„Jeder dachte, dass Heimcomputer eine echt coole Sache sind, aber nur für echte Freaks. Gute 20 Jahre dachte man das. Dem 3D-Drucker ergeht es ähnlich. Niemand druckt sich eine neue Niere am Küchentisch. Das heißt aber nicht, dass es nicht möglich ist.“ – 2009 war Michael Curry noch begeisterter Chef-Designer bei Makerbot Industries, jenem Startup, das die Welt revolutionieren wollte. Die geniale Idee der Gründer Bre Pettis, Zach Hoeken und Adam Mayer: „Wir bringen Geräte, die Großrechnerdimensionen hatten und unbezahlbar waren auf den Schreibtisch.“ Statt 200.000 Dollar sollten die kleinen Maschinen nur noch 200 Dollar kosten.
Mit der Miniaturisierung des zwar schon von Chuck Hull (3D Systems) erfundenen, aber vorwiegend zu industriellen Zwecken genutzen 3D-Druckers wollten Sie in die Fußstapfen von Steve Jobs treten. Der hatte mit Apple das Gleiche gemacht, die damaligen Großrechner in kleine Heimcomputer verwandelt. Jetzt wollte Makerbot-CEO Bre Pettis der neue Guru des Digitalen Zeitalters werden. Daraus wurde nichts: Inzwischen sind er und die meisten anderen Beteiligten allesamt ihre Jobs los. Stratasys, jenes Unternehmen, das die großen Industrie-3D-Drucker herstellt, hat Makerbot einfach aufgekauft – immerhin um stolze 604 Millionen Dollar.
Chancen auf die Jobs-Nachfolge hat hingegen noch Max Lobovsky, der 2011 mit seinen Partnern David Cranor und Natan Linder bei der weltgrößten Crowdfunding-Plattform Kickstarter antrat. Innerhalb von nur 30 Tagen holte sich deren Startup Formlabs stolze 2,9 Millionen Dollar um einen weiterentwickelten 3D-Drucker für den Schreibtisch entwickeln zu können. Lobovsky hat aber aktuell ganz andere Sorgen: 3D Systems, eigentlicher Erfinder des 3D-Drucks, klagt wegen Verletzung einiger seiner rund 1.200 Patente.
INFO: 3D-Druck
Als Erfinder des 3D-Drucks gilt der US-Amerikaner Chuck Hull von der Firma 3D Systems, der das erste Patent bereits 1986 angemeldet hat.
Die Technik-Revolution 3D-Drucker funktionieren momentan so: Eine digitale Vorlage wird an einen 3D-Drucker geschickt, welcher Schicht für Schicht einen Gegenstand herstellt. Dabei ist zwischen mehreren Verfahren zu unterscheiden: Die Schichtschmelzung (Fused Deposition Modeling) etwa trägt Tröpfchen für Tröpfchen flüssigen Kunststoff auf. Die ausgereiftere Stereolithografie verschmilzt mittels Laser Harze oder Metalle. Bei bisherigen Methoden des 3D-Drucks werden nur einzelne Werkstoffe verwendet, Hewlett-Packard hat Ende Oktober 2014 einen 3D-Drucker, bei dem verschiedene flüssige Materialien kombiniert werden, vorgestellt.
Auch zur Herstellung von Gerichten werden 3D-Drucker bereits erprobt: 2014 wollte das Startup „Natural Machines“ über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter 100.000 Dollar zur Herstellung von Foodini lukrieren. Das Gerät sollte von gefüllten Ravioli bis hin zu Burgern und Pizza verschiedenste Gerichte kreieren können und gleichzeitig einen Beitrag zur gesunden Ernährung leisten. Obwohl nur 80.000 Dollar zusammengekommen sind, soll der Speise-Drucker heuer doch noch auf den Markt kommen.
Größtes Aufsehen erregte der 3D-Druck durch den US-Anarchisten Cody Wilson, der 2014 den Liberator, die erste vollständig gedruckte Schusswaffe, herstellte und vor laufender Kamera erfolgreich testete. Vielerorts ist deshalb der Druck von Waffenteilen im 3D-Drucker verboten. Erfreulichere Anwendungen sind etwa die Herstellung von Arm- und Beinprothesen mit Materialkosten von wenigen Euro.
Vorbild Replikator
Die angekündigte Technik-Revolution geht indes weiter. Bei ihr geht es aber nicht mehr um digitale Bits, sondern um Atome. Denn großes Vorbild für den 3D-Drucker ist der Replikator aus der SciFi-Serie Star Trek: Er ermöglicht es, jeden in seiner atomaren Struktur vorher erfassten oder programmierten Gegenstand zu erzeugen. So weit ist die Technik-Revolution freilich noch nicht ganz, allerdings können 3D-Drucker bereits bisher Unvorstellbares vollbringen: Sie erzeugen Teile für Fahrzeuge und die Luftfahrt, Prothesen, komplette Schusswaffen und sogar Organe.
Folgen der nächsten Technik-Revolution
Abseits ethischer Fragen sind die Folgen des 3D-Drucks nicht absehbar. Insbesondere wirtschaftliche Strukturen könnten sich völlig wandeln. Einkaufen? Wozu? Vielleicht wird in zehn Jahren alles nur noch zu Hause ausgedruckt – mit fatalen Folgen für Hersteller, Transportunternehmen und allen anderen Wirtschaftsbereiche. Aber vielleicht stellt diese Entwicklung auch einen weiteren Schritt in Richtung Ökologie dar? Auch das kann die Zukunft bringen: Keine Überproduktion, sondern alles on-demand, bedeutet auch eine Schonung der Ressourcen und eventuell stark verkürzte Transportwege.
„3D-Drucker werden in Zukunft vor allem als „Hubs“ betrieben. Also als dezentrale Zentren der neuen Erzeugung, an denen Designer und Produzenten sich treffen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der 3D-Druck sich nicht im privaten Umfeld durchsetzt, sondern in regional-lokalen Verbünden“, ist Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut überzeugt. „Auf vielen Ebenen macht das Sinn, wenn Energie und Rohstoffe vorhanden sind, und geistiges Eigentum bezahlt wird. Damit verlagert sich das Geschäft von vielen vom Produzieren zum Konzipieren. Dennoch bleibt der klassische Handeln an vielen Stellen aufrecht, weil nicht jede Produktion sich in 3D-Verfahren übersetzten lässt. Spannend wird die Balance.“
Das Ende des Programm-TV
Doch denken wir nicht so weit in die Zukunft, sie ist doch schon da. Die Technik-Revolution etwa krempelt längst festgefahrene Denkstrukturen um. Epub, Mp3, Avi und all die anderen digitalen Buch-, Musik- und Filmformate ziehen bereits einen Schlussstrich unter die konventionelle Rechteverwertung von geistigem Eigentum. Stichwort: Flatrate. Mit Anbietern wie Netflix, Spotify & Co droht dem klassische Programmfernsehen und -Radio ein rasches Ende. Die Zukunft heißt Konsum bis zum Umfallen, wann und wo ich will – und zwar völlig legal zum monatlichen Fixpreis.
Selbst Ari Reichental, dem CEO von 3D Systems, der dem 3D-Druck-Startup Formlabs mit Patentverletzungsklagen droht, gibt zu bedenken: „Die meisten Firmen und Organisationen sind so strukturiert, dass sie vor allem ihr geistiges Eigentum schützen und verteidigen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Patentrecht und Urheberrecht sind veraltet. Sie zwingen Firmen zu schizophrenem Handeln. Wir müssen Dinge tun, die nicht zu unseren Visionen passen.“
Technik-Revolution VR: Schluss mit Rohstoff-Verbrauch?
Eine weitere große Entwicklung ist die VR-Brille (Virtual Reality), die nun endgültig in eine digitale Welt abgleiten lässt – in 3D und Kinoqualität samt Sensoren, die die Bildführung der Kopfbewegung anpassen. Das Startup Oculus Rift – 2014 um rund 400 Mio. und 1,6 Mrd. Dollar in Aktien von Facebook gekauft – steht kurz vor dem Markteintritt des ersten Modells. Zwar ist es vorerst in erster Linie für Computerspieler und Heimkino gedacht, könnte aber den Sprung in die „Virtuelle Revolution“ auslösen. Stellen Sie es sich vor: Plötzlich müssen Geräte wie Handys nicht teuer hergestellt werden, sondern sind virtuell einsatzfähig wie bisher. Das schafft nicht nur bisher undenkbare Möglichkeiten, sondern könnte zudem den globalen Rohstoff- und Materialbedarf enorm reduzieren. Wozu noch Bürogebäude, wenn das digitale Arbeitszimmer noch schöner ist und der Kollege trotzdem daneben sitzt? Anprobieren in der Boutique? Das Virtuelle-Selbst zeigt, ob das online zu Bestellende passt – ohne das Haus zu verlassen. Gatterer vom Zukunftsinstitut ist da jedoch skeptisch: „Die VR-Brille wird unserer Beobachtung nach ein Nischen-Thema bleiben. Auch wenn sie in vielen Nischen superintelligent ist und tatsächlich einen Mehrwert erzeugt. Gegen die große Anwendung im täglichen Leben gibt es aber viele Argumente: Verletzung von Privatsphären, permanente Ablenkung und damit (statt erweiterten) eine eingeschränkte Wahrnehmung.“
INFO: Virtuelle Realität
Den Weg in neue Virtuelle Welten soll künftig eine VR-Brille u.a. von Oculus Rift ermöglichen. Erfunden hat das Gerät mit Potential einer Technik-Revolution der US-Amerikaner Palmer Luckey, dessen Startup „Oculus Rift“ 2012 rund 2,5 Millionen Euro auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter abholte. 2013 gingen die ersten Entwicklergeräte raus, das erste Serien-Model wird Ende 2015 am Markt erwartet. Ein Preis steht noch nicht fest, die Entwicklerversion kostet aktuell 350 Dollar.
Entscheidende Elemente des Helm-Systems sind ein besonders großes Sichtfeld und besonders schnelle Sensoren, die es ermöglichen nach Kopfbewegungen zeitecht entsprechende Bilder darzustellen. Die Kombination aus 3-Achsen-Gyrometer und Beschleunigungssensoren, sowie einer zusätzlichen Kamera, soll schnelle Reaktionen auf Bewegungen gewährleisten, während ein Magnetometer der korrekten Ausrichtung des Bildes dient. Sprich: In der Virtuellen Welt sieht man sich wie in der Realität um – in einem 360-Grad-Radius. Gekoppelt mit HD-Auflösung, 3D-Effekten und entsprechend realistischer Soundsteuerung ist damit ein gänzlich neues Erlebnis möglich.
Im März 2014 gab Facebook die Übernahme von Oculus VR für einen Kaufpreis von kolportierten 400 Millionen US-Dollar in bar und 1,6 Milliarden US-Dollar in Facebook-Aktien bekannt. Dementsprechend ist nicht zu erwarten, dass die VR-Brille ein Nischenprodukt bleiben wird und sehr rasch eine Vielzahl an Anwendungen verfügbar sein wird. Auch wenn Computerspiele und Heimkino die ersten Anwendungsbereiche sein werden, ist mit Facebook einiges in Hinblick auf Kommunikation und soziale Netzwerke zu erwarten.
Neue Dominanz des Energiesektors
Einen „Systemsprung hin zu intelligenten Geräten“ kündigt seit Jahren Lars Thomson vom Schweizer Büro für Innovation und Zukunftsforschung an: „Erst kümmerte sich der Mensch um die Maschinen, bald ist es umgekehrt.“ Bald schon werden Häuser mitsamt der Haustechnik zu einem gesamten System verschmelzen, mehr noch, mit automatischen Programmen im Internet kooperieren. Pro Person, so der Zukunftsforscher, werden bis zu 700 so gesteuerte „Dinge“ unsichtbar im Haushalt laufen – „Smart Grids“ sind nur ein Teil davon. Ein Beispiel: Das Haustechniksystem ortet die Position seines Besitzers im Ausland über dessen Handy und stellt fest, dass sich eine Rückreise ins Eigenheim aufgrund der Entfernung heute nicht mehr ausgehen wird. Das System entscheidet eigenständig, dass die Heizung nicht gestartet wird.
Doch „Smart Grids“ bezieht sich unter anderem auch auf die künftige Energievernetzung, die unter Umständen den gesamten Mobilitätsmarkt erobern könnte: Das aktuelle Problem: Energie, insbesondere erneuerbare Energie, wird oft dann produziert, wenn kein großer Bedarf besteht. Unter anderem in Dänemark laufen Pilotprojekte, die Elektroautos hier als Energiespeicher nutzen, um bei geringen Bedarf und niedrigen Preisen Energie zu speichern und bei Bedarfsspitzen ins Netz zu holen. Bereits jetzt wird laut über Gratis-Autos nachgedacht, die primär einem Zweck dienen: als Energiespeicher.
Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut über Innovations-Takt, Entwicklungs-Dynamik und tatsächliche Herausforderungen der Zukunft.
„Die digitale Kommunikations-Explosion hat uns in eine Welt versetzt, in der wir in vielen Bereichen überfordert sind. Diese Überforderung erzeugt den Eindruck, dass sich „Alles“ „sehr schnell“ wandelt und verändert. Ja, dass der Wandel sogar „radikal“ ist. Nun ist es aber auch so, dass Innovationen, die das Leben der Menschen tatsächlich erreichen und „verbessern“ seit den 60er Jahren zurückgegangen sind. Unabhängig davon, wie viele Patente es gibt, oder wie viele neue Apps am Markt erscheinen, berühren uns die vielen „Neuheiten“ offensichtlich immer weniger. Damit sind wir auch in einer Zeit der großen Innovations-Ignoranz, was völlig verständlich ist.
Alleine die Tatsache, dass wir eine massive Alterung der Gesellschaft erleben, müsste uns doch davon überzeugen, dass nicht alles nur schneller werden kann. Eine Gesellschaft der 60-Jährigen kann nicht nur im ICE-Tempo agieren. Aber eine ältere Gesellschaft hat das Potential eine weisere Gesellschaft zu werden. Ist das nicht spannend?
Die Dynamik die wir wahrnehmen entsteht auf Grund eines Ungleichgewichts zwischen „Innen“ und „Aussen“. Die Welt um uns herum wird nicht dynamischer, sondern komplexer. Wir sehen viel mehr Details, die sich in irgendeine Richtung entwickeln, und schließen auf das große Ganze. Wir überblicken kaum noch die Bewegungen die letztlich zu den großen Dynamiken führen, und überdeuten daher jedes Fuzzelchen, das sich uns als „Trend“ in den Weg stellt. Und: Wir lieben Apokalypsen, weshalb wir aus den technischen Innovationen sofort ganze Zukunftswelten ableiten: Die Datenbrille, die uns in reinen virtuellen Welten leben lässt. Die RFID-Technologie, die sofort aus jedem Blumentopf einen „Smart-Pot“ macht. Das ist Unsinn. Wir leben unbenommen in einer technologische Welt – heute schon, und noch mehr in Zukunft. Aber es sind Menschen und ihre Gehirne, welche die Technologien letztlich anwenden. Und daher werden wir an Grenzen stoßen, die wir nicht überwinden. Wir werden auch Grenzen ziehen, die nicht überschritten werden dürfen. Daher macht es heute für jedes Unternehmen Sinn, sich über technische Innovationen zu unterhalten. Technikfreundlich zu sein, aktiv damit umzugehen, die digitale Realität anerkennen. Das ist essentiell. Aber andererseits auch die sozialen Phänomen nicht unterschätzen. Wie viele Diskussionen haben wir erlebt, in denen der physische Ort zur Unbedeutung schlechthin geredet wurde. Dabei erleben wir genau das Gegenteil: Je mehr wir digitalisieren, desto wichtiger und essentieller wird der physische Ort, das Spüren, das Erleben, der Erfassen von Umgebung und Information. Das ist haptisch, nicht virtuell. Im Moment ist die Herausforderung unserer Gesellschaft UND damit der Wirtschaft, geistig zu wachsen – nicht technisch.“