Stahl und Zement sind große Klimakiller. Die Eisen- und Stahlindustrie ist für rund 11 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, die Zementindustrie für rund 8 Prozent. Der Gedanke, man sollte Stahlbeton im Bauwesen durch einen klimafreundlicheren Baustoff ersetzen, liegt nahe. Sollten wir also lieber mit Holz bauen? Haben wir genug davon? Ist Holz wirklich CO2-neutral? Oder könnten wir sogar den Kohlenstoff, den der Wald aus der Atmosphäre holt, in Holzbauten speichern? Wäre das die Lösung all unserer Probleme? Oder gibt es hier wie bei vielen technologischen Lösungen auch Beschränkungen?
Martin Auer von SCIENTISTS FOR FUTURE hat sich darüber mit Dr. Johannes Tintner-Olifiers vom Institut für Physik und Materialwissenschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien unterhalten.
JOHANNES TINTNER-OLIFIERS: Dass wir uns in der Baustofffrage umorientieren müssen, ist klar. Die Emissionen, die derzeit die Zementindustrie und die Stahlindustrie erzeugen, sind auf einem sehr hohen Niveau – bei aller Anerkennung der Maßnahmen, die die Zementindustrie setzt, um die CO2-Emissionen zu verringern. Es wird viel darüber geforscht, wie man Zement klimaneutral erzeugen kann, und auch daran, wie man das Bindemittel Zement durch andere Bindemittel ersetzen kann. Man arbeitet auch daran, bei der Zementproduktion CO2 am Schornstein abzuscheiden und zu binden. Mit genug Energie kann man das machen. Chemisch funktioniert es, dieses CO2 mit Wasserstoff in Kunststoff umzuwandeln. Die Frage ist: Was macht man dann damit?
Der Baustoff Zement wird in Zukunft noch seine Bedeutung haben, aber er wird ein extremes Luxusprodukt sein, weil er eben sehr viel Energie verbraucht – auch wenn es erneuerbare Energie ist. Rein ökonomisch betrachtet werden wir uns das nicht leisten wollen. Dasselbe gilt für Stahl. Derzeit fährt kein größeres Stahlwerk vollständig mit erneuerbaren Energien, und das wollen wir uns auch nicht leisten.
Wir brauchen Baustoffe, die deutlich weniger Energiebedarf haben. Da gibt es nicht sehr viele, aber wenn wir in die Geschichte zurückschauen, ist die Palette bekannt: Lehmbau, Holzbau, Stein. Das sind Baumaterialien, die man relativ energiearm abbauen und nutzen kann. Grundsätzlich geht das. Aber derzeit ist die Holzindustrie nicht CO2-neutral. Holzernte, Holzverarbeitung, Holzindustrie arbeiten mit fossiler Energie. Die Sägeindustrie ist relativ noch das beste Glied in der Kette, weil viele Betriebe mit den enormen Mengen an Sägespänen und Rindenanteil, die bei ihnen anfallen, eigene Blockheizkraftwerke betreiben. In der Holzindustrie werden eine ganze Reihe von synthetischen Materialien gebraucht, die auf fossilen Rohstoffen basieren, zum Beispiel zur Verklebung, . Da wird viel geforscht, aber derzeit ist die Lage so.
Trotzdem ist der CO2-Fußabdruck von Holz viel besser als der von Stahlbeton. Drehrohröfen für die Zementproduktion verheizen zum Teil Schweröl. Die Zementindustrie verursacht global 8 Prozent der CO2-Emssionen. Die Brennstoffe sind aber nur die eine Seite. Die zweite Seite ist die chemische Reaktion. Kalkstein ist im wesentlichen eine Verbindung von Calcium, Kohlenstoff und Sauerstoff. Bei der Umwandlung zu Zementklinker unter hohen Temperaturen (ca. 1.450°C) wird der Kohlenstoff als CO2 freigesetzt.
MARTIN AUER: Es wird ja viel darüber nachgedacht, wie man der Atmosphäre Kohlenstoff entziehen und langfristig speichern kann. Könnte Holz als Baustoff ein solcher Speicher sein?
JOHANNES TINTNER-OLIFIERS: Im Prinzip stimmt die Rechnung: Wenn man Holz aus dem Wald nimmt, diese Fläche nachhaltig bewirtschaftet, dort wieder Wald nachwächst, und das Holz nicht verbrannt wird, sondern in Bauwerken verarbeitet wird, dann ist das Holz dort gespeichert und das CO2 nicht in der Atmosphäre. Soweit, so richtig. Dass Holzbauwerke sehr alt werden können, das wissen wir. In Japan gibt es ganz berühmte Holzbauwerke, die über 1000 Jahre alt sind. Wir können da aus der Umweltgeschichte unglaublich viel lernen.
Links: Hōryū-ji, „Tempel der Lehre Buddhas“ in Ikaruga, Japan. Das Holz der zentralen Säule wurde einer dendrochronologischen Analyse zufolge im Jahre 594 gefällt.
Foto: 663highland via Wikimedia
Rechts: Stabkirche in Urnes, Norwegen, erbaut im 12. und 13. Jahrhundert.
Foto: Micha L. Rieser via Wikimedia
Der Mensch hat Holz früher sehr viel klüger verwendet, als wir es heute tun. Ein Beispiel: Die technisch stärkste Zone in einem Baum ist die Astanbindung. Die muss besonders stabil sein, damit der Ast nicht abbricht. Aber wir nutzen das heute nicht. Wir bringen das Holz ins Sägewerk und sägen den Ast ab. Für den Bau von Schiffen in der frühen Neuzeit hat man speziell Bäume mit der passenden Krümmung gesucht. Vor einiger Zeit hatte ich ein Projekt über traditionelle Harzgewinnung aus Schwarzföhren, das „Pechen“. Es war schon schwierig, einen Schmied zu finden, der das dazu notwendige Werkzeug – eine Dechsel – herstellen konnte. Den Stiel hat sich der Pecher selber gemacht und sich dazu einen passenden Hartriegelstrauch gesucht. Dieses Werkzeug hat er dann ein Leben lang gehabt. Sägewerke verarbeiten maximal vier bis fünf Baumarten, manche sind sogar nur auf eine Art spezialisiert, vor allem Lärche oder Fichte. Um Holz besser und klüger zu nutzen, müsste die Holzindustrie wieder viel handwerklicher werden, menschliche Arbeitskraft und menschliches Know-how einsetzen und weniger Massenware produzieren. Natürlich wäre die Herstellung eines Dechselgriffs als Unikat ökonomisch problematisch. Doch technisch ist so ein Produkt überlegen.
Links: Rekonstruktion eines jungsteinzeitlichen Ritzpflugs, der sich die natürliche Gabelung des Holzes zunutze macht.
Foto: Wolfgang Sauber via Wikimedia
Rechts: Dechsel
Foto: Rasbak via Wikimedia
MARTIN AUER: Dann ist Holz also doch nicht so nachhaltig, wie man normalerweise annimmt?
JOHANNES TINTNER-OLIFIERS: Vor kurzem hat die EU-Kommission die Holzindustrie in Bausch und Bogen als nachhaltig klassifiziert. Das hat viel Kritik hervorgerufen, denn nachhaltig ist die Nutzung von Holz nur, wenn sie den Gesamtbestand des Waldes nicht reduziert. In Österreich ist die Waldnutzung derzeit nachhaltig, doch das ist nur deshalb so, weil wir diese Ressourcen nicht brauchen, solange wir mit fossilen Rohstoffen arbeiten. Zum Teil lagern wir die Entwaldung auch aus, weil wir Futtermittel und Fleisch importieren, für die anderswo Wälder gerodet werden. Wir importieren auch Holzkohle für den Grill aus Brasilien oder Namibia.
MARTIN AUER: Hätten wir denn genug Holz, um die Bauwirtschaft umzustellen?
JOHANNES TINTNER-OLIFIERS: Generell ist unsere Bauwirtschaft massiv aufgebläht. Wir bauen zu viel und recyceln viel zu wenig. In der Masse sind die Bauten nicht auf Recycling ausgelegt. Wenn wir die derzeit verbauten Mengen an Stahl und Beton durch Holz ersetzen wollten, hätten wir dafür viel zu wenig. Ein großes Problem ist, dass Bauwerke heutzutage eine relativ kurze Lebensdauer haben. Die meisten Stahlbetonbauten werden nach 30 bis 40 Jahren abgerissen. Das ist eine Ressourcenverschwendung, die wir uns nicht leisten können. Und solange wir dieses Problem nicht gelöst haben, hilft es auch nicht, den Stahlbeton durch Holz zu ersetzen.
Wenn wir gleichzeitig viel mehr Biomasse zur Energiegewinnung verwenden wollen und viel mehr Biomasse als Baustoff und viel mehr Fläche an die Landwirtschaft zurückgeben – das geht sich einfach nicht aus. Und wenn Holz in Bausch und Bogen als CO2-neutral deklariert wird, dann besteht die Gefahr,dass unsere Wälder geschlägert werden. Die würden dann in 50 oder 100 Jahren nachwachsen, doch in den nächsten Jahren würde der Klimawandel dadurch genau so angeheizt wie durch den Verbrauch von fossilen Rohstoffen. Und auch wenn Holz in Bauwerken lange gespeichert werden kann, geht ein großer Teil als Sägeabfälle eben doch in die Verbrennung. Es gibt viele Verarbeitungsschritte, und letztlich wird nur ein Fünftel des Holzes tatsächlich eingebaut.
MARTIN AUER: Wie hoch könnte man eigentlich mit Holz bauen?
JOHANNES TINTNER-OLIFIERS: Ein Hochhaus mit 10 bis 15 Stockwerken lässt sich durchaus in Holzbauweise realisieren- Es müssen auch nicht alle Gebäudeteile diese große Tragfähigkeit haben wie Stahlbeton. Vor allem im Innenausbau könnte Lehm zum Einsatz kommen. Lehm kann ähnlich wie Beton in eine Schalung gefüllt und festgestampft werden. Im Gegensatz zu Ziegeln muss Stampflehm nicht erhitzt werden. Vor allem wenn er lokal gewonnen werden kann, hat Lehm eine sehr gute CO2-Bilanz. Es gibt auch schon Firmen, die Fertigteile aus Lehm, Stroh und Holz produzieren. Das ist sicherlich ein Baustoff der Zukunft. Trotzdem bleibt das Hauptproblem, dass wir einfach zu viel bauen. Wir müssen viel mehr darüber nachdenken, wie wir Altbestand sanieren. Aber auch hier ist die die Frage des Baustoffs entscheidend.
Stampflehmwände im Innenausbau
Foto: Autor unbekannt
MARTIN AUER: Was wäre denn der Plan für große Städte wie Wien?
JOHANNES TINTNER-OLIFIERS: Für den mehrgeschossigen Wohnbau gibt es keinen Grund, nicht in Holzbau oder Holz-Lehm-Bau zu arbeiten. Das ist zwar aktuell eine Frage des Preises, aber wenn wir die CO2-Emissionen einpreisen, dann ändern sich die ökonomischen Realitäten. Stahlbeton ist ein extremes Luxusprodukt. Wir werden ihn brauchen, weil man beispielsweise einen Tunnel oder eine Staumauer nicht in Holzbauweise erstellen kann. Stahlbeton für drei- bis fünfstöckige Wohnhäuser ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können.
Allerdings: Der Wald nimmt zwar noch zu, aber die Zuwächse werden geringer, die Gefahr des verfrühten Absterbens steigt, es gibt immer mehr Schädlinge. Selbst wenn wir nichts entnehmen, können wir nicht sicher sein, dass der Wald nicht zurückstirbt. Je mehr die Klimaerwärmung zunimmt, desto weniger CO2 kann der Wald aufnehmen, das heißt, desto weniger kann er die ihm zugedachte Aufgabe erfüllen, den Klimawandel zu verlangsamen. Dadurch wird das Potenzial, Holz als Baustoff einzusetzen, noch schmäler. Aber wenn das Verhältnis stimmt, dann kann Holz ein sehr nachhaltiger Baustoff sein, der auch den Anspruch der Klimaneutralität erfüllt.
Titelfoto: Martin Auer, mehrstöckiges Wohnhaus in Massivholz-Bauweise in Wien Meidling
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