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Die Grenzen des Wachstums

Wir beuten unseren Planeten bis an seine Grenzen aus. Kann dem Wachstumsdenken des Menschen Einhalt geboten werden? Eine Betrachtung aus anthropologischer Sicht.

Die Grenzen des Wachstums

„Dem unbegrenzten Wachstum ist geschuldet, dass fossile Ressourcen ausgebeutet werden, dass unsere Meere überfischt werden und gleichzeitig zu riesigen Müllhalden verkommen.“

Lebewesen unterscheiden sich von der unbelebten Materie durch die Kombination folgender Eigenschaften: Sie können Stoffwechsel betreiben, sich fortpflanzen und sie können wachsen. Wachstum ist also eine zentrale Eigenschaft aller Lebewesen, liegt aber gleichzeitig den großen Problemen unserer Zeit zugrunde. Dem unbegrenzten Wachstum ist geschuldet, dass fossile Ressourcen ausgebeutet werden, dass unsere Meere überfischt werden und gleichzeitig zu riesigen Müllhalden verkommen. Doch ist das unbegrenzte Wachstum ein biologischer Imperativ, oder kann ihm Einhalt geboten werden?

Die zwei Strategien

In der Reproduktionsökologie unterscheidet man zwei große Gruppen von Lebewesen, sogenannte r- und K-Strategen. r-Strategen sind jene Arten, die eine sehr große Anzahl von Nachkommen haben. Das r steht hier für Reproduktion, eben aufgrund der zahlreichen Nachkommen. Bei diesen r-Strategen ist die elterliche Fürsorge eher begrenzt, was auch dazu führt, dass ein großer Teil der Nachkommen nicht überlebt. Trotzdem führt diese Fortpflanzungsstrategie zu einem exponentiellen Populationswachstum. Dies geht solange gut, solange die Ressourcen ausreichen. Schießt die Populationsgröße über die Kapazität des Ökosystems hinaus, kommt es zu einem katastrophalen Zusammenbruch. Eine Überausbeutung der Ressourcen führt dazu, dass die Population weit unter die Tragekapazität des Ökosystems zusammenbricht. Dem Zusammenbruch folgt bei r-Strategen wiederum ein exponentielles Wachstum. Dadurch entsteht ein instabiles Muster: unbegrenztes Wachstum, gefolgt von katastrophalem Kollaps – letzterer reduziert die Population schlimmstenfalls nicht nur, sondern kann sogar zum Aussterben der Art führen. Diese Fortpflanzungsstrategie wird hauptsächlich von kleinen, kurzlebigen Lebewesen verfolgt.

Je größer und langlebiger ein Lebewesen, desto eher verfolgt es die ökologische Strategie eines K-Strategen. K-Strategen haben wenige Nachkommen, die gut versorgt werden, und die großteils auch überleben. K-Strategen reduzieren ihre Fortpflanzungsrate, wenn die Populationsdichte die sogenannte Tragekapazität erreicht, also jene Anzahl von Individuen, die in einem Lebensraum existieren kann, ohne die vorhandenen Ressourcen über das Maß zu nutzen und damit nachhaltig zu schädigen. Das K steht für die Tragekapazität.
Wo Menschen in dieser Beziehung einzuordnen sind, hat die Wissenschaft noch nicht eindeutig beantwortet. Rein biologisch und fortpflanzungsökologisch betrachtet sind wir wohl eher als K-Strategen zu betrachten, allerdings steht dem eine Entwicklung des Ressourcenverbrauchs gegenüber, die eher r-Strategen entspräche.

Faktor technologische Evolution

Die exponentielle Entwicklung unseres Ressourcenverbrauches ist nicht wie bei anderen Tieren dem Bevölkerungswachstum geschuldet, sondern der technologischen Evolution, die uns einerseits zwar viele Möglichkeiten eröffnet, andererseits aber auch dazu führt, dass wir uns mit rasender Geschwindigkeit der Tragekapazität der Erde annähern. Wie r-Strategen schießen wir in atemberaubendem Tempo nicht nur auf unser Unheil zu, sondern sogar darüber hinweg. Sollte es uns nicht gelingen, diese Entwicklung einzubremsen, scheint ein katastrophaler Ausgang unvermeidbar.

Dennoch darf uns die Tatsache, dass wir biologisch betrachtet eher K-Strategen sind, optimistisch stimmen. Biologisch fundierten Verhaltenstendenzen entgegenzuwirken, bedarf besonderen Anstrengungen, da diese sehr tief verankert sind und deshalb nur durch konsequentes Gegensteuern auf der bewussten Ebene eine Verhaltensänderung bewirkt werden kann. Da jedoch unsere r-Strategen-Tendenzen eher auf einer kulturell erworbenen Ebene zu finden sind, sollte eine Änderung unseres Verhaltens leichter erreichbar sein.

System : Neustart

Dazu bedarf es aber einer grundsätzlichen Umstrukturierung unseres Systems. Die gesamte Weltwirtschaft ist auf Wachstum ausgerichtet. Nur durch steigenden Konsum, wachsende Profite und damit einhergehendem wachsenden Ressourcenverbrauch wird das System am Laufen gehalten. Dieses System kann vom Einzelnen nur bedingt durchbrochen werden.
Ein wichtiger Schritt, um aus der Wachstumsfalle zu entkommen, findet sich aber auch auf der individuellen Ebene: Er basiert auf einer grundlegenden Änderung unseres Wertesystems. Bobby Low, eine amerikanische Psychologin, sieht großes Potential in einer Neubewertung von Besitz und Verhalten. Sie betrachtet unser Verhalten aus der Sicht der Partnerwahl und des Partnermarktes, und sieht darin mit einen Grund für unseren verschwenderischen Umgang mit den Ressourcen der Erde. Statussymbole spielen eine wichtige Rolle in der Partnerwahl, da sie in unserer Evolutionsgeschichte wichtige Signale für die Fähigkeit, die Familie mit lebensnotwendigen Ressourcen zu versorgen, darstellten. In der heutigen technologisierten Welt ist der Signalwert von Statussymbolen nicht mehr so verlässlich, und darüber hinaus ist die Obsession mit der Anhäufung dieser mitverantwortlich für den wenig nachhaltigen Lebensstil.

Gerade hier bietet sich ein Ansatzpunkt für mögliche Interventionen: Wenn der verschwenderische Umgang mit Ressourcen nicht mehr als etwas Erstrebenswertes angesehen wird, kommt es automatisch zu einer Abnahme des sinnlosen Konsums. Ist hingegen der bewusste Umgang mit Ressourcen das, was als erstrebenswerte Eigenschaft gilt, dann kann wirklich etwas bewegt werden. Low postuliert, dass wir uns nachhaltiger verhalten, wenn wir dadurch wünschenswerter auf dem Partnermarkt werden. Daraus folgen zum Teil seltsam anmutende Interventionen: Sie schlägt beispielsweise vor, dass nachhaltig hergestellte Lebensmittel sehr hochpreisig verkauft werden, um sie zum Statussymbol zu erheben. Wenn etwas als Statussymbol etabliert ist, wird dieses automatisch erstrebenswert.

In Ansätzen sind derlei Entwicklungen bereits beobachtbar: Die Aufmerksamkeit, die heute in bestimmten Kreisen der Herkunft und Zubereitung der Nahrung gewidmet wird, zeigt, wie ein Lebensstil zu einem Statussymbol erhoben werden kann. Auch die Erfolgsgeschichte bestimmter Elektro-Autos ist ihrer verlässlichen Funktion als Statussymbol zuzuordnen. Die meisten diese Entwicklungen sind jedoch immer noch auf Konsum ausgerichtet, was das Wachstum zwar in bestimmte Richtungen umlenkt, aber nicht ausreichend reduziert.
Wenn wir dem Wachstum Grenzen setzen wollen, ist eine Kombination von Interventionen auf systemischer Ebene mit individuellen Verhaltensänderungen vonnöten. Nur ein Zusammenwirken beider kann dazu führen, dass das Wachstum auf ein Maß reduziert wird, das die Kapazität unseres Planeten nicht übersteigt.

Die Freitagsdemonstrationen für den Planeten geben Hoffnung, dass das Bewusstsein gegenüber der Notwendigkeit einer Veränderung steigt. Nun mögen bald Aktionen folgen, um dem Wachstum schnellstmöglich sanfte Grenzen zu setzen, bevor es durch ein brutales Durchbrechen der Tragekapazität zu einer dramatischen Katastrophe führt.

INFO: Die Tragödie der Allmende
Wenn Ressourcen öffentlich sind, ist das in der Regel nicht unproblematisch. Gibt es kein Regelwerk zur Nutzung dieser Ressourcen, und Kontrolle, ob diese Regeln auch eingehalten werden, kann es schnell zu einer Erschöpfung dieser Ressourcen kommen. Genaugenommen ist das, was zur Überfischung der Meere, und zum verschwenderischen Umgang mit fossilen Ressourcen wie Erdöl und Erdgas führt, die Abwesenheit von effektiven Regeln.
In der Ökologie bezeichnet man dieses Phänomen als Tragedy of the commons oder die Tragödie der Allmende bezeichnet. Der Begriff geht ursprünglich auf William Forster Lloyd zurück, der Überlegungen zur Bevölkerungsentwicklung anstellte. Als Allmende wurde im Mittelalter gemeinschaftlich genutztes Gut, beispielsweise gemeinsam genutztes Weideland bezeichnet. In die Ökologie fand das Konzept durch Garrett Hardin 1968 Eingang.
Hardin zufolge wird, sobald eine Ressource uneingeschränkt allen zur Verfügung steht, jeder versuchen, für sich so viel Ertrag wie möglich zu erwirtschaften. Dies funktioniert solange, wie die Ressourcen nicht erschöpft sind. Sobald jedoch die Zahl der Nutzer, bzw. die Nutzung der Ressource über ein bestimmtes Maß hinaus ansteigt, tritt die Tragik der Allmende in Kraft: Die Einzelnen versuchen weiter, ihre eigenen Erträge zu maximieren. Deshalb reichen die Ressourcen aber nicht mehr für alle aus. Die Kosten, die durch die Überausbeutung entstehen, fallen auf die gesamte Gemeinschaft zurück. Für den Einzelnen ist zwar der unmittelbare Gewinn wesentlich höher, aber auch die erst langfristig wirksamen Kosten müssen von allen getragen werden. Durch die kurzsichtige Gewinnmaximierung trägt jeder sowohl zum eigenen als auch zum Ruin der Gemeinschaft bei. „Freedom in a commons brings ruin to all“, so Hardins Schlussfolgerung z.B. nehme man eine Gemeinschaftsweide. Da werden die Bauern so viele Kühe grasen lassen wie möglich, was dazu führt, dass die Weide überweidet wird, also die Grasnarbe geschädigt wird, und nachhaltig das Wachstum auf der Weide darunter leidet. Üblicherweise gibt es bei gemeinschaftlich genutzten Ressourcen Regelwerke, die sicherstellen, dass es zu keiner Überausbeutung dieser kommt. Jedoch gestalten sich diese Kontrollmechanismen umso schwieriger, je größer die Systeme sind, die sich die Ressourcen teilen. Globale Herausforderungen brauchen andere Lösungen als die, die in mittelalterlichen Systemen funktionierten. Hier sind sowohl Innovationen auf der systemischen als auch auf der individuellen Ebene vonnöten.

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Elisabeth Oberzaucher

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