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Das neue Weltbild & die große Transformation

Das neue Weltbild

Die Zukunft entscheidet sich in einem Wimpernschlag: Vor 4,6 Milliarden Jahren entstand die Erde aus Gas und Staub, in nur wenigen Jahrzehnten wird ihr Schicksal – und das ihrer Bewohner – besiegelt sein. Und, welche Ironie, einer griechische Tragödie gleich: Es ist der „denkende Mensch“, mutmaßliche Krönung der Evolution, der Mutter Natur und seine eigene Existenz bedroht. – Doch es wird anders kommen.

„Es geht um ein neues Weltbild. Wir sind in der Lage, das Erdsystem auf ganz andere Bahnen zu bringen“, Dirk Messner

Der Planet wird gerettet – davon ist auch Dirk Messner überzeugt. Der deutsche Experte für globale Entwicklung gehört zu jenen Menschen, die der Zukunft trotz aller Herausforderungen mit Zuversicht entgegenblicken. Und er ist ein Vertreter jener, die uns am Scheideweg in ein neues Zeitalter sehen. Am Beginn der wahrscheinlich bedeutendsten Epoche der jungen Menschheit. „Es geht um ein neues Weltbild. Wir sind in der Lage, das Erdsystem auf ganz andere Bahnen zu bringen“, gibt Messner die Richtung vor – hin zu einem Verständnis zu globaler Gesamtbetrachtung und notwendiger Nachhaltigkeit. Und er kann es belegen: Mit der Studie „Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation. Der Weg zu einer klimaverträglichen Weltwirtschaft“ hat er mit seinen Mitstreitern für weltweites Aufsehen gesorgt.

Das neue Weltbild

Die Erde ist eine Scheibe und steht im Mittelpunkt des Universums. – Unser kollektives Gedächtnis weiß es längst besser. Aber, legt unsere Gesellschaft, geleitet durch Erkenntnis und Vernunft, nun auch tatsächlich ihre Kindlichkeit ab? Die international durchgeführten Befragungen des World Values Survey belegen den Wandel zum neuen Weltbild. In den vergangenen rund 30 Jahren sind in insgesamt 97 Ländern aus allen Kulturkreisen und Weltregionen, in denen insgesamt mehr als 88 Prozent der Weltbevölkerung leben, Daten erhoben worden. Das Ergebnis zeigt das sich verändernde Weltbild: Inzwischen sind sich die Menschen in allen Ländern der Welt überwältigend einig: Der Klimawandel stellt ein ernsthaftes, globales Umweltproblem dar (89,3 Prozent der befragten Personen in 49 Ländern, n = 62.684). In der Mehrheit der Staaten übersteigt die Bedeutung des Umweltschutzes sogar schon jene nach Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen. Und: 65,8 Prozent der Befragten (n = 68.123) wären bereit, auf einen Teil des eigenen Einkommens zu verzichten, wenn das Geld zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung verwendet werden würde.

Die stille Revolution

Der US-Politologe Ronald Inglehart spricht hierbei von einer „stillen Revolution“ hin zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten, eben einem neuen Weltbild. Seine Theorie des Wertewandels kurz erklärt: Kann ein gewisser Wohlstand erreicht werden, wendet sich eine Gesellschaft von „materialistischen Bedürfnissen“ ab, hin zu „postmaterialistischen Bedürfnissen“. Die Geschichte scheint dies zu bestätigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte ein allgemeines Streben nach physischer Sicherheit, wirtschaftlicher Stabilität und Ordnung. Seit drei Jahrzehnten steigt jedoch die Bedeutung der „postmateriellen Bedürfnisse“. Selbstverwirklichung, Mitwirkung am Staat sowie Meinungsfreiheit und Toleranz treten in den Vordergrund und erreichen heute eine große Verbreitung. So auch die Maxime Nachhaltigkeit. Neben einem neuen Weltbild mehren sich die Befürworter, auch die aktuelle Erdsystem-Epoche Holozän vom Anthropozän ablösen zu lassen. Der bestechende Grund: Längst ist der Einfluss des Menschen die bestimmende Kraft auf das Geosystem der Erde. „Wer sich die Entwicklung der Ozeane in Jahrhunderten ansehen will, muss den Konsum der Menschen betrachten“, verweist Dirk Messner auf die Allmacht des Menschen über die Natur, die einem „nicht intendierten Geoengineering- Prozess“ gleichkommt. Deshalb braucht es Regelwerke, Konzepte, eine Philosophie, die dem neuen Weltbild Macht verleihen. „So wie mit den Menschenrechten oder dem Völkerrecht in ihrem Bereich, müssen wir Verantwortung für das Erdsystem und die kommenden Generationen übernehmen“, fordert der Nachhaltigkeitsexperte.

Die große Transformation kommt

Eines steht schon jetzt fest: Die sogenannte „große Transformation“ wird nicht auf sich warten lassen. Sie ist – abseits des Wandel im Weltbild – aus vielerlei Gründen unaufhaltsam. Das bestätigte schon US-Wirtschaftswissenschaftler Michael Spence: „We simply can’t scale up the existing growth patterns.“ 2050 werden rund neun Milliarden Menschen den Planeten Erde bewohnen. Der Klimawandel wird weiter voranschreiten. Die Entwicklungs- und Schwellenländer holen endlich zu den Industriestaaten auf. Messner: „Die wirtschaftliche Dynamik muss transformiert werden. Wir werden in jedem Fall eine große Transformation erleben. Die Frage ist: Können wir sie in Richtung Nachhaltigkeit lenken? Die guten Nachrichten dabei sind, dass die Transformation für die Weltwirtschaft finanzierbar ist und eine Reorientierung der Gesellschaft bereits begonnen hat. Die größte Herausforderung ist der Zeitrahmen“.

Vier Wege in die Zukunft

Vier Treiber sind es, die Veränderungen globalen Ausmaßes auslösen können. Das Problem: Nur drei davon sind auch steuerbar. Visionen – etwa jene, die zur Gründung der Europäischen Union geführt haben – setzen auf Ideale und Vernunft. Technologie und Innovationen brachten etwa die IT-Revolution zutage. Als rein wissensgesteuerter Treiber gilt die Forschung, die die Erkenntnis um Probleme voraussetzt. Sie führte etwa zum Begreifen des Ozonlochs. Als wichtigster Treiber müssen aber Krisen angesehen werden: Sie lösen Veränderungen unter großen Problemen aus, sind kaum zu kontrollieren und können auf Irrwege führen. Messner argumentiert, dass in der Transformation zur Nachhaltigkeit präventives Handels besonders wichtig ist, denn wenn Klima- und Erdsystemwandel erst globale Krisen auslösten, hätte dies irreversible Folgen.

Was ist zu tun?

Entscheidend für eine nachhaltige Zukunft ist die Umstrukturierung insbesondere dreier Bereiche: Energie, Urbanisierung und Landnutzung. Der Umbau zu nicht fossilen Energieträgern ist ein ganz entscheidender Faktor. Wobei, so Dirk Messner: „Energieeffizienz ist sogar von noch größerer Bedeutung. Die Gesamtnachfrage muss abgeflacht und stabilisiert werden. Das ist schon deshalb notwendig, damit der Umbau zu erneuerbarer Energie bezahlbar bleibt.“ Von immenser Bedeutung hierbei ist auch das Konsumverhalten der Städter, vor allem jener gigantischen Megacitys, die aktuell in Asien entstehen. „Die Stadt muss neu erfunden werden“, lautet Messners Devise. Doch der Experte ist auch in Sachen Energie optimistisch: Bei einem globalen Anteil von 20 bis 30 Prozent an erneuerbarer Energie soll jener Kipppunkt eintreten, der die Preiskonvergenz zu den fossilen Energieträgern schafft. Doch die Wende hat einen Pferdefuß: Die USA lassen Europa den Vortritt in Sachen Weiterentwicklung erneuerbarer Energie und wollen erst bei vertretbaren Kosten ins Boot steigen. Ob aber die Pionierleistung beim Energiewandel dann wirtschaftliche Vorteile für Europa bringt, kann noch nicht beantwortet werden. Das erklärt so manches Zögern.

Erträgliche Kosten

Die Kosten des Wandels von rund ein bis zwei Prozent des globalen Bruttosozialprodukts sind jedenfalls finanziell stemmbar. Im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung wurden zwischen sechs bis acht Prozent des BSP in die Ex-DDR investiert. Mitunter ein entscheidendes Problem: Gut 500 Milliarden Dollar – knapp ein Prozent des globalen Bruttosozialprodukts – werden nach wie vor jährlich in die Subventionierung fossiler Energieträger gesteckt.

Weltpolitik wird schwieriger

Doch gerade politisch wird ein Schwenk zur Nachhaltigkeit immer schwieriger, wie auch die Klimakonferenzen zeigen. Die Weltpolitik hat sich verändert, die Macht verschiebt sich zusehends zu den großen Schwellenländern wie China und Indien. Messner: „Während die Industriestaaten vor wenigen Jahrzehnten noch zu einer eigenständigen Nachhaltigkeitspolitik in der Lage gewesen wären, ist der Wandel heute nicht mehr alleine zu bewältigen. Das wird schwierig: Wir haben es vermasselt, andere sollen aber jetzt mitzahlen.“ (Helmut Melzer)

Geschrieben von Helmut Melzer

Als langjähriger Journalist habe ich mir die Frage gestellt, was denn aus journalistischer Sicht tatsächlich Sinn machen würde. Meine Antwort darauf siehst Du hier: Option. Auf idealistische Weise Alternativen aufzeigen – für positive Entwicklungen unserer Gesellschaft.
www.option.news/ueber-option-faq/

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