Der englische Begriff „nudge“ bedeutet übersetzt so viel wie „schubsen“ oder „stupsen“. In ihrem Buch „Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness“ beschreiben die Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und der Rechtswissenschaftler Cass Sunstein 2008 ausführlich, wie Nudging das Verbraucherverhalten unter Einhaltung ethischer Aspekte durch einen „Schubs“ beeinflussen kann und in eine bestimmte Richtung lenkt – ohne Verbote oder Strafen. Dabei setzen die Autoren voraus, dass das Schubsen transparent sein muss und die Verbraucher nicht irreführen darf. Außerdem müssen sich die Verbraucher*innen auf Wunsch immer möglichst einfach gegen einen Nudge entscheiden können. Die Beeinflussung sollte zu guter Letzt nur im Sinne des Wohlergehens der Gesellschaft stattfinden.
Nudging in der Praxis
Aber wie sieht so ein Nudge konkret aus? Beispiele gibt es zahlreiche: Es hat sich etwa gezeigt, dass ein Bild einer Fliege im Urinbecken, die Treffsicherheit der Männer beträchtlich erhöht. Der Reinigungsaufwand in Restaurants und Bars, die diesen Trick anwenden, konnte damit signifikant reduziert werden.
Oder ein Display, das eine Schweizer Firma für Duschen herstellt, motiviert Konsument*innen spielerisch zum Wassersparen. Auf dem Bildschirm ist ein Eisbär auf einer Eisscholle zu sehen. Je länger und heißer geduscht wird, desto schneller schmilzt die Eisscholle und der Eisbär fällt ins Wasser.
Eine effektive Nudging Methode ist auch die gezielte Einrichtung von Standardeinstellungen. Damit können Unternehmen oder Staaten den Konsument*innen ihre Entscheidungen abnehmen. Thaler und Sunstein nennen einige Beispiele, in denen deutlich wird, wie stark Standardvorgaben die Entscheidung von Individuen beeinflussen. Eine Universität in New Jersey stellte etwa den Drucker als standardmäßig auf „doppelseitig“. Für die Nutzer*innen war die Umstellung des Druckers auf „einseitiges Drucken“ zwar möglich, aber relativ umständlich. So wurde in der Regel automatisch doppelseitig gedruckt. Dadurch sparte die betreffende Uni im Vergleich zu den vorangegangenen vier Jahren insgesamt 55 Millionen Blatt Papier, was einer Verringerung von 44 Prozent und der Schonung von 4.650 Bäumen entspricht.
Nudging kann also mit Defaults, also Standardeinstellungen, und mit Anreizen die Umwelt schützen oder Kosten sparen. Aber auch wichtige gesellschaftliche Aspekte, wie zum Beispiel die Organspende, kann durch Setzen des Standards im Sinne von Nudging gelenkt werden. Je nach Nation gelten hier unterschiedliche Regeln. Man muss sich entweder aktiv für eine Spende im Falle des Falles aussprechen, wie in Deutschland, oder ist automatisch Spender*in und muss dem aktiv widersprechen, wie etwa in Österreich. Der Anteil an Spender*innen ist in letzterem Beispiel erwartungsgemäß höher. Nudges können also ganz gezielt auch von der Politik eingesetzt werden. Einige Länder haben dafür sogar eigene Nudging Units gegründet, die die Wirkung von Nudges genau untersuchen.
Bei aller Transparenz und Entscheidungsfreiheit, die Thaler und Sunstein für Nudging voraussetzen, beanstanden Kritiker*innen, dass es sich dabei letztlich um Manipulation handelt und es bevormundend sei, wenn man eine Entscheidungsarchitektur so gestaltet, dass sie Personen in eine Richtung lenkt. Schwierig ist auch die Frage danach, wie und wer definiert, was dem Individuellen und dem Gemeinwohl nützt und was nicht.
Ökonom Philipp Nagels gibt in einem Artikel in der „Welt“ jedenfalls zu bedenken, dass Entscheidungen sowieso immer getroffen und bewusst oder unbewusst auch immer beeinflusst werden: „Die Umstände, unter denen dieses geschieht, gilt es genau zu betrachten und zu diskutieren, doch vermeiden lässt sich die Beeinflussung unseres Handelns durch den Kontext, in dem wir uns bewegen, ohnehin nicht.“
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