Naturkosmetik ist für Jörg Schaden zur Notwendigkeit geworden. Der Wiener, der dabei ist, ein Unternehmen zur Herstellung von ganz besonders natürlichen Schönheits- und Pflegeprodukten aus dem Boden zu stampfen, hat vor allem eine Motivation: die Krankheit seiner Frau.
Wer selbst betroffen ist, weiß, wie mühsam es ist, jede Zahnpaste, jede Creme, jedes Duschgel auf Inhaltsstoffe zu überprüfen, die sich zudem laufend ändern.“
Ulrike Ischler, Gründerin von „mysalifree.com“
Warum Naturkosmetik?
Nach jahrelangem Rätseln ergab sich erst in den USA durch den kalifornischen Professor Dr. Stefan Amand die Diagnose Fibromyalgie. Das Beschwerdebild des Fibromyalgie-Syndroms ist äußerst komplex. Neben den Hauptsymtomen Ganzkörperschmerz, Muskelverspannung und Erschöpfung werden bis zu 150 verschiedene Anzeichen beobachtet. „Wer selbst betroffen ist, weiß, wie mühsam es ist, jede Zahnpaste, jede Creme, jedes Duschgel auf Inhaltsstoffe zu überprüfen, die sich zudem laufend ändern“, sagt die ehemalige Life-Science-Managerin und Partnerin von Jörg Schaden, Ulrike Ischler.
Ein grundlegender Baustein der Therapie ist das konsequente Vermeiden jeglicher Salicylatquellen, was vor allem für Frauen meist die Umstellung nahezu ihrer gesamten Kosmetik bedeutet und auch gewisse Einschränkungen bei Ess- und Trinkverhalten und bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln nach sich zieht.
Neben den körperlichen Schmerzen wurde für Ulrike Ischler auch der Einkauf im Drogeriefachmarkt zur Herausforderung. Inhaltsstoffe studieren und mit einer Liste abgleichen, ob sich in den Kosmetikprodukten nun doch Salicylsäure hinter den Namen wie Bioflavonoide, 2-carboxyphenol oder Phytantriol verbirgt. Denn für Salicylsäure existieren rund 20 Synonyme.
„Was ich trotz intensiver Recherche nicht fand, war eine Pflegelinie, die meinen Notwendigkeiten und Vorstellungen entsprach“, erzählt Ischler. Daraufhin entschloss sich das Paar, eine eigene Naturkosmetik-Serie zu entwickeln.
Aus dieser Idee entstand die Naturkosmetik-Marke „mysalifree“, die salicylat-, gluten-, parabene-, paraffin-, duftstoff- und farbstofffrei in Österreich hergestellt wird. Zu den Inhaltsstoffen der Pflegelinie zählen Bio-Reiskeimöl, Getreideöl, Sheabutter, Kakaobutter und Vitamin E. Die Pflegelinie wird vorerst über den Onlineshop vertrieben.
Was ist Salicylsäure? Die Salicylsäure und ihre Verbindungen, die Salicylate, kommen natürlicherweise in Pflanzen vor. Pflanzen bilden Salicylate als Abwehrmechanismus. Wegen ihrer keimtötenden und ätzenden Wirkung werden sie als Konservierungsmittel in Kosmetika und in hornhautablösenden Mitteln eingesetzt.
Bis zu 500 Chemikalien am Körper
Mit ihrer Geschichte ist Ulrike Ischler jedoch nicht alleine. So wie Essen krank machen kann, löst auch das Auftragen von Kosmetik in unserem Körper ein regelrechtes Feuerwerk aus. Kosmetische Inhaltsstoffe gelangen über die Hautbarriere leicht in den Körper und wirken systemisch. Dabei sind sich viele Menschen nicht bewusst, dass sie sich mit konventioneller Kosmetik bis zu 500 Chemikalien täglich auf Körper und Gesicht auftragen.
Rund 15 bis 25 Prozent der westlichen Bevölkerung leiden an sogenannten Kontaktallergien. Die Betroffenen reagieren überempfindlich auf bestimmte Umweltstoffe. Die häufigsten Auslöser eines Kontaktekzems sind Metalle wie Nickel, Duftstoffe, Farbstoffe, bestimmte Chemikalien wie Formaldehyde oder Arzneimittel. Die häufigsten Merkmale sind Hautrötungen, Schwellungen, nässende Bläschen und Krusten.
„Mit Naturkosmetik hat die Haut wieder die Möglichkeit, sich an ihre ursprüngliche Funktion zu erinnern. Es liegt an uns, die Haut wieder anzuregen, um selbst aktiv zu sein“, ist sich Christina Wolff-Staudigl des gleichnamigen Reformhauses und Naturparfumerie in Wien sicher. Denn mit circa zwei Quadratmetern ist die Haut unser größtes Organ und verdient besondere Aufmerksamkeit. „Eine bewusste Ernährung und Pflege gehören zusammen. Über die Haut nehmen wir alles auf.“ Wolff-Staudigl legt viel Wert darauf, dass hauptsächlich biologische und fair gehandelte Produkte über die Verkaufstheke in ihren Geschäften gehen. 28 Naturkosmetik-Marken hat Staudigl im Sortiment.
Umweltbewusstsein ist bei uns im Vormarsch, glücklicherweise gibt es auch im Bereich der Schönheitsindustrie neue Trends. Rund zehn Prozent Marktanteil haben die Produkte ohne Chemie hierzulande, Tendenz stark steigend. Ihr Anspruch nach einem schonenderen Umgang mit Mensch und Natur findet immer mehr Anhänger. Vor zehn Jahren hätte wohl niemand dem Nischensegment Naturkosmetik seinen heutigen Marktanteil und Umsatz zugetraut.
„Wir bemerken einen unglaublichen Hype um das Thema Naturkosmetik“, sagt Klemens Stiefsohn, der für das Marketing und den Vertrieb bei dem österreichischen Naturkosmetik-Hersteller Styx zuständig ist. Das Unternehmen verzichtet in seiner 450 Artikel umfassenden Produktlinie auf Paraffinöle, Inhaltsstoffe von toten Tieren und Tierversuche. Stattdessen werden kaltgepresste Pflanzenöle, ätherische Öle von weltweiten Partnern und Kräuter von Biobauern verwendet. Produkte wie Kartoffel, Ziegenbutter oder Stutenmilch werden sogar aus dem Umkreis von 25 Kilometern bezogen. „Wo es uns möglich ist, beziehen wir die Wirkstoffe aus der Region.“
Achtung Parabene
Denn es steht immer wieder zur Diskussion: Herkömmliche Kosmetik soll krank machen. Sie besteht überwiegend aus sogenannten synthetischen Inhaltsstoffen. Darunter finden sich Parabene, Silikone, Paraffine, Erdölprodukte und synthetische Duftstoffe.
Die Umweltschutzorganisation Global 2000 hat vergangenen Dezember 400 am österreichischen Markt erhältliche Produkte getestet. Mit einem Ergebnis, das zu denken gibt: Jede fünfte Zahnpaste, jede zweite Bodylotion und jedes zweite Aftershave sind mit hormonell wirksamen Chemikalien belastet. Die am häufigsten nachgewiesenen hormonell wirksamen Stoffe seien Chemikalien aus der Gruppe der Parabene, welche als Konservierungsmittel eingesetzt werden, und der UV-Filter Ethylhexyl Methoxycinnamete gewesen. Parabene sind in der herkömmlichen Kosmetik die häufigsten Konservierungsmittel. Um ein Produkt vor dem frühzeitigen Verderben zu schützen, muss es konserviert werden. Greift man als Hersteller zur chemischen Keule, ist es überhaupt kein Problem, ein Produkt sicher zu konservieren. Konservierungsmittel sollen Mikroorganismen abtöten. Tun sie das, erfüllen sie ihren Zweck. Doch jedes Mittel, das Mikroorganismen abtötet, kann auch hautbelastend oder sogar gesundheitsgefährdend sein.
Naturkosmetik ist natürlich haltbar
Auch Naturkosmetik-Produkte müssen haltbar gemacht werden. Wie viel Konservierungsstoffe nötig sind, hängt vom Produkt und seiner Verpackung ab. Produkte in Tuben kommen mit weniger aus als Kosmetika in Tiegeln. Generell gilt: Als Konservierungsmittel sind bei Naturkosmetik nur Alkohole, ätherische Öle, Propolis und Vitamin E zulässig sowie bei dem Siegel BDIH naturidentische Konservierungsstoffe. Diese naturidentischen Konservierungsstoffe finden auch in Lebensmitteln Verwendung.
Gegen die Invasion der Mikroben gibt es zudem ein altes Hausrezept. Zucker und Salz. Osmose nennt man das. Der ungebundene Zucker entzieht Mikroorganismen das Wasser und diese gehen zugrunde. Die Kosmetik bleibt haltbar. So konserviert der niederösterreichische Naturkosmetik-Hersteller Styx beispielsweise mit Zucker und Salzstoffen. Die Produkte sind damit nach der Öffnung sechs bis zwölf Monate haltbar.
Die Umweltschutzorganisation Global 2000 untersuchte in ihrer Studie auch stichprobenartig Naturkosmetik-Artikel. Sie waren frei von hormonellen Schadstoffen. Der Anspruch, sich ausschließlich bei der Natur zu bedienen, kommt vor allem Allergikern zugute, denn diese reagieren zumeist mit Hautreizungen auf die chemischen und synthetischen Inhaltsstoffe herkömmlicher Kosmetika.
Die Gütesiegel
Kein Wunder also, dass auch die großen Industriebetriebe wie etwa L’Oréal dem Trend folgen und bei einzelnen Marken mit den unabhängigen Gütesiegeln aufwarten. So tragen zum Beispiel Garniers Serien „Bio Aktiv“ und Sanoflore das EcoCert-Siegel.
Wer auf Nummer sicher gehen möchte, muss sich ohnehin an den Siegeln orientieren. Die bekanntesten Labels sind derzeit BDIH/COSMOS, NaTrue, EcoCert und ICADA. Sie garantieren, dass auch Natur drinnen ist, wenn Natur draufsteht.
Das BDIH-Label etwa gibt eine lange Liste von Stoffen vor, die in Bioqualität enthalten sein dürfen. Trägt das Produkt das Wort Bio im Namen, sollten 95 Prozent der Inhaltsstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau stammen.
Auch bei dem Label NaTrue gibt es Vorgaben für die verwendeten Naturstoffe. Wenn ein Hersteller ein Produkt nicht nur als „Naturkosmetik“ zertifizieren lassen will, sondern als „Naturkosmetik mit Bioanteil“, müssen mindestens 70 Prozent der Inhaltsstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau stammen. Für die Bezeichnung „Biokosmetik“ sind es 95 Prozent. Beim Vergleich zwischen Naturkosmetik und herkömmlicher Kosmetik gilt es, die Vor- und Nachteile der einzelnen Produkte abzuwägen und mit ihren persönlichen Bedürfnissen zu verbinden.
Naturkosmetik-Shampoos schäumen nicht so intensiv wie herkömmliche Produkte in diesem Bereich, sie stehen diesen aber in Sachen Reinigungskraft um nichts nach. Gerade empfindliche und trockene Haut profitiert vom Verzicht auf Tenside.
Auch Haar und Kopfhaut machen einen Strukturwandel durch und verhalten sich anders als gewohnt. Wenn die chemischen Rückstände beseitigt sind, wird man durch die neu gewonnene Sprungkraft belohnt.
Deodorants können nicht die umfassende Wirksamkeit erzielen, wie etwa Antitranspirant-Deos, da Biowirkstoffe die Schweißproduktion nicht reduzieren können. Die bedenklichen Aluminiumsalze, die in den meisten Antitranspiranten enthalten sind, fehlen in natürlichen Pflegeprodukten. Die Schweißproduktion wird nicht unterdrückt, jedoch können die natürlichen Düfte sich auf den Körpergeruch legen. Limette und Melisse bewirken ein frisches Gefühl. Und noch etwas gibt es zu beachten: Wer von herkömmlicher auf Naturkosmetik umsteigt, sollte nicht Alt mit Neu mischen. Erst die alte Kosmetik aufbrauchen und dann mit den neuen, natürlichen Produkten starten.
Weitere Informationen über die rechtliche Definition von Naturkosmetik finden Sie hier.