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Tante Mizzis Kuchen – Kolumne von Gery Seidl

Gery Seidl

Wenn man in einer Suchmaschine den Begriff „Wahrheit“ eingibt, so erhält man folgende Antwort: „Wahrheit ist ein Begriff zur Beschreibung von Tatsachen, Wirklichkeiten oder Wahrnehmungen.“ Eine Definition, die viel Spielraum zulässt und der „Notlüge“ kaum noch eine Existenzberechtigung einräumt, wenn man die „Wahrheit“, die ich immer als das Unumstößliche gesehen habe, doch recht leicht unter dem Deckmantel der subjektiven Wahrnehmung biegen kann. So hat einer die „Wahrheit“ gesagt. Aus seiner Sicht. Gut. Doch ist es dann wahr?

Was ist wahr? Ich grüble. 1000 Beispiele fallen mir ein und keines passt. Vielleicht eines. Ein ganz kleines: Wir sitzen bei Tante Mizzi und sie bietet mir einen Nachschlag von ihrem leider völlig verbrannten Zwetschenkuchen an. Ich lehne dankend ab während mein Magen knurrt. Die Nachfrage ob er mir nicht schmeckt, verneine ich händeringend, rede mich auf ein üppiges Mittagessen aus und lobe den Kuchen über alle Maßen. Dass das nicht die Wahrheit ist, erkennt jedes Kind. Es ist noch viel weniger. Ich möchte sogar sagen es ist eine glatte Lüge, wobei ich nicht weiß, ob die Lüge zwingend das Gegenteil von Wahrheit ist, wenn auch diese nur eine Wahrnehmung darstellt.

„Und selbst wenn Onkel Heinzi meint der Kuchen ist verbrannt und alle anderen, die ihn kosten, auch. Hat die Mehrheit recht? “

Richtig wäre gewesen: „Liebe Tante Mizzi. Hunger hätte ich für ein ganzes Blech von deinem Zwetschenkuchen, doch wusste ich nach dem ersten Bissen schon nicht, wie ich dieses eine Stück überleben soll.“ Das wäre die Wahrheit gewesen, doch drängt sich die Frage auf, wem es danach besser geht. Mir? Tante Mizzi? Allen, die sie nach mir noch besuchen und in den Genuss der verbackenen Süßspeise kommen? Vielleicht habe ich mich auch geirrt und es schlagen nur meine Geschmacksnerven aus. Onkel Heinz liebt den Kuchen und zwar genau so wie er ist.
Ich bin ja nur Konsument und kein Spezialist. Ich kann mit keinem glaubhaften Argument, wie es vielleicht ein Haubenkoch kann, beweisen, dass es sich hier um ein Stück Teig handelt, das man gut 30 Minuten früher aus dem Backrohr hätte retten müssen. Und selbst wenn Heinzi meint der Kuchen ist verbrannt und alle anderen, die ihn kosten, auch. Hat die Mehrheit recht? War der Kuchen zu lange im Rohr und ist ungenießbar? Oder ist es eine ganz besondere Geschmacksrichtung und könnte somit teurer verkauft werden? Sie merken. Tausend Frage und keine Antwort.

Mein Beispiel ist zugegeben sehr überschaubar, doch glaube ich, sind die großen Themen der Welt ähnlich gestrickt. Hatte Saddam Hussein tatsächlich Bauteile für Atomwaffen und war dieser Umstand Grund genug um in den Irak einzumarschieren. Zwölf Jahre danach hat der Amerikaner noch immer nichts gefunden. Irrtum? Oder nicht? War der Grund ein anderer und man hat
die Welt nur belogen. Oder haben die Bushs und Rumsfelds die Wahrheit aus ihrem Blickwinkel beschrieben der offensichtlich nicht sehr weit gestreut ist.
Ein vielleicht aktuelleres Beispiel haben wir jetzt in Syrien. Wer soll denn wen aufgrund welcher Interessen oder Wahrheiten unterstützen? Unterstützt Putin das Assad Regime ist er offensichtlich ein Böser in der Welt. Unterstützt er die Rebellen, profitieren dadurch die IS-Kämpfer. Macht er nichts, ist er ein Wegschauer. Und was macht der Amerikaner? Er macht alles, außer einem Krieg im eigenen Land. Und in Berlin steht Frau Merkel und wundert sich über die Flüchtlinge ohne auch nur einen einzigen Gedanken zu verschwenden vielleicht keine Waffen mehr zu liefern. Die sind nämlich das Wasser auf den Mühlen. Und über allem steht die Religion. In ihrem Windschatten kann man viel Geld machen.
Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass es die „Wahrheit“ gar nicht gibt. Es gibt entweder unendlich viele oder keine. Was es jedoch gibt, ist die Profitsucht und die Macht. Und um die herum wird die Wahrheit gebogen. Ex-Entscheidungsträger, die sich im Laufe der Jahre komplett „verschlüsselt“ haben können sich an nichts mehr erinnern und beteuern, nur stets das Beste für das Land gewollt zu haben.

Was wir bis jetzt jedoch gänzlich außer Acht gelassen haben, ist die noch viel größere Frage: „Wieviel Wahrheit verträgt der Mensch?“ Wie würde es uns gehen, wenn die Masken fallen? In der großen Politik, in Begegnungen mit anderen Menschen, im Alltag, im Beruf, in der Familie, im Bett und zu guter Letzt bei Tante Mizzi auf der Küchenbank.
Alles würde sich ändern! Doch das wollte der Mensch noch nie.

„Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit.“
Marie von Ebner-Eschenbach

Im Kleinen können wir uns unsere eigene Welt bauen in der die eigene Wahrheit gilt. Wahr im Sinne von Ehrlich zu sich selber. Du und deine innere Stimme. Wir können uns jeden Tag aufs Neue dafür entscheiden einer Lüge zu dienen oder so durch die Welt gehen, dass kein Zweiter Schaden nimmt. Vielleicht noch mehr – dass wir ihn positiv anstecken. Eine Spirale, die nach oben hin kein Ende findet. Der Anfang jedoch liegt bei uns. Nicht in Washington, nicht in Berlin, Brüssel oder bei sonst irgend jemandem. Wenn ich heute mit einer guten Idee aufstehe und Sie damit erreiche, dann stehen Sie morgen mit der Idee auf, und übermorgen ihr Nachbar, Bruder, Freund, Frau….. Wir werden eine unüberschaubare Menge, die wieder beginnt Fragen zu stellen. Und wenn uns die „wahren“ Antworten nicht glaubhaft erscheinen, dann kann es eben sein, dass sie es vielleicht nicht sind. Die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach sagte einmal: „Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit.“

Geschrieben von Gery Seidl

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