von Martin Auer
Wie würde sich ein Ausstieg aus russischem Erdgas auf die österreichische Wirtschaft auswirken? Dieser Frage geht ein soeben veröffentlichter Bericht des Complexity Science Hub Vienna nach1. Die Antwort kurz und bündig: spürbar, aber verkraftbar, wenn die EU-Länder zusammenarbeiten.
Österreich importier 80 Prozent seines jährlichen Gasverbrauchs aus Russland. Die EU etwa 38 Prozent. Das Gas könnte plötzlich ausbleiben, entweder, weil die EU ein Importembargo verhängt, oder weil Russland den Export stoppt oder weil durch den militärischen Konflikt in der Ukraine Pipelines beschädigt werden.
Der Bericht untersucht zwei mögliche Szenarien: Das erste Szenario geht davon aus, dass due EU-Länder zusammenarbeiten, um das Problem gemeinsam zu lösen. Das zweite Szenario geht davon aus, die betroffenen Ländern einzeln und unkoordiniert handeln.
2021 hat Österreich 9,34 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbraucht. Bleibt russisches Gas aus, fehlen 7,47 Milliarden. Die EU könnte zusätzliche 10 Mrd m³ über bestehende Pipelines und 45 Mrd m³ in Form von Flüssiggas aus den USA oder den Golfstaaten beschaffen. 28 Mrd m³ könnte die EU aus den Vorratsspeichern entnehmen. Bei einer koordinierten Zusammenarbeit der EU-Staaten würden jedem Land 17,4 Prozent seines bisherigen Verbrauchs fehlen. Für Österreich bedeutet das ein Minus von 1,63 Mrd m³ in diesem Jahr (ab 1. Juni).
Im unkoordinierten Szenario würden alle Mitgliedsländer versuchen, fehlendes Gas auf den internationalen Märkten einzukaufen. Unter dieser Annahme könnte Österreich 2,65 Mrd m³ ersteigern. In diesem Szenario könnte aber Österreich über seine Speicher selbst verfügen und könnte zusätzlich 1,40 Mrd m³ entnehmen. Unter diesem Szenario würden Österreich 3,42 Mrd m³ fehlen, das wären 36,6 Prozent.
In der Studie wird angenommen, dass 700MW an Gaskraftwerken kurzfristig auf Öl umgestellt werden können, wodurch etwas 10,3 Prozent des jährlichen Gasverbrauchs eingespart werden könnten. Verhaltensänderungen wie z.B. eine Verringerung der Raumtemperatur in den Haushalten um 1°C könnte eine Ersparnis von 0,11 Mrd m³ bringen. Durch den verringerten Verbrauch würde sich auch der Bedarf an Gas, der für den Betrieb der Pipeline-Infrastruktur notwendig ist, um weitere 0,11 Mrd m³ verringern.
Wenn die EU-Länder zusammenarbeiten, würden Österreich im kommenden Jahr 0,61 Mrd m³ fehlen, das wären 6,5 Prozent des Jahresverbrauchs. Im Fall, dass jedes Land auf sich allein gestellt handeln würde, würden Österreich 2,47 Mrd m³ fehlen, das wären 26,5 Prozent des Jahresverbrauchs.
Nachdem die geschützten Kunden (Haushalte und Kraftwerke) versorgt sind, wird das verbleibende Gas der Industrie zugeteilt. Im koordinierten Szenario müsste demnach die Industrie ihren Gasverbrauch im Vergleich zum normalen Niveau nur um 10,4 Prozent senken, im unkoordinierten Szenario allerdings um 53,3 Prozent. Im ersten Fall würde das einen Rückgang der Produktion um 1,9 Prozent bedeuten, im schlechteren Fall um 9,1 Prozent.
Die Verluste, so der Bericht, wären im ersten Szenario deutlich geringer als die wirtschaftlichen Auswirkungen der ersten Covid-19-Welle. Im zweiten Szenario wären die Verluste vergleichbar, aber immer noch kleiner als die Verluste durch die erste Corona-Welle.
Wie sich ein Gasimportstopp auswirken würde, hängt stark davon ab, welche Gegenmaßnahmen gesetzt werden. Als wesentliche Punkte nennt der Report die EU-weite Koordinierung der Gasversorgungspolitik, die Vorbereitung der Umstellung von Kraftwerken auf andere Brennstoffe während des Sommers, Anreize für die Umstellung von Produktionsprozessen, Anreize für die Umstellung von Heizsystemen, Anreize für Investitionen in erneuerbare Energietechnologien, Anreize für die Bevölkerung, sich aktiv am Gassparen zu beteiligen.
Zusammenfassend schließt der Report: „Angesichts der immensen Schäden des Krieges könnte ein EU-weites Importembargo gegen russisches Gas eine wirtschaftlich vertretbare Strategie darstellen.“
Titelfoto: Boevaya mashina: Hauptgebäude von Gazprom in Moskau, via Wikimedia, CC-BY
1 Anton Pichler, Jan Hurt*, Tobias Reisch*, Johannes Stangl*, Stefan Thurner: Österreich ohne russisches Erdgas? Erwartbare wirtschaftliche Auswirkungen eines plötzlichen Gaslieferstopps und Strategien zu deren Eindämmung.
https://www.csh.ac.at/wp-content/uploads/2022/05/2022-05-24-CSH-Policy-Brief-Gasschock-Fin-Kurzfassung-DE.pdf.
Der komplette Bericht:
https://www.csh.ac.at/wp-content/uploads/2022/05/2022-05-24-CSH-Policy-Brief-Gas-Shock-Long-Version-EN.pdf
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