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Verschwörungstheorien: von absurd bis erwiesen

Verschwörungstheorien und Verschwörungen

Wie es zu absurden Verschwörungstheorien kommt und warum nicht jede blanker Unsinn ist. Zahlreiche Verschwörungen konnten aufgedeckt werden – Aber blieben zumeist ohne tatsächliche Folgen.

Aufregung im österreichischen Justizministerium Mitte September: Todesdrohungen erreichen Ministerin Alma Zadić und andere Regierungsvertreter. Wenig später klicken für einen 68-Jährigen die Handschellen. Bald steht fest: Der von einem psychiatrischen Sachverständigen als höhergradig geistig-seelisch abnorm eingestufte Mann ist ein Verschwörungstheoretiker. Auch wegen Verhetzung läuft bereits ein Verfahren, wegen einer umstrittenen Website, die seit längerem mit rassistischen und fremdenfeindlichen Inhalten auffällt. Die Ankündigung des Mannes: Ein „Systemwechsel“ stehe kurz bevor.

Verschwörungstheorien: Faktoren Bildung & Ausgrenzung

Der Glaube an Verschwörungstheorien ist weit verbreitet – und besonders anfällig scheinen Minderheiten zu sein. Das berichten Psychologen um Jan-Willem van Prooijen von der Universität Amsterdam in einer Studie. „Viele gesellschaftliche Minderheiten kämpfen mit wirklichen Problemen wie Diskriminierung, Ausgrenzung oder finanziellen Schwierigkeiten“, attestieren die Psychologen. „Jedoch scheinen diese Probleme den Glauben an realitätsferne Verschwörungstheorien zu befeuern.“ Die Kernaussagen der Studie: Menschen mit hoher Bildung glauben seltener als Menschen mit niedriger Bildung an Verschwörungstheorien. Und es zeigen sich insbesondere drei Faktoren: den Glauben an einfache Lösungen für komplexe Probleme, das Gefühl der Ohnmacht und die subjektive soziale Klasse. Prooijen kommt zu dem Schluss, „dass die Beziehung zwischen Bildung und Verschwörungsüberzeugungen nicht auf einen einzigen Mechanismus reduziert werden kann, sondern das Ergebnis des komplexen Zusammenspiels mehrerer psychologischer Faktoren ist, die mit Bildung verbunden sind.“

Teleologisches Denken: Ursache für Verschwörungstheorien?

Eine weitere empirische Untersuchung von Psychologen um Sebastian Dieguez der Universität Freiburg gingen dem Phänomen „Fake News“ auf den Grund. Warum werden diese überhaupt geglaubt? Die Antwort der Forscher lautet „teleologisches Denken“. Menschen, die anfällig für konspirative Ideen sind, gehen laut Dieguez davon aus, dass alles aus einem bestimmten Grund geschehe und einen höheren Zweck habe. Das schaffe eine Gemeinsamkeit zum Kreationismus, dem Glauben, an eine Erschaffung der Welt durch Gott.

Letzteres ist übrigens weit verbreiten, ganz besonders in den USA. Bei einer Umfrage von Elaine Howard Ecklund von der Rice Universität in Texas gaben rund 90 Prozent der insgesamt mehr als 10.000 Befragten an, dass ihrer Meinung nach Gott oder eine andere höhere Macht ganz oder zumindest teilweise für die Entstehung des Alls, der Erde und des Menschen verantwortlich seien. Nur rund 9,5 Prozent der US-Amerikaner seien fest davon überzeugt, dass das All und der Mensch völlig ohne das Zutun eines Gottes oder einer anderen höheren Macht entstanden sind. Und selbst unter den knapp 600 Wissenschaftern unter den Befragten zweifelt nur etwa jeder Fünfte an der Schöpfungstheorie.

Das social network Syndrom (SNS) & Verschwörungstheorien

Warum unsere Gesellschaft droht im Chaos zu versinken und gar die globalen Demokratien bedroht sind, dem geht die Dokumentation „the social dilemma“ – absolut sehenswert und aktuell auf Netflix zu sehen – auf den Grund. Und macht einen gemeinsamen Nenner aus: die sozialen Netzwerke wie Facebook und deren durch Algorithmen entstehenden persönlichen „Blasen“. In Letzteren finden sich alle Nutzer sozialer Netzwerke und auch hoch entwickelten Suchmaschinen wieder: Sie bekommen eine gänzlich individuelle Auswahl an Beiträgen präsentierte, die ganz persönlich gefallen könnten. Dabei ist völlig egal, ob die vorgeschlagenen Inhalte der Wahrheit entsprechen oder als „Fake News“ einzustufen sind. Die Gefahr dabei ist folgende: Wer etwa ein Freund von Verschwörungstheorien ist, wird aufgrund seines eigenen Interesses davon überschwemmt. Tag für Tag können geringfügige Charakterveränderungen wahrgenommen werden.

Bisher hatte dieses Phänomen noch keinen Namen, wir sagen „social network Syndrom“ (SNS) dazu. Denn, und das gilt als erweisen: Die Nutzung von sozialen Netzwerken hat unerwünschte Nebenwirkungen, die längst einem Krankheitsbild entsprechen: Suchtverhalten, Charakterveränderung, sinkendes Selbstwertgefühl, Paranoia, und viele andere. Auch eine steigende Selbstmordrate könnte auf die steigende Verbreitung von sozialen Netzwerken zurückgeführt werden.

Die Betreiber trifft dabei nur eine Teilschuld, denn eigentlich möchten sie uns nur möglichst viel Werbung zeigen und Geld verdienen. Trotzdem ist die Problematik ihrer Webseiten den Milliardären wie Mark Zuckerberg nur allzu bewusst. Wenn man so will liegt es aber am Geschäftsmodell dieser Plattformen. Tatsache ist jedenfalls: Vielen Menschen tut das nicht gut.

Und da kommen wir zu einem weiteren wesentlichen Aspekt, dem gesetzlichen Rahmen, den es einfach noch nicht gibt. Hier rächt es sich, dass die globalen Gesetzgeber sich vorwiegend mit Alltagspolitik sowie Anlassgesetzgebung beschäftigen und großteils aufgrund höheren Alters auch gar kein Verständnis für die neue digitale Welt entwickeln. Das komplette Internet und die inzwischen kaum überschaubare Zahl an sozialen Netzwerken sind völlig unreglementiert. Selbst ein Pharmaprodukt, dass ähnliche Nebenwirkungen auslöst, wäre längst verboten. Die bewusste Fokussierung zu einem Suchtverhalten der Nutzer, damit diese immer wieder zurückkehren und Werbung konsumieren, fällt allerdings schon jetzt in den Bereich des Rechtsbruchs.

Reale Verschwörungen

Abseits der Frage, wer eher geneigt ist unbestätigte Annahmen – absurd oder realistisch – Glauben zu schenken, stellt sich die entscheidendere Frage warum es sie überhaupt gibt, die Verschwörungstheorien. Die plausibelste Antwort darauf ist wohl jene: Weil es Verschwörungen tatsächlich immer schon gab – und es sie noch heute gibt. Das ist historischer Fakt.
Aus österreichischer Sicht darf hier die Ibiza-Affäre der FPÖ als junges Beispiel genannt werden: Demokratisch gewählte Mandatare boten bei einem verschwiegenen Treffen Auftragsvergaben in Millionenhöhe gegen Parteispenden an. Es gilt freilich die Unschuldsvermutung.

Verschwörung zum Irak-Krieg

Ein ganz anderes Kaliber sind da unsere Freunde in Übersee. Die USA können geschätzt als Hochburg der realen Verschwörungen bezeichnet werden. Allen voran eine der größten internationalen Verschwörungen überhaupt, rund um den Irak-Krieg ab 2003 und vermeintlichen Massenvernichtungswaffen. Dank der britischen Whistleblowerin Katharine Gun beweisen Dokumente, dass der US-Geheimdienst NSA mittels illegaler Abhöraktionen Informationen sammelte, um sechs stimmberechtigte Mitglieder der Vereinten Nationen zu erpressen, damit diese dem illegalen Angriffskrieg der USA gegen den Irak zustimmen. Und: Auch den eigentlichen Kriegsgrund, die vermuteten Massenvernichtungswaffen gab es erwiesener Maße nicht. Die Folgen dieser aufgedeckten Verschwörungen: keine. Die Opfer des Irak-Krieges hingegen werden auf bis zu 600.000 Tote bis zum Ende der Besetzung 2011 geschätzt.

Was ist eine Verschwörung?

Doch da gibt es noch viel mehr. Stichwort: Lobbying. Sind angesichts von Amtsgeheimnis, fehlender Transparenz und Stillschweigen auch „informelle Treffen“ zwischen Politik und Wirtschaft legetim? An anderer Stelle berichtet Option über die versuchte Einflussnahme einiger Unternehmen gegen den politischen Plan zu Einweg-Pfand auf Plastikflaschen im österreichischen Handel. Ist das schon eine Verschwörung?

Verschwörungstheorien & der „Anti-Mafia-Paragraf“

Eine Verschwörung ist eine geheime Zusammenarbeit mehrerer Personen zum Nachteil Dritter, so die allgemeine Definition. Im österreichischen Strafgesetzbuch findet sich der Begriff Verschwörung nicht. Aber es gibt nach wie vor den vielfach kritisierten, sogenannten „Anti-Mafia-Paragraf“ § 278 StGB betreffend krimineller Organisationen: „Als Mitglied beteiligt sich an einer kriminellen Vereinigung, wer im Rahmen ihrer kriminellen Ausrichtung eine strafbare Handlung begeht oder sich an ihren Aktivitäten durch die Bereitstellung von Informationen oder Vermögenswerten oder auf andere Weise in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert.“

Als Anlass für diese umstrittene Gesetzgebung zählen die Aktivitäten von „besonders aktiven“ Tierschützer-Organisationen. Scherzhaft könnte behauptet werden, dass der „Anti-Mafia-Paragraf“ auch auf jede politische Partei zutreffe. Aber selbst die Anti-Atomkraft-Bewegung mit der Hainburger Au-Besetzung in den späten 70er-Jahre hätte heute rechtliche Probleme. Ganz zu Schweigen von den aktuellen Aktionen der Umweltbewegung „extinction rebellion“ mit unangemeldeten Sitzdemos und bewussten Verkehrsbehinderungen. Fest steht: Der „Anti-Mafia-Paragraf“ stellt ein Möglichkeit zur Unterdrückung zivilgesellschaftlicher Initiativen dar. Eine politische Verschwörung, wenn man so will.

Bewiesene Historische Verschwörungen
Verschwörungen hat es immer gegeben, sie gelten als anthropologische Konstante. Wir haben einige der wichtigsten historisch belegten Verschwörungen gesammelt:

Die Catilinarische Verschwörung war ein misslungener Umsturzversuch des Senators Lucius Sergius Catilina im Jahr 63 v. Chr., mit dem dieser die Macht in der römischen Republik an sich reißen wollte. Bekannt ist die Verschwörung besonders durch Ciceros Reden gegen Catilina sowie durch Sallusts historische Monographie „De coniuratione Catilinae“.

Julius Caesar wurde am 15. März 44 v. Chr. von einer Gruppe Senatoren um Marcus Iunius Brutus und Gaius Cassius Longinus während einer Senatssitzung im Theater des Pompeius mit 23 Dolchstichen ermordet. An der Tat waren ca. 60 Personen beteiligt.

Die Pazzi-Verschwörung war eine Verabredung nicht nur innerhalb des Florentiner Patriziats, um die herrschende Familie Medici durch die Ermordung ihres Oberhaupts Lorenzo il Magnifico und dessen Bruders und Mitregenten Giuliano di Piero de’ Medici als De-facto-Regenten der Toskana zu entmachten. Das Attentat wurde am 26. April 1478 ausgeführt, jedoch fiel ihm nur Giuliano de’ Medici zum Opfer.

Das Attentat auf Abraham Lincoln am Abend des 14. April 1865 war Teil einer Verschwörung gegen mehrere Mitglieder der US-Regierung und der erste Mordanschlag, dem ein Präsident der USA zum Opfer fiel. Der Attentäter war der Schauspieler John Wilkes Booth, ein fanatischer Anhänger der Konföderation. Während einer Vorstellung im Ford’s Theatre in der US-Hauptstadt Washington schoss er dem Präsidenten mit einer Pistole in den Kopf. Booth wurde wenige Tage darauf getötet, nachdem er sich seiner Verhaftung widersetzt hatte. Seine Mitverschwörer wurden später zum Tode verurteilt und im Juli 1865 hingerichtet.

Beim Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914 wurden der Thronfolger Österreich-Ungarns Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg, bei ihrem Besuch in Sarajevo von Gavrilo Princip, einem Mitglied der serbisch-nationalistischen Bewegung Mlada Bosna (Junges Bosnien), ermordet. Das von der serbischen Geheimgesellschaft „Schwarze Hand“ geplante Attentat in der bosnischen Hauptstadt löste die Julikrise aus, die schließlich zum Ersten Weltkrieg führte.

Als Großer Amerikanischer Straßenbahnskandal wird die systematische Zerstörung des auf der Straßenbahn basierenden öffentlichen Personennahverkehrs in 45 Städten der Vereinigten Staaten unter Führung des größten Automobilherstellers der USA, General Motors (GM), ab den 1930er bis in die 1960er Jahre bezeichnet. Die Verkehrsunternehmen wurden aufgekauft, um anschließend eine Stilllegung der Straßenbahnstrecken zu Gunsten des Automobilverkehrs zu erreichen, damit Fahrzeuge und Betriebsstoffe aus eigener Produktion abgesetzt werden konnten.

Als Watergate-Affäre bezeichnet man, nach einer Definition des Kongresses der Vereinigten Staaten, zusammenfassend eine ganze Reihe von gravierenden „Missbräuchen von Regierungsvollmachten“, die es während der Amtszeit des republikanischen Präsidenten Richard Nixon zwischen 1969 und 1974 gegeben hat. Die Offenlegung dieser Missbräuche verstärkte in den USA massiv eine durch den Vietnamkrieg ausgelöste gesellschaftliche Vertrauenskrise gegenüber den Politikern und führte schließlich zu einer schweren Verfassungskrise. Höhepunkt der teils dramatischen Entwicklungen war am 9. August 1974 der Rücktritt Nixons von seinem Amt.

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Helmut Melzer

Als langjähriger Journalist habe ich mir die Frage gestellt, was denn aus journalistischer Sicht tatsächlich Sinn machen würde. Meine Antwort darauf siehst Du hier: Option. Auf idealistische Weise Alternativen aufzeigen – für positive Entwicklungen unserer Gesellschaft.
www.option.news/ueber-option-faq/

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