Warum suchen wir den Rausch? Evolutionär betrachtet ist es nicht wirklich sinnhaft, dass man einen Zustand aktiv herbeiführt, in dem man eingeschränkte Kontrolle über die Sinne hat und völlig hilflos einem Angriff ausgeliefert wäre. Im Rausch sind wir enthemmt, verlieren wir die Kontrolle, tun wir Dinge, die wie im Nachhinein bereuen. Dennoch ist der Rauschzustand einer, den wir suchen, ob durch Alkohol und Drogen, ob den Geschwindigkeits- und Risikorausch.
Was ist da schiefgegangen? Wie konnte der Evolution so ein Schnitzer passieren?
Die Antwort liegt in der Natur der Mechanismen die evolutionären Prozessen zugrunde liegen: Es handelt sich hierbei nämlich um alles andere als einen zielgerichteten, wohldurchdachten Prozess. Vielmehr ist die Evolution in erster Linie durch zufällig auftretende Ereignisse, Flickschusterei und ein gehöriges Maß an Recycling geprägt. Was wir als vorläufige Endprodukte dieses Vorganges in Form von derzeit existierenden Lebewesen vor uns haben, ist folglich alles andere als perfekt. Wir sind eine Ansammlung von Eigenschaften, die im Laufe unserer Evolutionsgeschichte nützlich waren (es aber nicht notwendigerweise immer noch sind), Merkmalen, die zwar nie besonders nützlich waren aber auch nicht schädlich genug um unser Aussterben zu verursachen, und Elementen dir wir nicht mehr loswerden können, weil sie zu tief in unserer Basis verankert sind, wiewohl sie ernsthafte Probleme verursachen können.
Lange wurde das gezielte Herbeiführen von Rauschzuständen als ein zutiefst menschliches Verhalten angesehen. Ob wir uns durch die Einnahme von Substanzen oder durch bestimmte Aktivitäten in Rausch versetzen, es handelt sich immer um eine alternative Nutzung von physiologischen Mechanismen, die an sich im Körper eine wichtige Funktion erfüllen.
Drogen in Österreich
Konsumerfahrungen mit illegalen Drogen (Lebenszeitprävalenz) finden sich in Österreich am häufigsten in Bezug auf Cannabis mit Prävalenzraten von etwa 30 bis 40 Prozent bei jungen Erwachsenen, ist aus dem Bericht zur Drogensituation 2016 zu erfahren. Aus den meisten Repräsentativstudien ergeben sich weiters Konsumerfahrungen von etwa 2 bis 4 Prozent für „Ecstasy“, Kokain und Amphetamin sowie von rund 1 bis maximal 2 Prozent für Opioide.
Studienergebnisse zeigen sowohl für die Gesamtbevölkerung als auch bei Jugendlichen keine wesentlichen Veränderungen im Konsumverhalten. Die Einnahme von Stimulantien (insbesondere Kokain) bleibt stabil auf niedrigem Niveau. Der Konsum neuer psychoaktiver Substanzen spielt kaum eine Rolle. In den letzten Jahren wurde jedoch beim Probier- und Experimentierkonsum eine Verbreiterung des Substanzenspektrums festgestellt.
Opioidkonsum stellt den größten Teil des risikoreichen Drogenkonsums dar. Aktuell konsumieren zwischen 29.000 und 33.000 Personen Drogen unter Beteiligung von Opioiden. Alle verfügbaren Daten legen einen starken Rückgang des risikoreichen Opioidkonsums bei der Altersgruppe 15 bis 24 Jahre nahe, es gibt also weniger EinsteigerInnen. Ob dies einen Rückgang des illegalen Suchtmittelkonsums insgesamt oder eine Verlagerung auf andere Substanzen bedeutet, steht nicht fest.
Körpereigene Opiate zur Fokussierung
Unser Körper produziert Opiate als hausgemachte Schmerzmittel. Schmerzen erfüllen zwar eine wichtige Funktion für die Erhaltung des funktionalen Gleichgewichtes, weil sie uns auf Dinge hinweisen, die vom Optimum abweichen. Die kommunikative Funktion von Schmerzen besteht darin, dass sie unsere Aufmerksamkeit auf Probleme lenken, die unser Organismus dringend bewältigen muss. Sobald wir durch eine entsprechende Aktion reagieren, ist die Funktion erfüllt, und die Schmerzen werden nicht mehr benötigt. Opiate werden ausgeschüttet, um sie abzustellen.
Interessanterweise wurden die physiologischen Mechanismen und Funktion der körpereigenen Opiate oder Endorphine erst Jahrzehnte nach der Einführung von Opiaten als schmerzstillende Medikamente wissenschaftlich beschrieben. Ihre Wirkung ist nicht auf die Linderung von Schmerzen beschränkt, sondern sie erstreckt sich darüber hinaus auf das Unterdrücken von Hungergefühlen, und die Ausschüttung von Sexualhormonen. Durch diese umfassende Beeinflussung des physiologischen Gleichgewichtes kann bei Bedarf also der Fokus des Organismus von basalen biologischen Funktionen wie der Nahrungsaufnahme abgelenkt werden, um eine erhöhte Leistung in anderen Bereichen zu erzielen. Dies ist essentiell für die Mobilisation im Rahmen einer Stressreaktion.
Risiko als Suchtfaktor
Beim Bungee-Jumping kopfüber dem Tod ins Auge schauen, auf Schiern Geschwindigkeitsrekorde brechen, mit dem Motorrad ein Wettrennen mit Schwerfahrzeugen starten – all dies sind hochriskante Unternehmungen. Was lässt uns derartige Risiken eingehen? Warum können wir dem Nervenkitzel nicht widerstehen?
Marvin Zuckerman beschrieb die Persönlichkeitseigenschaft “sensation seeking”, also das Suchen nach Abwechslung und neuen Erlebnissen, um immer wieder neue Reize zu erleben. Diese Stimulation erreichen wir durch Abenteuer und riskante Aktivitäten, aber auch durch einen unkonventionellen Lebensstil, durch soziale Enthemmung, oder Vermeidung von Langeweile. Nicht alle Menschen zeigen ein vergleichbares Ausmaß an „sensation seeking“.
Was sind die hormonellen Grundlagen dieser Verhaltenstendenzen? In gefährlichen Situationen kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung von Adrenalin. Dieser Adrenalinrausch führt zu erhöhter Wachheit, wir sind erregt, das Herz klopft schneller, die Atemfrequenz beschleunigt sich. Der Körper macht sich bereit zu kämpfen oder zu fliehen.
Ähnlich wie bei Opiaten werden andere Empfindungen wie Hunger und Schmerzen unterdrückt. Diese im Laufe unserer Evolutionsgeschichte sehr sinnhafte Funktion – um es dem Organismus zu erlauben, sich ganz auf das vorliegende Problem zu konzentrieren, ohne von lebenserhaltenden Bedürfnissen abgelenkt zu werden – kann zur Grundlage von Suchtverhalten werden: Die euphorisierende Wirkung des Adrenalin ist es, wonach Risikosucher süchtig sind, und was sie dazu bewegt, irrationale Risiken einzugehen.
Fällt der Adrenalinspiegel ab, erholen sich die dadurch unterdrückten Körpervorgänge langsam. Schmerzen, Hunger und andere unangenehme Gefühle, die uns daran erinnern, uns um die Bedürfnisse unseres Körpers zu kümmern. Entzugserscheinungen, die sich selten gut anfühlen.
Von der Belohnung zur Sucht
Experimente mit Ratten zeigten jedoch, dass auch diese eine ausgeprägte Schwäche für euphorisierende Substanzen haben. Ratten, die durch Betätigen eines Hebels direkt das Belohnungszentrum in ihrem Gehirn stimulieren können, wodurch die Ausschüttung körpereigener Opiate ausgelöst wird, zeigen echtes Suchtverhalten. Sie betätigen diesen Hebel immer wieder, auch wenn das bedeutet, dass sie auf Futter und andere überlebenswichtige Dinge verzichten müssen.
Weiterführende Studien untersuchten, wie sich Abhängigkeit in Ratten entwickelt, wenn man ihnen die Möglichkeit bietet, sich Drogen durch Hebeldruck selbst zuzuführen. Ratten entwickeln unter diesen Bedingungen Abhängigkeit gegenüber Heroin, Kokain, Amphetamin, Nikotin, Alkohol und THC. Wenn Ratten Heroin- oder Kokainabhängigkeit entwickelt haben, geht ihre Sucht sogar so weit, dass sie der Substanz selbst dann nicht widerstehen können, wenn die Kokainzufuhr mit Elektroschocks als Bestrafung gekoppelt wird.
„Künstliche“ Belohnungen
Eine Vorliebe für Dinge, die unser Wohlbefinden steigern, ist an sich noch nicht problematisch. Der Ursprung ist ganz im Gegenteil ein positiver Effekt auf den Organismus. Jedoch sind derlei biologische Mechanismen keine perfekten Konstruktionen.
Durch kulturelle Innovationen sind wir in der Lage, diesen Vorlieben nahezu unbegrenzt nachzugehen, was dazu führt, dass wir andere biologische Notwendigkeiten vernachlässigen. Die physiologischen Belohnungsmechanismen, deren ursprüngliche Funktion es ist, lebenserhaltende Verhaltensweisen zu belohnen, können genau zum Gegenteil führen, wenn wir es schaffen, sie direkt zu stimulieren. Das passiert durch das künstliche Zuführen von suchtaktiven Substanzen, oder Stimulation der entsprechenden Gehirnregionen.
Rausch: Biologie oder Kultur?
Unsere Anfälligkeit für Suchtverhalten, unsere Suche nach dem Rausch hat also biologische Grundlagen, und ist keineswegs eine kulturelle Erfindung. Die Fähigkeit, dieser Tendenz nachzugeben hingegen schon: Ob es die Verfügbarkeit von stimulierenden Substanzen, oder die Möglichkeit zu stimulierendem Verhalten ist, hierbei handelt es sich um kulturelle Innovationen, die wir dazu gebrauchen, unseren Genuss zu steigern, bei gleichzeitig ausgeprägten Kosten für unsere Gesundheit und andere Aspekte unseres Daseins.
Rausch im Tierreich
Andere Säugetiere lassen es sich ganz ohne unsere Hilfe gutgehen: Elefanten werden immer wieder dabei beobachtet, wie sie vergorene Früchte fressen. Allerdings scheinen ihre Sinneswahrnehmung und ihre Fortbewegungskoordination kaum unter dem Alkohol zu leiden. Genauso ist es auch bei vielen Fruchtfledermausarten: Sie scheinen eine Toleranz gegenüber Alkohol entwickelt zu haben, um auch vergorene Früchte und Nektar fressen zu können, ohne dadurch ihre Flugfähigkeit zu verlieren. Weltmeister in Alkoholtoleranz scheinen die Spitzhörnchen zu sein, die im Durchschnitt jeden dritten Tag nach menschlichen Maßstäben als alkoholisiert zu bezeichnen wären, jedoch keine Einschränkung ihrer motorischen Fähigkeiten zu erleiden scheinen.
Rhesusaffen und andere Primaten zeigen hingegen ganz ähnliche Beeinträchtigungen des Verhaltens wie wir, und werden immer wieder dabei beobachtet, wie sie Alkohol zu sich nehmen. Diese Freilandbeobachtungen lassen keinen Schluss darauf zu, ob die Tiere diese Zustände willentlich herbeiführen, oder ob der Alkohol als Inhalt von energiereichen Nahrungsmitteln einfach nur toleriert wird. Grüne Meerkatzen haben einen Hang zu Alkohol entwickelt, da in ihrem Lebensraum viele Zuckerrohrplantagen zu finden sind. Sie ziehen einen Mix aus Alkohol und Zuckerwasser dem reinen Zuckerwasser vor. Hier scheint es also so zu sein, dass es sich um ein gezieltes Herbeiführen des Rauschzustandes handelt.
Die Fähigkeit, Alkohol sinnvoll – das heißt als Energiequelle – im Stoffwechsel einzusetzen, scheint in der Evolution mehrfach entstanden zu sein. Sie hängt eng mit der Lebensweise zusammen: Baumbewohner, die reife Früchte frisch und unvergoren fressen können, haben es nicht nötig, sich mit Alkohol auseinanderzusetzen, Bodenbewohner, deren Nahrungsquelle heruntergefallene Früchte sind, hingegen schon. Indem man nicht nur auf Zucker als Energiequelle angewiesen ist, erweitert man sein Nahrungsspektrum, und erhöht so die Überlebenswahrscheinlichkeit. Dass durch zu hohe Alkoholkonzentrationen unerwünschte Nebenwirkungen auftreten, ist im Freiland eher selten, da die Verfügbarkeit von Alkohol eher begrenzt ist. Im Freiland überwiegen die Nutzen des Alkoholkonsums die Nachteile eindeutig. Erst durch die unlimitierte Verfügbarkeit von Alkohol durch kulturelle Erfindungen wird diese ursprünglich nützliche Erfindung zu einem möglichen Problem.