in ,

Stars & echte Vorbilder

Vorbilder

Dass wir uns an Vorbildern orientieren, ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft. In der Biologie wird dieses Phänomen als soziales Lernen bezeichnet. Gegenüber anderen Lernformen, bei denen der Einzelne auf sich gestellt ist, bringt das soziale Lernen, oder auch Imitationslernen genannt, große Vorteile mit sich: Man muss nicht selbst alles ausprobieren, muss auch nicht sonderlich kreativ sein, und muss nicht jeden Fehler selbst machen. Soziales Lernen ist also eine ziemlich effiziente Vorgangsweise, um Fähigkeiten und Entscheidungsstrategien zu erwerben. Nicht jeder Mitmensch kommt als Vorbild in die engere Wahl. Wen wir als Rollenbild auswählen, hängt unter anderem von unserer individuellen Lebenssituation ab. In der frühkindlichen Phase sind die Eltern die prägendsten Einflüsse. Das Tun derer, die uns sozial am nächsten sind, formt unsere Verhaltenstendenzen von frühester Kindheit an. So werden Eltern, die selbst nicht gerne Gemüse essen, wenig Erfolg dabei haben, ihre Nachkommen zu einer gesunden Ernährung zu bewegen.

Doch der Einfluss der Eltern auf ihren Nachwuchs schwindet mit zunehmendem Alter: Die soziale Orientierung verschiebt sich immer mehr in Richtung Gleichaltriger. Geht es während der Pubertät noch in erster Linie darum, innerhalb des sozialen Zirkels, in dem man sich bewegt, etabliert zu sein, rücken im Erwachsenenalter andere Personen in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit.

Vorbilder

Die britische Internetseite YouGov.co.uk hat 2015 eine Umfrage unter rund 25.000 Menschen in 23 Ländern durchgeführt, bei der es um die beliebtesten Persönlichkeiten und Vorbilder der einzelnen Länder ging. Die besten globalen Platzierungen nach Punkten: Angelina Jolie (10,6), Bill Gates (9,2), Malala Yousafzai (7,1), Hillary Clinton und Barack Obama (6,4), Queen Elisabeth II (6,0), Xi Jinping (5,3), Michelle Obama und Narendra Modi (4,8), Celine Dion (4,6), Ophra Winfrey (4,3), Papst Franziskus (4,1), Julia Roberts und Dalai Lama (4,0).

Wie wird man zum Vorbild?

Heute sind Vorbilder meist Personen, die in der Öffentlichkeit stehen. Diese öffentliche Reichweite schafft eine wichtige Grundlage, um als Rollenbild Wirksamkeit zu erlangen. Es genügt nicht, Großes zu leisten, mindestens genauso wichtig ist, dass andere davon erfahren. Deshalb kommt der medialen Repräsentation von Einzelpersonen eine besondere Rolle in der Schaffung von Rollenbildern zu. Jene Menschen, die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, wird Gehör geschenkt, unabhängig davon, ob sie zu dem vorliegenden Thema eine qualifizierte Meinung abgeben können oder nicht. So wurde Leonardo DiCaprio unlängst zum Helden auf Facebook und Twitter und in anderen Medien, weil er in einer Dankesrede zu nachhaltigerem Verhalten aufrief. Nicht aufgrund seiner Qualifikation, und auch nicht durch sein außergewöhnlich nachhaltiges Tun, sondern aufgrund seiner Popularität wurde er zum Vorbild in Nachhaltigkeit.

Breitenwirksame Sichtbarkeit scheint sogar manchmal der einzige Faktor zu sein, der über die Eignung als Vorbild entscheidet. Dieses Phänomen ist verwandt mit einem anderen psychologischen Effekt: Wir mögen Dinge lieber, die uns vertraut sind, und finden sie schöner. Also je mehr wir einem bestimmten Reiz ausgesetzt sind, desto mehr gefällt uns dieser.
Mediale Präsenz führt also dazu, dass Personen als Vorreiter und Meinungsbildner ernstgenommen werden, weit jenseits der Grenzen ihrer inhaltlichen Kompetenz. Dieses Phänomen wurzelt in unserer Evolutionsgeschichte. Soziales Lernen ist zwar eine kostengünstige Strategie, um sich Neues anzueignen, sollte gleichzeitig aber nicht völlig undifferenziert erfolgen. Im Tierreich ist soziales Lernen oft auf das Imitieren von Verhalten bekannter Individuen beschränkt. Fremde Artgenossen sind als Rollenbilder nicht so vertrauenswürdig und werden deshalb seltener imitiert. Durch die mediale Präsenz wird eine Pseudo-Sozialbeziehung zu den Prominenten aufgebaut. Den echten Experten, die ausschließlich dann zu Wort kommen, wenn sie inhaltlich etwas beizutragen haben, fehlt dieser Zugang. Deshalb nehmen wir diese als Fremde paradoxerweise als weniger glaubwürdig wahr, wiewohl ihre fachliche Kompetenz das Gegenteil begründen würde.

In der Werbung wird dieses Phänomen genutzt: Stars werben für Produkte aller Art. Nun ist kaum anzunehmen, dass Schifahrer eine besondere Expertise zum Thema Schokolade besitzen, oder dass ein amerikanischer Schauspieler mehr über Kaffee weiss als die Durchschnittsösterreicher. Nichtsdestotrotz greifen Unternehmen tief in ihre Taschen, um ein bekanntes Gesicht mit ihrem Produkt zu verbinden. Selbst wenn Werbung auf Expertenmeinungen baut, tut sie es nicht so, wie man dies erwarten würde, ginge es tatsächlich um die Expertise: Anstatt viele Fachleute zu Wort kommen zu lassen, wird eine Person als Expertengesicht etabliert. Diese Strategie erfordert mehr Zeit – die Vertrautheit zum Modell muss erst aufgebaut werden – kann aber auf lange Sicht erfolgreich sein.

Wissenschaften liefern keine 100-prozentigen Aussagen. Nichts anderes interessiert aber die Öffentlichkeit als Argument eines Vorbildes.

Vorbilder sind Kommunikationsprofis

Aktuell sind Vorbilder jene Mitmenschen, die erfolgreich Botschaften vermitteln können. Dabei ist es besonders wichtig, eine Sprache zu finden, die verstanden wird. Auch hier sind Menschen der Öffentlichkeit oft den Experten überlegen. Das teils oberflächliche Wissen, das Stars über Themen haben, die sie kommunizieren, erleichtert es, die Botschaften die sie verbreiten wollen in schlichte Worte zu verpacken. Besonders Wissenschaftler haben oft das gegenteilige Problem: Dadurch, dass sie über fundiertes Detailwissen verfügen, ist es ihnen oft unmöglich, Aussagen auf leicht verdauliche Botschaften zu reduzieren. Die Extraktion der zentralen Aussage aus einer wissenschaftlichen Arbeit stellt eine beinahe unlösbare Aufgabe dar. Wissenschaften, die sich mit Wahrscheinlichkeiten und Verteilungen auseinandersetzen, liefern keine hundertprozentigen Aussagen. Nichts anderes interessiert aber die Öffentlichkeit als Argument eines Vorbildes.

Ideale Vorbilder

Ideale Vorbilder sind Personen, die unterschiedlichste Eigenschaften in sich vereinen:
a) Sie können sich inhaltlich auf eine fundierte Basis berufen, die ihnen Expertenstatus verleiht.
b) Sie verfügen über mediale Sichtbarkeit, um ihrer Botschaft entsprechende Breitenwirksamkeit zu verleihen.
c) Sie sind dazu in der Lage, Botschaften so zu kommunizieren, dass sie von er Öffentlichkeit verstanden werden.
Da eine eierlegende Wollmilchsau mit derlei diversen Eigenschaften kaum existiert, stellt sich die Frage, ob wir von Wissenschaftlern und Experten wirklich erwarten können, dass sie Vorbildwirkung in unserer Gesellschaft übernehmen. Möglicherweise ist es dienlicher, die Aufgaben so zu verteilen, dass Personen der Öffentlichkeit, die exzellente Kommunikatoren sind, von Experten so fundiert zu informieren, dass sie ihrer Vorbildrolle möglichst gut gerecht werden können. Besonders in der Wissenschaftskommunikation kristallisiert sich eine Rollenverteilung zwischen Wissenschaftlern und Wissenschaftsjournalisten heraus: Wissenschaftler konzentrieren sich auf das Generieren neuere Erkenntnisse und deren Kommunikation in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Die Brücke zwischen der Forschung und der Öffentlichkeit wird durch andere geschlagen: Wissenschaftsjournalisten, die über ausreichend Verständnis verfügen, um die Information aus der Wissenschaftswelt zu verstehen, übersetzen diese in eine Sprache, die allgemein verständlich ist. Wenn es gelingt, das Vertrauen der Wissensschaffenden und der Wissenskonsumenten zu gewinnen, ist der wichtigste Schritt zur Verbreitung von inhaltlich fundierten Botschaften getan.

Die evolutionäre Fehlpassung

Die Mechanismen die bei der Auswahl von Vorbildern und bei der Bewertung der Glaubwürdigkeit anderer zur Anwendung kommen, sind im Laufe unserer Evolutionsgeschichte unter Rahmenbedingungen entstanden, die sich massiv von der aktuellen Lebensumwelt unterscheiden. Unsere Vorfahren konnten dadurch, dass sie bevorzugt von Bekannten lernten, die Wirksamkeit des sozialen Lernens erhöhen. Moderne Technologien schaffen jedoch eine Pseudovertrautheit mit Personen, die wir eigentlich gar nicht kennen. Jene Personen, die virtuell regelmäßige Gäste in unserem Wohnzimmer sind, werden also zu virtuellen Mitgliedern unserer Gruppe. Deshalb glauben wir ihnen, und wählen sie als Vorbilder. Dies birgt die Gefahr in sich, dass wir den falschen Personen vertrauen, einfach nur deshalb, weil wir glauben, sie zu kennen. Solange wir uns dessen bewusst sind, dass dieses Bauchgefühl des Vertrauens nicht notwendigerweise eine verlässliche Basis ist, können wir bewusst gegenlenken.

Vorbilder: Fall Zuckerberg

Mark Zuckerberg (facebook) sorgte Anfang des Jahres für Schlagzeilen, indem er einen Großteil seines Vermögens spendete. Er wurde kurzfristig zum Helden hochstilisiert, aber bald regten sich Zweifel. Der Versuch, durch diese Aktion sein Image zu verbessern, war nicht gänzlich von Erfolg gekrönt. Zuvor hatte sich Unmut darüber breitgemacht, dass Zuckerberg trotz Milliardenumsätzen kaum Steuern bezahlt. Während die unmittelbare Reaktion in den sozialen Medien eine Welle der Begeisterung war, blieb die Reaktion in den klassischen Medien verhalten. Zu Recht, wie sich herausstellte: Spenden sind besonders in den USA perfekte Mittel, um Steuern zu sparen. Außerdem verließ das Geld nie die Kontrolle des Zuckerberg’schen Imperiums: Die Stiftung unterliegt den Weisungen des Milliardärs, und wird so mit hoher Wahrscheinlichkeit im Sinne seiner Ziele arbeiten.

Dieser Fall beleuchtet ein äußerst paradoxes Phänomen: Jene, die sich an die Regeln halten und durch ihr normgerechtes Verhalten das soziale Miteinander unterstützen, z.B. indem sie ihre Sozialabgaben und Steuern zahlen, werden gar nicht wahrgenommen. Jene, die durch Regelverletzung in die Lage gebracht werden, etwas Soziales zu tun, werden hingegen zu Helden. Wir tendieren dazu, Dinge die der Norm entsprechen zu unterschätzen, während wir seltene Dinge überbewerten. Als Resultat werden wir erst aufmerksam, wenn etwas Ungewöhnliches passiert. Deshalb ist auch regelkonformes Verhalten kaum der Rede wert. Nur durch Bewusstmachung dieser Verzerrung können wir diesem Phänomen entgegenwirken.

Geschrieben von Elisabeth Oberzaucher

Schreibe einen Kommentar