Ich spaziere durch Wien und treffe zufällig eine ehemalige Nachbarin. Wir plaudern, wie es uns geht, ob alle gesund sind, bis sie mir erzählt, dass sie die Ausreise aus Mazedonien gerade noch geschafft hat. Sie hat ihre Familie besucht. Es hätte ein Fest werden sollen, doch es kam alles anders. Um fünf Uhr morgens brannte die Stadt drei Kilometer entfernt von ihrem Elternhaus. Waren es Radikale? Der Präsident selber? Wird es ein Bürgerkrieg oder ist es schon einer? Schüsse, Feuer, Hubschrauber, Lärm! Für zwei Stunden werden die Grenzen geöffnet und wer es schafft, passiert. Das Wort Grenze bekommt für mich eine ganz neue Bedeutung. Mein Jahrgang hat eine Grenze in diesem Ausmaß noch nicht erlebt.
Wir, die „Nachkriegsgeneration“. Wir haben keine Aufgabe. Was soll ich denn aufbauen, wenn schon alles steht und wegreißen darf ich nichts, weil überall der Denkmalschutz draufsitzt. Was man uns mitgegeben hat ist: „Greift´s nichts an, mocht´s nichts hin, mocht´s kann Lärm.“ Und das machen wir auch.
Die Frage ist, ob wir wirklich keine Aufgabe haben? Ich habe das Gefühl, es gibt an allen Ecken und Enden etwas zu tun. Alleine die Grenzenlosigkeit unserer Generation zu pflegen bedarf einer großen Anstrengung. Immer wieder errichtet die Mensch Zäune.
„Die Dummheit der Menschen und das Universum sind grenzenlos, wobei ich mir beim Universum nicht ganz sicher bin.“
Ich schreibe den Artikel, das Telefon läutet. Mein Freund Charly Rabanser, Intendant vom Cine Theatro in Neunkirchen am Großvenediger, ruft mich an und zitiert Albert Einstein: „Die Dummheit der Menschen und das Universum sind grenzenlos, wobei ich mir beim Universum nicht so ganz sicher bin.“ Er erzählt mir, dass man um sein Theater einen Zaun errichtet, der es einem Künstler beinahe unmöglich macht Requisiten in das Theater oder aus dem Theater zu schaffen. Bei genauerer Nachfrage, ob der Sinnhaftigkeit des Projektes reichte man ihm eine Visitenkarte eines Rechtsanwaltes. Was zurück bleibt ist Fassungslosigkeit.
Wieder ein Beispiel dafür, dass es an jedem Einzelnen liegt Grenzen zu errichten oder Grenzzäune abzureißen. Der eiserne Vorhang ist gefallen. Wir sind Europa! Ein schöner Gedanke, der jedoch noch einige Generationen brauchen wird um gelebt zu werden. Der Österreicher ist nicht Europa, denn er ist vielleicht aus Wien. Und da auch nicht aus Wien, sondern aus dem sechsten Bezirk. Und da auch nicht aus dem sechsten Bezirk, sondern aus der Windmühlgasse gegenüber vom Apollo Kino. Und da wohnt er auf Nummer vier, Stiege zwei. Von dort ist er Österreicher. Und ja. Österreich ist in Europa, doch waren wir schon einmal größer unter der Herrschaft des Mannes mit dem weißen Rauschebart. Da hatten wir sogar einen eigenen Strand am Meer. Wir Österreicher aus der Windmühlgasse. Auch hat es sich in den Bezirksämtern und Behörden noch nicht wirklich herum gesprochen, dass wir Europa sind, wenn unser Linienbus die Bezirksgrenze zwischen zwei Niederösterreichischen Gemeinden nicht passiert, da es im „Grenzbereich“ eine Unstimmigkeit über die Abrechnung der gefahrenen Buskilometer gibt.
Sind wir Europa, wenn wir auf Gesetzesebene nicht einmal Österreich sind? Was New York mit 16 Millionen Einwohnern und einem Bürgermeister schafft, verteilt sich bei uns auf neun Bundesländer mit neun Landeshauptleuten, deren Stellvertreter, den Bezirkshauptleuten und deren Stellvertreter. Dem Bundesrat, dem Landtag, dem Gemeinderat, dem Stadtrat, dem Gschisti Gschasti… Die Liste könnte endlos weitergeführt werden. All diese Vertreter haben Befindlichkeiten und einen Rattenschwanz an Menschen, die sie dort hingesetzt haben. Ebenso deren Befindlichkeiten gilt es zu befriedigen. Wenn man all das bedenkt, ist es oft tatsächlich unmöglich eine Entscheidung zu treffen, die dem Gemeinwohl nützt. Es konnte mir noch niemand erklären, warum wir in unserem Land neun verschiedene Bauordnungen haben. Ganz zu schweigen von den Gesetzen betreffend der Kindergartenverordnungen etc. Grenzen sind der Grund. Ein abgestecktes Machtterritorium eines Bundeslandes und deren Vertreter.
„Gehen wir vom Bestmöglichen aus, denn weniger wird es von alleine.“
Die Hoffnung, dass die kommende Generation oder gar meine anders tickt, stirbt zuletzt. Selbstständige junge Menschen, die Systeme hinterfragen und Ungereimtheiten aufdecken, befreit von jeglichem Obrigkeitsdenken, stellen die SACHE in den Vordergrund. Sie könnten gar nicht mehr anders, wenn wir es ihnen richtig vorleben würden. Mündige Menschen mit einer eigenen Meinung. „Grenzenlose“ Freiheit im Kopf. Wenn in unserem Denken alles möglich sein kann, dann kann auch das Gute funktionieren. Gehen wir vom Bestmöglichen aus, denn weniger wird es von alleine.