Polit-Skandale, beeinflusste Justiz, verantwortungslose Medien, vernachlässigte Nachhaltigkeit – Die Liste der Missstände ist ellenlang. Und führte dazu, dass das Vertrauen in staatstragende Institutionen weiter in den Keller sinkt.
Kennen Sie den Vertrauensgrundsatz im Straßenverkehr? Genau, er besagt, dass man sich grundsätzlich auf das richtige Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer verlassen kann. Was aber, wenn den wesentlichsten Institutionen einer Gesellschaft nicht mehr vertraut werden kann?
Vertrauenskrise schon vor Corona
Vertrauen bezeichnet die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit, Wahrheit von Handlungen, Einsichten und Aussagen oder der Redlichkeit von Personen. Ohne Vertrauen geht irgendwann gar nichts mehr.
Die Corona-Pandemie zeigt es auf: Längst sind nicht nur die Österreicher in der Frage der Corona-Impfung entzweit, schon davor herrschte auch in Fragen der Politik eine extreme Polarisierung. Bereits vor sechs Jahren setzten gerade einmal 16 Prozent der EU-Bürger (Ö: 26, Umfrage EU-Kommission) noch Vertrauen in politische Parteien. Inzwischen belegt der Vertrauensindex 2021 von APA und OGM den Tiefpunkt in der Vertrauenskrise: Unter den vertrauenswürdigsten Politikern steht Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit schwachen 43 Prozent an der Spitze, gefolgt von Kurz (20 Prozent) und Alma Zadic (16 Prozent). Eine nicht repräsentative Umfrage unter Option-Lesern zu den heimischen Institutionen zeigte zudem ein enormes Misstrauen gegenüber Politikern allgemein (86 Prozent), der Regierung (71 Prozent), Medien (77 Prozent) und Wirtschaft (79 Prozent ). Aber Umfragen sind besonders in Zeiten von Corona mit Vorsicht zu genießen.
Glück und Progressivität
Trotzdem, in anderen Ländern sieht es anders aus, etwa in Dänemark: Mehr als jeder Zweite (55,7 Prozent) vertraut seiner Regierung. Seit vielen Jahren liegen die Dänen zudem auf den Spitzenplätzen beim World Happiness Report der UN und dem Social Progress Index. Warum erklärt Christian Bjornskov von der Uni Aarhus: „Dänemark und Norwegen sind die Länder, in denen das größte Vertrauen in andere Menschen herrscht.“ Genau: In den beiden Ländern würden 70 Prozent der Befragtem sagen, dass man den meisten Menschen vertrauen könne, im Rest der Welt seien es nur 30 Prozent.
Dass das so ist, könnte vor allem zwei Gründe haben: Sicherlich spielt der „Jante-Verhaltenskodex“ eine Rolle, der Bescheidenheit und Zurückhaltung zur Maxime ausruft. Zu sagen, dass man mehr leiste oder besser sei als jemand anderer, ist in Dänemark verpönt. Und zweitens, erklärt Bjornskov: „Vertrauen ist etwas, das man von Geburt an lernt, eine kulturelle Tradition.“ Gesetze seien klar formuliert und würden befolgt, die Verwaltung arbeite gut und transparent, Korruption sei selten. Man geht davon aus, dass alle korrekt handeln.
Aus österreichischer Sicht ein Paradis, scheint es. Schenkt man jedoch den bereits genannten Indexe Glauben, dann steht Österreich im Mittel nicht so schlecht da – auch wenn die zugrundeliegenden Werte teils ein paar Jahre zurückliegen. Sind wir ein Alpenvölkchen voller Misstrauen?
Die Rolle der Zivilgesellschaft
„Wir leben in einer Zeit, in der Vertrauen die wertvollste aller Währungen ist. Der Zivilgesellschaft wird konsequent mehr Vertrauen entgegengebracht als Regierungen, Wirtschaftsvertretern und Medien“, so Ingrid Srinath, ehemalige Generalsekretärin der weltweiten Allianz für bürgerliche Beteiligung CIVICUS. Diesem Umstand wird von seiten internationaler Organisationen immer mehr Rechnung getragen. So schreibt etwa das World Economic Forum in seinem Bericht zur Zukunft der Zivilgesellschaft: „Bedeutung und Einfluss der Zivilgesellschaft nehmen zu und sollten gefördert werden um Vertrauen wieder herzustellen. […] Die Zivilgesellschaft sollte nicht mehr als „Dritter Sektor“ betrachtet werden, sondern als Klebstoff, der die öffentliche und die private Sphäre zusammenhält“.
Das Ministerkomitee des Europarates hat in seiner Empfehlung „den wesentlichen Beitrag von Nichtregierungsorganisationen zur Entwicklung und Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten, insbesondere durch die Förderung des öffentlichen Bewusstseins, die Teilnahme am öffentlichen Leben und die Gewährleistung von Transparenz und Rechenschaftspflicht bei Behörden“ ebenfalls anerkannt. Auch der hochrangige europäische Beraterstab BEPA schreibt der Beteiligung der Zivilgesellschaft eine Schlüsselrolle für die Zukunft Europas zu: „Es geht nicht mehr darum die Bürger und die Zivilgesellschaft zu konsultieren oder mit ihnen zu diskutieren. Es geht heute darum Bürgern das Recht zu gewähren EU-Entscheidungen mitzugestalten, ihnen die Möglichkeit zu geben Politik und Staat zur Verantwortung zu ziehen.“ heißt es in einem Bericht zur Rolle der Zivilgesellschaft.
Faktor Transparenz
Immerhin, in den letzten Jahren sind einige Schritte in Richtung Transparenz gesetzt worden. Wir leben längst in einer Welt, wo kaum mehr etwas verborgen bleibt. Es bleibt jedoch die Frage bestehen, ob Transparenz tatsächlich Vertrauen schafft. Es deutet nämlich einiges darauf hin, dass diese zunächst einmal Misstrauen hervorbringt. Toby Mendel, Geschäftsführer des Centre for Law and Democracy erklärt das folgendermaßen: „Zum einen bringt Transparenz zunehmend Informationen über öffentliche Missstände an den Tag, was zunächst Misstrauen in der Bevölkerung hervorruft. Zum Anderen lässt sich von einer guten (Transparenz-)Gesetzgebung nicht automatisch auf eine transparente politische Kultur und Praxis schließen“.
Die Politik hat längst reagiert: Die Kunst des Nichts-Sagens wird weiter kultiviert, politische Entscheidungen werden abseits der (transparenten) politischen Gremien getroffen.
Tatsächlich finden sich mittlerweile auch zahlreiche Stimmen, die vor den unerwünschten Nebenwirkungen des Transparenzmantras warnen. Der Politologe Ivan Krastev, Permanent Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWF) in Wien spricht gar von einem „Transparenzwahn“ und gibt zu bedenken: „Menschen mit Informationen zu überschütten ist ein bewährtes Mittel, um sie in Unwissenheit zu belassen“. Er sieht zudem die Gefahr, dass „die Einspeisung großer Informationsmengen in die öffentliche Diskussion diese nur verwickelter macht und den Schwerpunkt von der moralischen Kompetenz der Bürger auf ihre Fachkenntnisse in dem einen oder anderen Politikbereich verschiebt“.
Aus der Sicht des Philosophieprofessors Byung-Chul Han lässt sich Transparenz und Vertrauen gar nicht vereinbaren, denn „Vertrauen ist nur möglich in einem Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen. Vertrauen heißt, trotz Nichtwissen gegenüber dem anderen eine positive Beziehung zu ihm aufzubauen. […] Wo die Transparenz herrscht, ist kein Raum für das Vertrauen. Statt ‚Transparenz schafft Vertrauen‘ sollte es eigentlich heißen: ‚Transparenz schafft Vertrauen ab‘“.
Misstrauen als Kern der Demokratie
Für Vladimir Gligorov, Philosoph und Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), basieren Demokratien grundsätzlich auf Misstrauen: „Autokratien oder Aristokratien basieren auf Vertrauen – in die Selbstlosigkeit des Königs, oder den noblen Charakter der Aristokraten. Das historische Urteil fällt jedoch so aus, dass dieses Vertrauen misbraucht wurde. Und so ist das System der zeitlich begrenzten, gewählten Regierungen entstanden, das wir Demokratie nennen.“
Vielleicht sollte man sich in diesem Zusammenhang ein Grundprinzip unserer Demokratie in Erinnerung rufen: jenes, der „checks and balances“. Die gegenseitigen Kontrolle staatlicher Verfassungsorgane zum Einen, und der Bürger gegenüber ihrer Regierung zum Anderen – etwa durch die Möglichkeit sie abzuwählen. Ohne dieses demokratische Prinzip, das sich seinen Weg von der Antike, bis hin zur Aufklärung in die westlichen Verfassungen gebahnt hat, kann Gewaltenteilung nicht funktionieren. Gelebtes Misstrauen ist der Demokratie somit nichts Fremdes, sondern ein Qualitätssiegel. Die Demokratie will aber auch weiterentwickelt werden. Und mangelndes Vertrauen muss Konsequenzen haben.