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Ökonominnen Kemfert, Stagl: Es geht auch ohne russisches Öl und Gas


von Martin Auer

Europa kann die Energieversorgung auch ohne russische Energielieferungen sicherstellen“, erklärte Prof. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung für Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung bei einem Pressegespräch am Donnerstag. „Mit einen Dreiklang: Diversifikation der Importe, Energiesparen und forcierter Ausbau erneuerbarer Energien kann dies gelingen. Die jetzige Krise muss der Startschuss für einen beschleunigten Green Deal hin zu mehr erneuerbare Energien sein.“

Ökonomin Prof. Sigrid Stagl, Leiterin des Kompetenzzentrums Sustainability Transformation and Responsibility (STaR) der WU Wien, bestätigte: „Die beschleunigte Energietransition ist eine gemeinsame Anstrengung, die sich langfristig ökonomisch als vorteilhaft erweisen wird. Der Umstieg auf Erneuerbare lohnt sich wirtschaftlich“

Der Ukrainekrieg zeigt, wie dringend die Energiewende ist

Das Pressegespräch wurde von Scientists for Future Österreich und Diskurs-Das Wissenschaftsnetzwerk organisiert. Auch wenn die Invasion Russlands in der Ukraine unsere Abhängigkeit von und Verwundbarkeit durch fossile Energieträger offengelegt hat, so besteht doch schon seit langem die Notwendigkeit, eine echte Energiewende einzuleiten. Der Klimaschutz erfordert nicht nur den Ausstieg aus russischem Öl und Gas, sondern den Abschied von Öl und Gas insgesamt. Und zwar so rasch wie nur irgendwie möglich.

Pläne zur Versorgungssicherheit müssen entwickelt werden

Kemfert, die auch Professorin für Energieökonomie an der Leuphana Universität in Lüneburg tätig ist und sich bei Scientists for Future engagiert, fährt fort: „Mit dem Kohle-Embargo sowie dem derzeit verhandelten Öl-Embargo erhöht die Europäische Union den Druck auf Russland. Da aber auch ein Aus für die russischen Erdgaslieferungen  droht, müssen Pläne zur Versorgungssicherheit entwickelt werden. Auch deshalb, weil Russland jederzeit die Versorgung kappen könnte.

Kohle-Ausstieg und Kernkraft-Ausstieg bleibt erreichbar

Beim Strom zeigt sich für Deutschland, dass im kommenden Jahr 2023 auch ohne russische Energielieferungen  eine sichere Stromversorgung möglich ist. Die Abschaltung der letzten  drei Kernkraftwerke kann und sollte wie geplant im Dezember 2022  erfolgen und das im Koalitionsvertrag angestrebte Ziel eines  auf 2030 vorgezogenen Kohleausstiegs bleibt ebenfalls erreichbar.

Aus bis 2030: Kohlekraftwerk Scholven
Foto: Sebastian Schlüter via Wikimedia, CC BY-SA

Für Erdgas gibt es Einsparpotenziale

Beim Erdgas (das neben Stromproduktion viele andere Einsatzbereiche hat) können Lieferungen anderer Erdgasexportländer, z. B. Holland,  einen Teil der russischen Exporte kompensieren. Pipeline- und  Speicherinfrastruktur können effizienter genutzt werden. Auf der Nachfrageseite  gibt es ein kurzfristiges Einsparpotenzial von 19 bis 26 Prozent. Mittelfristig ist ein Schub in  Richtung erneuerbarer Wärmeversorgung und höherer Energieeffizienz notwendig. Wenn Einsparpotenziale maximal genutzt und gleichzeitig die  Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch  möglich ausgeweitet werden, ist die deutsche Versorgung mit Erdgas auch  ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23  gesichert.

Infrastruktur effizienter Bewirtschaften und die Nachfrage anpassen

Für die gesamte Europäischen Union stützte sich die Erdgasversorgung bisher zu  einem großen Teil auf Lieferungen aus Russland. In Deutschland, Italien, Österreich und den meisten Ländern Ost- und Mitteleuropas war diese  Abhängigkeit besonders hoch. Allerdings spielt Erdgas nicht in allen  diesen Volkswirtschaften eine gleich große Rolle. Modellrechnungen zeigen,  dass die Europäische Union bei einem Komplettausfall russischer  Erdgaslieferungen einen Großteil kompensieren kann. Kurzfristig stehen  die effiziente Bewirtschaftung bestehender Infrastruktur, die Diversifizierung der Bezugsverträge sowie Maßnahmen zur Nachfrageanpassung im Mittelpunkt. Feste Flüssiggasterminals wären kontraproduktiv, weil sie einen Lock-In herbeiführen würden. Schwimmende Terminals dagegen können hilfreich sein.

Wichtig ist auch, für einen sozialen Ausgleich zu sorgen. Eine Deckelung der Gaspreise wäre kontraproduktiv, da sie den Energieverbrauch nicht senken würde. Stattdessen muss es eine Einkommenserhöhung für Menschen mit niedrigem Einkommen geben, die die erhöhten Kosten ausgleicht.

Ausbau erneuerbarer beschleunigen

Mittelfristig sollte der Ausbau  erneuerbarer Energien im Kontext des EU Green Deal beschleunigt werden,  inklusive eines zeitnahen Ausstiegs aus der Nutzung fossilen Erdgases,  der die europäische Energiesicherheit weiter stärken würde.

Stagl: Österreich hat sich zu lange ausgeruht

Prof. Sigrid Stagl, die auch Mitglied des Fachkollegiums der Scientists for Future Österreich ist, setzt mit Kritik am zu langen Zuwarten Österreichs fort:

„Österreich ruhte sich zu lange auf dem hohen Anteil Erneuerbaren an der Stromgenerierung aus und unternahm zu wenig um (1) den Anteil der Erneuerbaren beim Strom weiter zu erhöhen und (2) beim Heizen und bei der Mobilität von den fossilen Energiequellen loszukommen. Um die volkswirtschaftlichen Kosten gering zu halten, hätte man vorausschauend planen, Maßnahmen rechtzeitig ankündigen und nach dem vereinbarten langfristigen Plan umsetzen müssen. Stattdessen wählten es österreichische Entscheidungsträger:innen die großen Hebel immer wieder nach hinten zu verschieben in der Hoffnung, dass spätere Regierungen und künftige Generationen sie angehen werden. Rechtzeitige langfristige Planung hätte die volkswirtschaftlichen Kosten verringert, da sowohl Industrie als auch Private rechtzeitig Umstellungen hätten planen können. Die lange Verweigerung das Richtige zu tun, brachte uns in die aktuelle Zwickmühle.

Es fehlen die Zahlen

Derzeit liegen keine öffentlich zugänglichen Studien oder Zahlen vor, die eine genaue Abschätzung erlauben, wie rasch und zu welchem wirtschaftlichen Preis ein Ausstieg aus russischem Öl und Gas für Österreich möglich wäre. Daher sind exakte fundierte Aussagen unmöglich was natürlich viel Raum für Spekulationen lässt.

Vorhandene Energie effizienter nutzen

Sicher ist, dass der Ausstieg aus den fossilen Energiequellen auch in Österreich für Klimaschutz nötig und aktuell solidarisch dringend erforderlich. Eine umfassende Mobilisierung ist notwendig. Panik ist nicht notwendig, aber Beschwichtigung ist schädlich. Leider lassen sich Produktionskapazitäten und Heizsysteme nicht von heute auf morgen umstellen. Umfassende Energieeffizienzmaßnahmen in Betrieben, Wärmedämmungen von Gebäuden und Verhaltensänderungen wirken kurzfristig und haben signifikante Reduktionspotenziale. Es bleibt jedoch ein Restbedarf, der kurzfristig aus anderen Quellen kommen muss, um zeitnah von russischen Energielieferungen unabhängig zu werden. Jedenfalls ist eine umfassende Mobilisierung notwendig.

Tempolimits, Reduktion des Individualverkehrs sparen Öl

Die Substitution von Öl ist in Österreich deutlich einfacher als in Deutschland. Wir haben bisher nur gut 7% unseres Verbrauchs aus Russland bezogen. Auch die Infrastruktur stellt beim Öl keine besondere Herausforderung dar und erlaubt die schnelle Substitution aus anderen Quellen, wobei aus Klimaschutzgründen zuallererst das Potential von Einsparungen (z.B. Tempolimits, Maßnahmen zur Reduktion des Individualverkehrs) ausgeschöpft werden sollte. Laut Energieministerin Gewessler hat Österreich bereits im März kein russisches Erdöl mehr bezogen.

Bild von Felix Müller auf Pixabay 

Investitionen in Flüssiggas-Infrastruktur würden uns noch länger an fossile Energie binden

Deutlich komplexer ist die Situation für Gas, was einen Differenzierten Blick auf die verschiedenen Einsatzbereiche von Gas in Österreich erfordert. Einsatzbereiche sind neben der Raumwärme auch das Kochen, industrielle Prozesse und Stromerzeugung. Hier kann Gas jeweils unterschiedlich einfach und rasch ersetzt werden.

Als Übergangslösung für den Ersatz von russischem Erdgas wird oft auch teures Flüssiggas ins Spiel gebracht. Dafür ist jedoch neue fossile Infrastruktur (Flüssiggasterminals) außerhalb von Österreich erforderlich. Eine solche Substitution würde jedoch nicht nur die Energiepreise antreiben, was besonders ärmere Haushalte hart treffen kann und Herausforderungen für die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie bringt, sondern es ist auch zu befürchten, dass Investitionen in diesem Bereich die Energietransition verzögern. Es ist daher wichtig, möglichst keine neue Infrastruktur für Gas und Öl aufzubauen, um neue fossile Pfadabhängigkeiten zu verhindern.

Die beste Maßnahme ist Energiesparen

Teure Übergangslösung wie Flüssiggas werden von der Wirtschaft jedoch auch besonders rasch ersetzt. Eventuelle Verzögerungen bei den Emissionsreduktionen durch den Ausstieg aus russischem Öl und Gas sollten daher durch den beschleunigten Umstieg auf Erneuerbare kompensiert werden. Die beste Maßnahme ist und bleibt das Energiesparen.

Grüner Strom für Industrie, Mobilität, Kochen und Heizen

Mittelfristig wird die Stromversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbare Energiequellen gespeist. Gleichzeitig werden industrielle Produktion, Mobilität, Kochen und Heizen auf strombasierte Technologien umgestellt. Volkswirtschaftlich ist diese Umstellung seit Jahrzehnten wünschenswert. Mittlerweile sind erneuerbare Technologien so günstig, dass sie auch betriebswirtschaftlich präferabel sind. Mehr Forschung ist nötig, etwa wie Solarenergie nicht nur in Batterien und Wasserstoff gespeichert werden kann. Gleichzeitig brauchen wir soziale Strukturen und ökonomische Anreize, die nachhaltiges Handeln leicht und attraktiv machen. Notwendig ist eine rasche Reduktion des gesamten Energieverbrauchs um 25 Prozent und eine Reduktion des Gasverbrauchs ebenfalls um 25 Prozent. Das muss bis ca. 2027 oder auch mit großer Anstrengung bis 2025 möglich sein. Auch eine Ausbildungsoffensive ist notwendig, um die Zahl der kompetenten Techniker:innen zu erhöhen.

Man muss auch kommunizieren, wohin die Reise geht: Nach einer Phase großer Anstrengungen hätten wir niedrige Strompreise, die Wertschöpfung bliebe im Land und wir wären weniger abhängig.

Titelbild: pxhere CC 0

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