweisende politische Entscheidungen werden immer öfter innerhalb transnationalen Gremien gefällt und mitunter auch ohne Zustimmung der nationalen Parlamente, oder gar im Widerspruch zu nationalen Regulierungen.
Zu den bekanntesten und mächtigsten zählen etwa die G20, eine „informelle Diskussionsplattform“ der 20 entwickeltsten Industriestaaten, die insgesamt 85 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und zwei Drittel der Weltbevölkerung repräsentieren. Die Europäische Union hingegen repräsentiert 23 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und sieben Prozent der Weltbevölkerung. Im internationalen Währungsfonds und der Weltbank wiederum ist mit 189 Mitgliedstaaten nahezu die ganze Welt vertreten, ebenso wie in der Welthandelsorganisation WTO (90 Prozent Weltbevölkerung, 97 Prozent globale Wirtschaftsleistung). Richtungsweisende politische Entscheidungen werden immer öfter innerhalb dieser transnationalen Gremien gefällt und mitunter auch ohne Zustimmung der nationalen Parlamente, oder gar im Widerspruch zu nationalen (sozialen, ökonomischen, gesundheitlichen) Regulierungen. Obwohl diese Entscheidungen mitunter tief in nationale Angelegenheiten hineinwirken haben die meisten Nationalstaaten in der Regel keine Möglichkeit sie zu beeinflussen, geschweige denn zu kontrollieren. Dadurch wird nationale Souveränität in vielerlei Hinsicht ausgelagert und das demokratische Prinzip der Selbstbestimmung untergraben.
Viel Macht, keine Legitimation
Dabei spiegeln internationale Organisationen weitgehend die vorherrschenden Machtverhältnisse und Interessen ihrer (dominierenden) Mitglieder wieder. Besonders deutlich und fatal zeigt sich dies etwa am Vetorecht des UN Sicherheitsrates, das dazu führt dass sich Russland, USA und China gegenseitig blockieren und damit sowohl die Lösung internationaler Konflikte, als auch eine Reform der Vereinten Nationen selbst verhindern. Nicht zuletzt hängt die Handlungsfähigkeit der UN schlichtweg von den Mitgliedsbeiträgen ihrer (stärksten) Mitglieder ab. Die Kritik an internationalen Organisationen ist ebenso vielfältig wie leidenschaftlich. Doch hier interessiert vor allem Eines: ihre demokratische Legitimation. Diese wird zwar vielfach eingefordert und gepriesen, doch selten ernsthaft umgesetzt. „In vielen Fällen reagieren internationale Organisationen auf Kritik mit Veränderung ihrer Verfahren, insbesondere durch die Öffnung für NGOs und erhöhte Transparenz ihrer Arbeit. Ob dies als Ausdruck einer beginnenden Demokratisierung gelten kann, bleibt jedoch abzuwarten“, konstatiert der Politikprofessor Michael Zürn vom Wissenschaftszentrum Berlin.
Professor Zürn beforscht seit Jahren internationale Organisationen und beobachtet ihre zunehmende Politisierung. Immer mehr Menschen erwarten gerade auf globaler Ebene Antworten und Lösungen auf die Probleme unserer Zeit: „Umfragen belegen, dass es zwar wachsende Kritik an internationalen Organisationen wie der EU und den Vereinten Nationen gibt, während ihnen gleichzeitig immer mehr Bedeutung beigemessen wird“, so Zürn.
Weltregierung & globale Demokratie
Diese politische Globalisierung beflügelt seit einigen Jahren auch den akademischen Diskurs darüber, wie unsere Demokratien die flüchtigen Machtsphären einholen können.Muss man die Demokratie globalisieren um die Globalisierung zu demokratisieren? „Nicht ganz“ meint Jürgen Neyer, Professor für Internationale Politik an der Europa-Universität Viadrina und Autor des Buches „Globale Demokratie“. „Es ist zwar sicherlich richtig, dass die politischen Strukturen der Demokratie heute über den einzelnen Nationalstaat hinauswachsen müssen. Das bedeutet allerdings noch lange nicht den demokratischen Weltstaat.“ Vielmehr müsse man laut Professor Neyer einen institutionell gestalteten inklusiven Diskurs zwischen demokratischen Gesellschaften anstreben.
Auch Mathias Koenig-Archibugi, Professor an der London School of Economics and Political Sciences warnt vor einer Weltregierung. Denn diese ließe sich leicht in eine „globale Tyrannei“ verwandeln oder sich als Instrument in den Händen einiger mächtiger Regierungen wiederfinden.
Der Politologe Jan Aart Scholte von der University of Warwick ortet zwei dominante Theorien zur Entwicklung einer globalen Demokratie: Einer davon ist der Multilateralismus. Dieser geht davon aus, dass sich globale Demokratie am besten durch multilaterale Zusammenarbeit zwischen demokratischen Nationalstaaten entwickeln lässt. Der zweite Ansatz ist der Kosmopolitismus. Dieser zielt darauf ab die demokratischen Institutionen des (westlichen) Nationalstaates (Bürgertum, Parlament, Regierung, etc.), auf eine globale Ebene zu heben, bzw. sie dort zu replizieren.
Das demokratische Weltparlament
Der Diskurs über globale Demokratie findet jedoch nicht nur in akademischen Sphären statt. Der Initiative „Demokratie ohne Grenzen“ (früher: Komitee für eine demokratische UNO) haben sich mittlerweile rund 1.500 Abgeordnete und mehr als 250 NGOs auf der ganzen Welt angeschlossen. Und sie genießt (eigenen Angaben zufolge) die Unterstützung des Europäischen Parlaments, des Pan-Afrikanischen Parlaments und des Lateinamerikanischen Parlaments.
Die Initiative setzt sich seit 2003 für ein Weltparlament ein, das sich als parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen (UNPA) konstituiert. „Ein Weltparlament, das es erlaubt, alle Mitglieder der Weltgemeinschaft – und das sind alle Menschen – in Entscheidungen von globaler Tragweite einzubeziehen“, meint Andreas Bummel, Mitgründer und Koordinator der UNPA-Kampagne. Ausgangspunkt ist dabei die Erkenntnis, dass heutige nationale Parlamente vielen Herausforderungen schlichtweg nicht gewachsen sind. Für Andreas Bummel und seinen Mitstreiter Jo Leinen ließe sich ein Weltparlament stufenweise aufbauen: Anfangs könnten die Staaten wählen, ob ihre UNPA-Mitglieder aus nationalen oder regionalen Parlamenten kommen oder direkt gewählt werden. Dabei würde die UNPA zunächst als beratendes Organ fungieren. Mit einer Zunahme ihrer demokratischen Legitimität würden auch nach und nach ihre Rechte und Kompetenzen ausgebaut werden. Langfristig könnte sich die Versammlung zu einem echten Weltparlament entwickeln.
Weltregierung & Globale Demokratie
So utopisch die Vorstellung einer globalen Demokratie heute klingen mag, so alt ist diese Vision. Einer der prominentesten Verteter eines „Weltföderalismus“ ist Immanuel Kant, der in seiner 1795 erschienenen Schrift „Zum ewigen Frieden“ mit dem Gedanken einer Weltrepublik kokettierte. Darin würden sich freie Staaten zu einer „Republik der Republiken“ zusammenschließen. Vor einer Auflösung der einzelnen Republiken selbst warnte er jedoch vehement, da dies den Weg für einen „seelenlosen Despotismus“ ebnen würde.