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Idole – Kolumne von Gery Seidl

Gery Seidl

Als Kabarettist werde ich oft gefragt, ob ich ein Vorbild habe und jedes Mal muss ich doch kurz nachdenken, bevor ich schließlich mit „Nein“ antworte. Ein Vorbild namentlich zu nennen, wäre auch sehr gefährlich, da der Mensch bestrebt ist ständig zu vergleichen. „Der is ja wie der – möchte ihn nachmachen – eine billige Kopie“. Weiters weiß ich nicht, ob ein Vorbild genügen würde.

Es gibt Menschen die behaupten, Friedensreich Hundertwasser hätte den großen Antonio Gaudí versucht zu kopieren. Zugegeben, es gibt ähnliche Züge, doch sind es zwei Persönlichkeiten, die auf ihre Art und Weise ihrer Idee Ausdruck verliehen haben. Einer hatte das Glück früher geboren zu sein. Gaudí. Ein Phantast. Ein Visionär. Ein Besessener und sicherlich auch zu einem gewissen Teil ein Wahnsinniger. Gaudí lebte für das, was er tat. Die große Vision seiner Kirche hat er fertig nie gesehen, doch alleine die Tatsache, ein Projekt in dieser Größenordnung zu übernehmen, macht ihn zu einem Vorbild. Heute wie damals, anders als alle anderen. Einzigartig.
Ist es die Einzigartigkeit, die Idole zu Idolen macht. Warum die neugierige Gesellschaft wissen will, was Michael Jackson zum Frühstück eingenommen hat, welches Haarshampoo Mariah Carey verwendet oder wie viele Gitarren Slash zuhause hängen hat? Wie leben sie? Was machen sie?

Vielleicht ist gerade Herr Max Mustermann unserer Gesellschaft ein Vorbild ohne dass die Masse aktiv davon Kenntnis besitzt. Ich bin der Meinung, wir sollten uns aufmachen und den Helden in uns suchen.

Und warum interessiert es uns nicht so sehr, wie Max Mustermann sein Haar heute trägt? Weil Max Mustermann eben nichts Besonderes macht – glauben wir. Vielleicht ist aber gerade dieser Herr Max unserer Gesellschaft ein Vorbild ohne dass die Masse aktiv davon Kenntnis besitzt. Vielleicht ist er ein streitbarer Geist im Kleinen für Gerechtigkeit? Einer der aufsteht, wenn er Ungerechtigkeit wittert. Einer, der Freude in seinem Beruf findet und noch Steuern zahlt. Ein Vater von zwei Kindern, der auch nach 20 Jahren Ehe noch gerne neben seiner Frau aufwacht und jede Falte in ihrem wunderschönen Gesicht liebt. Natürlich sieht er auch die Botoxgesichter der getunten Damen im Fernsehen, doch sie berühren ihn nicht. Sie ist es. Frau Mustermann. Die Zuhause alles checkt. Von Hausärztin über Köchin, Reiseleiterin und Hauslehrerin. Sie, die so viele Bereiche abdeckt und dann doch nur den Titel Hausfrau trägt. Das ist keine Eintrittskarte für den roten Teppich bei der Bambiverleihung. Dafür gibt es keinen Oskar.

Das Mustermannleben klingt nicht spannend. Artig, aber nicht spannend. Und doch steckt vielleicht ein Held in ihm, nur ist es einer von den ganz leisen. Die Musterkinder finden ihn voraussichtlich uncool, doch der Tag wird kommen, wo auch sie seine Werte schätzen lernen. Einen Oskar für dein Lebenswerk kann nur die Familie verleihen, die kleinste Zelle der Gesellschaft, doch meines Erachtens die Wichtigste. Es sind die leisen Helden, die einen Anderen groß machen. Indem sie fragen, was er isst, indem sie sich um seine Kleider kümmern, indem sie ihn beeindruckt empfangen, wenn er aus einer der 25 Limousinen steigt.
Wir hören ihre Musik, wir finden Gefallen an den Bilder, wir sind begeistert von der Rhetorik… Unendlich könnte man diese Liste fortsetzen. Die Stars, die Musen unserer Zeit decken etwas ab, das uns selbst zu fehlen scheint, das wir bei uns noch nicht entdeckt haben oder wir uns nicht trauen würden, es öffentlich preis zu geben. Oft passiert es, dass vermeintliche Vorbilder bei näherem Kennenlernen ihren Glanz verlieren. Doch auch umgekehrt ist es möglich, Größe in dem vormals Unbekannten zu finden.

Wenn wir die Kunst des Scheiterns nicht wieder entdecken, dann werden wir auch keine neuen Wege finden. Die neuen Anforderungen, die uns die Zeit und unser Fortschrittsdenken stellt, werden wir auf den alten Pfaden nicht meistern.

Ich bin der Meinung, wir sollten uns aufmachen und den Helden in uns suchen. Zeit damit verbringen um zu erkennen, was uns ausmacht. Momente finden, die uns berühren. Begegnungen suchen, die uns begeistern. Erkennen, wer wir sind und warum es uns hier gibt. Dann können wir auch würdevoller scheitern.
Mit Rückgrat und Verstand eine Meinung vertreten und nicht alles glauben, was einem vorgesetzt wird. Die, die wir wählen – wählen WIR, und ich bin es leid ständig mit dem kleineren Übel konfrontiert zu werden. Wenn wir die Kunst des Scheiterns nicht wieder entdecken, dann werden wir auch keine neuen Wege finden. Die neuen Anforderungen, die uns die Zeit und unser Fortschrittsdenken stellt, werden wir auf den alten Pfaden nicht meistern. Der erkennbare Rückschritt, der uns tagtäglich medial transportiert wird, verliert sich in einer Ohnmacht des „Drüberlesens“. Wenn Nachbarländer und ihre (noch) gewählten Spitzen vermehrt beginnen, freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit zu beschränken, werden wir eine Zeit erleben müssen, die meine Generation nur aus Geschichtsbüchern kennt.
Ich denke, die Zeit ist reif für neue Helden. Die Schuhe eines Nelson Mandela, eines Vaclav Havel, einer Rosa Parks uvm. sind zwar riesengroß, doch wer sagt nicht, dass sie eines Tages auch einem anderen passen könnten. So wird es sie immer geben die Helden und Vorbilder einer oder mehrerer Generationen. Die lauten Idole im Scheinwerferlicht und die leisen Idole, deren Namen und Gesichter nur selten ins Licht finden. Und genauso wie es die Idole immer geben wird, wird es auch die geben, die sie zu solchen machen. Eine Symbiose. Suche nicht das Licht, sondern werde zum Licht.

Foto/Video: Gary Milano.

Geschrieben von Gery Seidl

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