Als Facebook 2014 in Deutschland die Einstellungen änderte und seine Mitglieder sich von nun an bei der Geschlechterfrage in ihrem Profil nicht mehr nur zwischen männlich und weiblich entscheiden konnten, sondern zudem weitere 58 Möglichkeiten zur Verfügung standen, rückte die Idee einer ganz anderen Definition von Geschlecht in die breitere Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Die nämlich von der Bedeutungslosigkeit des biologischen Geschlechts und der freien Wählbarkeit seiner Geschlechtszugehörigkeit, weit über die zwei bekannten Möglichkeiten hinaus.
Mit aktuell 30 Millionen aktiven Nutzerinnen und Nutzern bildet Facebook durchaus gesellschaftlich relevante Strömungen ab. Und eine ist klar zu erkennen: es gibt mehr als eine Handvoll Menschen, die sich mit der klassischen Zwei-Genderung nicht identifizieren können. Die Diversität der menschlichen Geschlechteridentitäten oder, um es mit Magnus Hirschfeld zu sagen, dem Sexualforscher und Mitbegründer der ersten Homosexuellen-Bewegung, der sexuellen Zwischenstufen, wurde allerdings auch mit den 58 Möglichkeiten bei Facebook nicht annähernd abgebildet. Weshalb Facebook auch dazu überging, dass nun in den Profileinstellungen zwischen männlich, weiblich und benutzerdefiniert gewählt werden kann. Das Dropdown-Menü ist, konsequenterweise, inzwischen verschwunden. Es gibt nun schlicht einen freien Platz – „Dein Geschlecht hinzufügen“ – für einen selbst gewählten Begriff. Dass es schon immer Menschen gab, die sich nicht in der festgelegten Zweigeschlechterordnung wiederfinden konnten, mag vielleicht für den ein oder anderen überraschend scheinen. Hauptsächlich wohl deshalb, weil es außerhalb der Heteronormativität offiziell keine Alternativen gab und diese auch nicht auf anderen Wegen sichtbar gemacht werden konnten. Das Internet hat neue Möglichkeiten geschaffen. Dennoch ist es vielerorts rein rechtlich nicht möglich, etwas anderes als Frau oder Mann zu sein. Dazwischen gibt es nichts.
„Die Diversität der menschlichen Geschlechteridentitäten wurde auch mit den 58 Möglichkeiten bei Facebook nicht annähernd abgebildet.“
Ebenfalls im Jahr 2014 gewann die von Thomas Neuwirth zum Leben erweckte Kunstfigur Conchita Wurst, eine Diva mit Bart, den Eurovision Song Contest. Der Sieg von Conchita erschütterte, zu meiner Überraschung, die Grundfesten des heteronormativen bipolaren Geschlechtersystems außerordentlich. Und das, obwohl die Kunstform bzw. queere Praxis des Draggings eine lange Tradition hat und Dragqueens wie z.B. Olivia Jones schon länger durch jeden deutschsprachigen Fernsehsender, egal welcher Couleur, hüpfen. Man hätte meinen können, Travestie gehört längst zum Alltag.
Doch dadurch, dass Conchita Wurst nicht alle männlichen Attribute durch weibliche ersetzt, sondern beides mischt und eine Gleichzeitigkeit von Mann und Frau zulässt, war für einige das Ende der Komfortzone und zugleich auch der Sprache erreicht. Die Geschlechterunklarkeit löste Unbehagen aus, auch sprachlich. Sie, er, es – was sollte das sein? „Kunst“ sagte Neuwirth und zeigte damit nur noch deutlicher auf, dass es in der Geschlechterfrage immer noch wenig Platz für Humor und Abweichungen gibt.
Das bekommen auch Menschen wie Lann Hornscheidt zu spüren, die sich für eine geschlechtergerechte Sprache einsetzen. Hornscheidts Idee geht viel weiter als die Ausmerzung des generischen Maskulins, dem mittlerweile offiziell der Kampf angesagt wurde, und eckt damit gehörig an. Zudem möchte Hornscheidt persönlich weder als Mann noch als Frau bezeichnet werden und löst damit so viel Hass aus, dass für diese Art von Zuschriften eine eigene Emailadresse eingerichtet wurde.
Derweil ist es doch eigentlich recht spannend, sich einmal zu fragen, wie sich die Gesellschaft bei der tatsächlichen Abschaffung der Zweigeschlechtlichkeit neu ordnen würde. Zwar greift diese Idee selbstverständlich die eigene Identität an. Aber ist nicht gerade diese Möglichkeit des Ausbrechens aus dem simplifizierenden Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit eine Chance, nicht nur die zu inkludieren, die bisher von ihr ausgeschlossen wurden, sondern zugleich auch grundsätzlich in der eigenen Wahrnehmung der Vielfältigkeit der Welt den Raum zu geben, der ihr auch zusteht?
Bedeutet doch diese Erweiterung der Benennungsmöglichkeiten schließlich nicht, dass fürderhin niemand mehr sagen dürfe, dass er oder sie – ganz oldschool – ein Mann sei oder eine Frau.