Das Wort Stress kommt aus dem Englischen und bedeutet im ursprünglichen Sinn „Dehnung, Beanspruchung“. In der Physik wird der Begriff zur Beschreibung der Elastizität von festen Körpern gebraucht. Im Bezug auf unseren Körper steht der Begriff für die natürliche Reaktion auf eine Herausforderung und lässt sich evolutionsbiologisch erklären: Früher war es für den Menschen überlebenswichtig, den Körper bei Gefahr mobil zu machen und sich auf Kampf oder Flucht vorzubereiten; in manchen Situationen gilt dies auch heute noch. Puls und Blutdruck steigen, alle Sinne sind geschärft, die Atmung wird schneller, die Muskeln spannen sich an. Heute muss unser Körper jedoch in den seltensten Fällen mit Kampf oder Flucht reagieren. Damit hat der psychisch geladene Mensch meist kein Ventil mehr, um den inneren Druck wieder abzubauen.
Positiver Stress
„Stress findet im Kopf statt“, sagt die deutsche Psychotherapeutin und Buchautorin Diana Drexler. „Das Erleben von Stress hängt von unserem subjektiven Erleben ab.“ Stress per se sei nichts Schlimmes, sondern notwendig für die menschliche Entwicklung und ein Motor für Veränderung. Positiver Stress (Eustress), auch Flow genannt, erhöht die Aufmerksamkeit und fördert die Leistungsfähigkeit unseres Körpers, ohne ihm zu schaden. Eustress motiviert und steigert die Produktivität, zum Beispiel, wenn wir Aufgaben erfolgreich lösen. Stress wird erst dann negativ gewertet, wenn er zu häufig und ohne körperlichen Ausgleich auftritt.
Negativen Stress (Disstress) empfinden wir als bedrohlich und überfordernd. Wobei Stress für jeden etwas Anderes bedeutet: „Für Menschen ohne Arbeit bedeutet alleine schon die Arbeitslosigkeit und das Gefühl, nichts wert zu sein, Stress, der bis zum Burnout führen kann“, weiß Nancy Talasz-Braun, Lebens- und Sozialberaterin sowie Yogalehrerin. Andere wiederum fühlten sich von ihrem Job gestresst, Viele hätten das Gefühl, funktionieren zu müssen.
Entspannung
Progressive Muskelentspannung (PMR) nach Edmund Jacobson: Einzelne Muskelpartien werden angespannt und nach kurzer Zeit wieder gelockert.
Autogenes Training: Eine vom deutschen Psychiater Johannes Heinrich Schultz begründete psychotherapeutische Methode der Selbstentspannung.
Atemübungen wie das „Quadratische Atmen“: Jeweils drei Sekunden lang einatmen, den Atem halten, ausatmen und wieder halten. Dabei stellt man sich im Geiste ein Quadrat vor.
Yoga ist eine indische philosophische Lehre, die eine Reihe geistiger und körperlicher Übungen umfasst. Es gibt verschiedene Formen, wie Hatha Yoga oder Ashtanga Yoga.
Mythos Multitasking
Sabine Fisch, selbständige Medizin-Journalistin, hat eine Strategie gegen Stress entwickelt: „Ich erstelle jeden Montag eine To Do-Liste für die ganze Woche und nehme mir täglich nur so viel vor, dass auch Unvorhergesehenes hineinpasst. Erstaunlicherweise gelingt das meistens, sodass ich Stress meist eher als positiv, weil antriebssteigernd erlebe.“
Ein guter Plan in der heutigen Arbeitswelt, die uns immer mehr abverlangt. Multitasking scheint hier das Zauberwort zu sein – doch was steckt wirklich dahinter? „In Wahrheit machen wir nicht verschiedene Dinge gleichzeitig, sondern nacheinander“, erklärt Dr. Jürgen Sandkühler, Leiter des Zentrums für Hirnforschung an der Medizinischen Universität Wien. „Das Gehirn ist gar nicht in der Lage, mehrere kognitive Aufgaben, also solche, in denen wir unseren Verstand einsetzen, zu erledigen.“ Das, was im Allgemeinen unter dem Namen Multitasking bekannt ist, bezeichnet Sandkühler als „Multiplexing“: „Unser Gehirn wechselt zwischen den verschiedenen Aufgaben hin und her.“
Die US-Informatikerin Gloria Mark fand in einem Versuch heraus, dass gleichzeitiges Abarbeiten mehrerer Aufgaben keine Zeitersparnis bringt: Kalifornische Büroangestellte wurden im Schnitt alle elf Minuten unterbrochen und benötigten jedes Mal 25 Minuten, um zu ihrer ursprünglichen Aufgabe zurückzukehren. „Es geht darum, wie ich selbst mit Stress umgehe und ob ich in meinem eigenen Rhythmus arbeiten kann“, meint Sandkühler. Die Zufriedenheit am Arbeitsplatz hänge zu einem großen Teil mit Selbstbestimmung zusammen. „Stress entsteht häufig eher aus übersteigerten Ansprüchen an sich selbst als durch äußere Zwänge“, ergänzt Psychotherapeutin Drexler. „Und durch mangelnde Selbstverantwortung.“ Nur zu oft werde die Schuld an eigenen Problemen auf die Arbeit oder den Chef geschoben. „Es geht nicht darum, Stressoren zu vermeiden, die Frage ist vielmehr, wie man mit ihnen umgeht.“
Tipps für stressfreies Arbeiten
von Dr. Peter Hoffmann, Arbeitspsychologe der AK Wien)
Schaffen Sie klare Arbeitsstrukturen.
Erstellen Sie einen Tages- und Wochenplan und überprüfen Sie am Ende der Woche die Ergebnisse.
Setzen Sie Prioritäten.
Setzen Sie sich klare Aufgaben und Ziele.
Lassen Sie sich, wenn möglich, nicht unterbrechen.
Lernen Sie, auf höfliche, aber bestimmte Weise Nein zu sagen und dann dabei zu bleiben.
Klären Sie Ihre Erreichbarkeit in der Freizeit mit dem Chef und Kollegen ab und schauen Sie in Ihrem Arbeitsvertrag nach, wie dieser Punkt geregelt ist.
Überlegen Sie selbst, ob Sie immer und überall erreichbar sein wollen.
Arbeiten Sie Ihren Mailverkehr in der Früh und ca. eine Stunde vor Arbeitsende ab, schalten Sie Pop-Ups (Fenster, die eingehende Mails anzeigen) aus.
Setzen Sie sich nicht selbst unter Druck, jedes Mail oder jede Nachricht sofort beantworten zu müssen – der sinnvolle Umgang mit Handy und Internet hängt in den meisten Fällen von uns selbst ab.
Ausgebrannt durch Stress
Fest steht, dass chronischer Stress krank macht. Wenn die Energiereserven verbraucht sind, sinkt die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Gereiztheit, Albträume, Schlafstörungen, Magen-DarmProbleme und Bluthochdruck können die Folge sein. Außerdem schwächt Dauerstress das Immunsystem und kann zu Herzerkrankungen, Lungenleiden und Rückenschmerzen führen. Der gefürchtete Gipfel ist das Burn-Out-Syndrom, an dem immer mehr Menschen leiden. Eine Reihe von äußeren Faktoren spielt dabei eine Rolle: Zeit- und Leistungsdruck, fehlende individuelle Gestaltungsmöglichkeiten im Job, die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, hohe Verantwortung bei schlechter Bezahlung sowie Mobbing. Doch auch bestimmte Persönlichkeitseigenschaften scheinen die Entwicklung eines Burn-Out-Syndrom zu begünstigen. So sind Betroffene oft sehr engagierte und ehrgeizige Charaktere, die sich selbst unter hohen Erfolgsdruck setzen, einen Hang zum Perfektionismus haben und am liebsten alles selbst machen wollen. Auch ein Halbtagsjob kann zu einem Burn-Out-Syndrom führen, wenn dieser als extrem belastend empfunden wird. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die 60 bis 70 Stunden in der Woche unter hohem Druck arbeiten, ohne Probleme zu bekommen. Zum Burn-Out kommt es erst dann, wenn die Grenze der Anpassungsfähigkeit an die Herausforderungen permanent überschritten wird und die persönliche Stressverarbeitung chronisch überfordert ist.
Bei Andreas B. war über Nacht „der Saft draußen“. „Das Burnout hat sich – wie in vielen Fällen, die ich kennen gelernt habe – aus einem gegenseitigen Aufschaukeln von beruflichen und privaten Belastungen ergeben“, erzählt der 50-jährige. Sein Weg zurück führte über eine bewusste Auszeit mit viel Ruhe, regelmäßigen Essens- und Schlafenszeiten und moderater Bewegung. Fernseher und Radio blieben ausgeschalten. „Heute kann ich wieder klarer sehen und auf neuer Basis zu mir selber und meinen Empfindungen finden.“
Ernährung
Ungesättigte Fettsäuren machen die Nervenzellen elastischer: Sie sind etwa in Erd- und Walnüssen, Lein-, Raps- und Nussöl und in Kaltwasserfischen wie Hering, Thunfisch und Lachs enthalten.
Die B-Vitamine – Vitamin B1, B6 und B12 – sind bekannt für ihre stresslindernde Wirkung, enthalten sind sie in Hefe, Weizenkeimen, Rinder- und Kalbsleber, Avocados und Bananen. Auch die Vitamine A, C und E – Antioxidantien, schützen Nerven und Gefäße.
Magnesium ist ein wichtiger Mineralstoff für die Nerven- und Gehirngesundheit, enthalten ist es etwa in Bananen.
Komplexe Kohlenhydrate statt Zucker: Sie befinden sich vor allem in Vollkorngetreideprodukten, Hafer, Kartoffeln, Hülsenfrüchten wie Erbsen oder Bohnen und vielen Obst- und Gemüsesorten.
Lernen, Nein zu sagen
Nancy Talasz-Braun, die auch mit Körpercoaching arbeitet, weiß, dass bei Burn-Out gefährdeten Menschen oft erst bei Entspannung körperliche Symptome wie Rücken- und Nackenschmerzen auftreten. „Viele Menschen stehen so unter Druck, dass sie körperliche Probleme im Alltag gar nicht mehr wahrnehmen.“ Als Entspannungsmethoden würden viele Fernsehen oder Computerspielen angeben. „Ich rate meinen Klienten dann, sich stattdessen regelmäßig Zeit für Atemübungen zu nehmen, und wenn es nur fünf Minuten sind.“ Noch besser seien tägliche Yoga-Übungen wie der Sonnengruß oder regelmäßige Meditationen. „Täglich 20 Minuten, über einen Zeitraum von mehreren Wochen, lassen den Geist zur Ruhe kommen.“ Jeder müsse für sich selbst herausfinden, was gut tut, wie man Energie tanken kann, erklärt die Psychologin und Psychotherapeutin Anneliese Fuchs. „Das kann ein Spaziergang in der Natur sein, eine Meditation oder ein Saunabesuch.“ Fuchs stellt fest, dass viele Menschen aus Angst, den Job oder Freunde zu verlieren, ein Leben führen, das ihnen nicht entspricht. „In meinen Vorträgen rate ich, mit dem Jammern aufzuhören und statt dessen aufzustehen und etwas zu tun. Jede Art von Erfahrung, auch negative, bringt uns weiter – wir müssen wieder lernen, Fehler zu machen und auch mal Nein zu sagen!“ ist die Psychologin überzeugt. „Ob man Stress empfindet, hängt stark von der eigenen inneren Haltung gegenüber Leistung, Fehlern, Verantwortung und Autorität ab“, zeigt Psychologin Drexler auf. „Gegesteuern kann man, indem man mehr Toleranz für sich und andere entwickelt.“