Die EU-Kommission will für den überwiegenden Teil der „Neue Gentechnik“-Pflanzen die bewährten Regeln für Risikobewertung, Zulassungsverfahren und Kennzeichnungspflicht abschaffen. Das wäre das Ende für Transparenz und Wahlfreiheit. Mitgliedsstaaten sollen Anbau „Neuer Gentechnik“-Pflanzen nicht mehr untersagen können.
Am 5. Juli will die EU-Kommission den bereits mehrfach verschobenen Vorschlag zur Neuregelung der europäischen Gentechnik-Gesetze auf den Tisch legen. Seit letzter Woche liegt ein erster durchgesickerte Entwurf vor – in dem allerdings wesentliche, vom EU-Ausschuss für Regulierungskontrolle (Regulatory Scrutiny Board) bereits im April dieses Jahres kritisierte Mängel und Schwachstellen noch nicht behoben sind. Würde diese Version umgesetzt, müsste ein Großteil der Lebens- und Futtermittel, die mit Verfahren der „Neuen Gentechnik“ (wie zum Beispiel CRISPR/Cas) hergestellt werden, künftig nicht mehr gekennzeichnet werden. Auch wissenschaftliche Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Zulassungsverfahren würden dafür entfallen. Lediglich ein – in Umfang und Qualität nicht definiertes – Meldeverfahren und eine Saatgutkennzeichnung wären vorgeschrieben.
Das Aufweichen der bestehenden Gentechnik-Gesetze soll für alle Pflanzen gelten, „die auch in der Natur vorkommen oder durch konventionelle Züchtung erzeugt werden können“ – also die allermeisten der „Neue Gentechnik“-Pflanzen, die auf den Markt kommen können. Die Definition für derartige Pflanzen bleibt im Entwurf allerdings willkürlich und alles andere als wissenschaftlich fundiert. Die restlichen „Neue Gentechnik“-Pflanzen sollen, laut Vorschlag, weiterhin als solche gekennzeichnet werden, dürften aber noch zusätzlich ein fragwürdiges Nachhaltigkeits-Label tragen.
EU-Kommission setzt leichtfertig Wettbewerbsvorteil aufs Spiel
„Der vorliegende Entwurf der Kommission ist in sich unausgegoren und widersprüchlich. Er ist garantiert kein Instrument für eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion, sondern, bei genauer Betrachtung, ein Affront gegenüber der in Europa höchst erfolgreichen Gentechnik-freien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Die EU-Kommission setzt damit leichtfertig im Interesse weniger Akteure den großen Wettbewerbsvorteil der Landwirte, Hersteller und des Handels in Europa aufs Spiel, die international für Gentechnik-freie Qualitätsproduktion stehen. Österreich als europaweiter Vorreiter für Gentechnik-freie Lebensmittel wäre davon besonders betroffen“, erklärt Florian Faber, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands ARGE Gentechnik-frei. Allein in Österreich beträgt der Jahresumsatz mit Gentechnik-freien Lebensmitteln im konventionellen Sektor rund 2,5 Mrd. Euro; im Bio-Segment werden nochmals rd. 2 Mrd. Euro umgesetzt. Im deutschen Handel wurden 2022 rund 16 Mrd. Euro „Ohne Gentechnik“ umgesetzt.
Willkürliche und widersprüchliche Vorgaben für Kennzeichnung
Der Entwurf gibt vor, dass der Einsatz der „Neuen Gentechnik“ für die Bio-Landwirtschaft verboten bleibt. Allerdings: Wie und zu welchen Kosten dies ohne eine gesetzlich verankerte Kennzeichnungspflicht und Rückverfolgbarkeit gewährleistet werden kann, bleibt im Entwurf völlig ungeklärt. Ebenso die zentralen Fragen der Koexistenz, also des Nebeneinanders von „Neuer Gentechnik“ und „Ohne Gentechnik“ – dies sollen die Mitgliedsstaaten klären. Den Anbau dieser Pflanzen der „Neuen Gentechnik“ national zu verbieten („Opt-out“) soll aber nicht mehr möglich sein.
„Mit diesem verkorksten Plan kann und darf die EU-Kommission nicht durchkommen. Das wäre völlig konträr zum Wunsch der Konsument:innen, und auch wirtschaftspolitisch fatal. Die rein willkürliche Unterscheidung zwischen kennzeichnungspflichtiger und nicht-kennzeichungspflichtiger Gentechnik versteht kein Mensch. Die Gentechnik-freie und die Bio-Produktion werden mit diesem Entwurf komplett im Regen stehen gelassen. Denn wie sollen sie in Zukunft sicherstellen, dass keine Gentechnik in ihre Produkte gelangt, wenn die EU-Kommission Kennzeichnung und damit Transparenz und Wahlfreiheit opfert?“, so Florian Faber.
Politischer Prozess beginnt erst jetzt
Bis zur geplanten Vorlage am 5. Juli könnte sich der Vorschlag noch ändern. Erst danach beginnt der politische Prozess, der sogenannte Trilog, in dem weitere Änderungen wahrscheinlich sind und am Ende Europaparlament und nationale Regierungen zustimmen müssten. Der aktuell vorliegende, durchgesickerte Entwurf jedenfalls ist bereits auf heftige Kritik seitens der Ohne Gentechnik-Wirtschaft, NGOs und Bioverbänden gestoßen.