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Die Negativität der Medien

Die Negativität der Medien

„Wir müssen die Art und Weise, wie (negative) Nachrichten in den Medien präsentiert werden, sowie die Häufigkeit der Kontaktaufnahme mit den Nachrichten genauer untersuchen, um zu verhindern, dass die Menschen durch Negativität beeinflusst werden.“

Aus der Studie „Is the news making us unhappy?“, 2019

Sie treffen erholt in der Ankunftshalle, am Bahnhof Ihrer Stadt ein und freuen sich auf ein entspanntes Ankommen zu Hause. Bereits dort flimmern Ihnen jedoch auf Infoscreens Bilder der letzten Katastrophen entgegen, denen sich kaum entziehen lässt. Ein Drama jagt das nächste, steigende Corona-Neuinfektionen wechseln mit Naturkatastrophen, Meldungen über Kriege, Terroranschläge, Attentate und Korruptionsskandale. Vor der Dringlichkeit der negativen Informationsflut scheint es kein Entrinnen zu geben – und auf die Frage „Was jetzt?“ keine Antworten.

Dieses Phänomen hat zahlreiche Hintergründe, die von verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen vielfach untersucht wurden. Die Ergebnisse sind häufig widersprüchlich und ernüchternd, als gesichert geltende Erkenntnisse gehen daraus kaum hervor. Fest steht jedoch, dass die Auswahl dessen was zur Nachricht wird in einem komplexen Wirkfeld von Abhängigkeiten entsteht. Vereinfacht zusammengefasst lässt sich sagen: Medien müssen sich finanzieren und sind in diesem Kontext zentral von Politik und Wirtschaft abhängig. Je mehr Leserinnen und Leser erreicht werden können, desto besser stehen die Chancen, Finanzierung sicherstellen zu können.

Gehirn auf Gefahr getrimmt

Um möglichst rasch möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzielen, wurde die längste Zeit dem Grundsatz gefolgt: „only bad news are good news“. Dass Negativität diesbezüglich hervorragend funktioniert, hat wesentlich mit der Art zu tun, wie unser Gehirn arbeitet. Es wird vermutet, dass evolutionär bedingt das rasche Erkennen von Gefahr einen zentralen Überlebensvorteil darstellte und daher unser Gehirn entsprechend geprägt ist.

Gerade unsere ältesten Hirnregionen wie etwa Stammhirn und das limbische System (insbesondere der Hippocampus mit seinen starken Verbindungen zur Amygdala) reagieren rasant auf emotionale Reize und Stressoren. Alle Eindrücke, die Gefahr oder Rettung bedeuten könnten, führen bereits zu Reaktionen, lange bevor unsere anderen Gehirnteile Zeit haben die so aufgenommenen Informationen zu sortieren. Wir alle haben also nicht nur den Reflex, auf Negatives stärker zu reagieren, es ist auch gut belegt, dass negative Informationen rascher und intensiver verarbeitet werden, als positive und zumeist auch besser erinnert werden. Dieses Phänomen wird „Negativitätsbias“ genannt.

Einen vergleichbaren Effekt bietet nur noch starke Emotionalität. Auch durch sie lässt sich rasch und intensiv Aufmerksamkeit bündeln. Uns berührt, was uns nahekommt. Wenn etwas räumlich weit weg ist, spielt es für unser Gehirn automatisch eine untergeordnete Rolle. Je direkter wir uns betroffen fühlen, desto intensiver reagieren wir. Bilder wirken daher beispielsweise stärker als Worte. Sie erzeugen die Illusion räumlicher Nähe.

Dieser Logik folgt auch die Berichterstattung. Lokale Nachrichten dürfen auch mal „positiv“ sein. Ein Feuerwehrmensch, den alle im Ort kennen, wird in einem Lokalblatt einen hohen Nachrichtenwert haben können, wenn er oder sie ein Kätzchen der Nachbarin von einem Baum rettet. Ist ein Geschehen aber weit weg, braucht es stärkere Anreize wie Überraschung, Sensation, um in unserem Gehirn als relevant eingeordnet zu werden. Diese Effekte lassen sich unter anderem hervorragend in der Welt der Boulevard Medien beobachten. Für das Weltgeschehen und uns als Individuum hat diese Logik jedoch weitreichende Folgen.

Wir nehmen die Welt negativer wahr

Der unter anderem so entstandene Fokus auf negative Berichterstattung hat deutliche Folgen für jede und jeden Einzelnen. Ein gerne zitiertes Instrument bezüglich unserer Weltwahrnehmung ist der vom schwedischen Gesundheitsforscher Hans Rosling entwickelte „Wissenstest“. International in über 14 Ländern mit mehreren tausend Menschen durchgeführt führt er signifikant zum immer gleichen Ergebnis: Wir schätzen die Lage der Welt weit negativer ein, als sie tatsächlich ist. Von 13 einfach gehaltenen Multiple Choice-Fragen werden im Schnitt deutlich weniger als ein Drittel richtig beantwortet.

Negativität – Angst – Ohnmacht

Nun ließe sich annehmen, dass eine negative Weltwahrnehmung auch die Bereitschaft etwas zu ändern und selbst aktiv zu werden steigern könnte. Die Ergebnisse aus Psychologie und Neurowissenschaften zeichnen ein anderes Bild. Studien zu psychischen Folgen negativer Berichterstattung zeigen beispielsweise, dass nach TV-Konsum negativer Nachrichten auch negative Empfindungen wie etwa Ängstlichkeit steigen.

Eine Studie zeigte darüber hinaus auf, dass die messbaren Effekte negativer Berichterstattung nur in jener Untersuchungsgruppe wieder zum Ursprungszustand (vor News-Konsumation) zurückkehrten, die im Anschluss mit psychologischen Interventionen wie progressiver Entspannung begleitet wurde. Bei der Kontrollgruppe ohne derartige Unterstützung blieben die negativen psychischen Auswirkungen bestehen.

Auch durch mediale Negativität kann es also zum Gegenteil kommen: Das Empfinden von Ohnmacht und Hilflosigkeit steigt, das Gefühl selber noch einen Unterschied machen zu können geht verloren. Unser Gehirn gerät in einen „mentalen Krisenmodus“, unsere Biologie reagiert mit Stress. Wir lernen nicht, was wir tun könnten, um etwas zu verändern. Wir lernen, dass es keinen Sinn macht, sich zu konfrontieren.

Überforderung macht gegen Argumente immun, Bewältigungsstrategien sind alles, was eine Illusion von Sicherheit erzeugt, etwa: Wegsehen, Nachrichten generell meiden („News-Avoidance“), sich nach Positivem sehnen („Eskapismus“) – oder auch Halt in einer Gemeinschaft und / oder Ideologie suchen – bis hin zu Verschwörungstheorien.

Negativität in Medien: Was lässt sich tatsächlich tun?

Lösungsansätze finden sich auf verschiedenen Ebenen. Auf journalistischer Ebene wurden die Ansätze des „Positiven Journalismus“ und des „Konstruktiven Journalismus“ geboren. Gemeinsam haben beide Ansätze, dass sie sich als Gegenbewegung zum „Negativitätsbias“ in der klassischen Medienberichterstattung verstehen und dass beide nach den Grundsätzen der „Positiven Psychologie“ stark auf Lösungsangebote setzen. Zentral sind also Aussichten, Lösungen, Ideen wie mit den vielseitigen Herausforderungen einer zunehmend komplexen Welt umgegangen werden kann.

Doch auch individuell gibt es konstruktivere Lösungsansätze, als die oben genannten Bewältigungsstrategien. Ein bekannter Ansatz, der nachweislich Optimismus fördert und den „Negativitätsbias“ reduziert, findet sich in die sogenannte Achtsamkeitspraxis – die auch in zahlreichen therapeutischen Ansätzen ihren Niederschlag gefunden hat. Essenziell ist dabei immer, möglichst viele Gelegenheiten zu schaffen, sich selbst im „Hier und Jetzt“ bewusst zu verankern. Eingesetzte Techniken reichen von Atemübungen, verschiedenen Meditationsformen bis hin zu Körperübungen. Mit etwas Übung lässt sich damit einer der Hauptursachen für Überforderung und daraus resultierender Hilflosigkeit nachhaltig begegnen – zumindest solange die Ursache für den individuell erlebten Stress tatsächlich im Außen zu finden ist und nicht auf tiefsitzende früheste Prägungen zurückgeht: Der oft so allumfassend erlebte Stress im eigenen Körper, der unsere heutige Gesellschaft permanent begleitet.

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Clara Landler

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