„Selbstverständlich sind wir von Lobbyisten regiert.“
Franziska Humbert, Oxfam
Ob ausbeuterische Kinderarbeit auf Kakaoplantagen, brennende Textilfabriken oder vergiftete Flüsse: Viel zu oft tragen Unternehmen keine Verantwortung dafür, wie sich ihre globalen Geschäfte auf Umwelt und Menschen auswirken. Ändern könnte das ein Lieferkettengesetz. Doch der Gegenwind aus der Wirtschaft bläst stark.
Wir müssen reden. Und zwar über die klitzekleine Tafel Milchschokolade um etwa 89 Cent, die Sie sich gerade gegönnt haben. In einer globalisierten Welt ist die nämlich ein hochkomplexes Produkt. Hinter dem kleinen Schokogenuss steckt ein Bauer, der gerade mal 6 von den 89 Cent abkriegt. Und die Geschichte von zwei Millionen Kindern in Westafrika, die unter ausbeuterischen Bedingungen auf Kakaoplantagen arbeiten. Sie schleppen schwere Kakaosäcke, arbeiten mit Macheten und versprühen ohne Schutzkleidung giftige Pestizide.
Erlaubt ist das natürlich nicht. Aber der Weg von der Kakaobohne zum Supermarktregal ist quasi undurchschaubar. Bis sie bei Ferrero, Nestlé, Mars & Co landet, geht sie durch die Hände von Kleinbauern, Sammelstellen, Subunternehmen von Großkonzernen und Verarbeitern in Deutschland und Holland. Am Ende heißt es dann: Die Lieferkette ist nicht mehr nachvollziehbar. Ähnlich undurchsichtig ist die Lieferkette bei Elektrogeräten wie Handys und Laptops, Bekleidung oder anderen Lebensmitteln. Dahinter stecken Platinbergbau, die Textilindustrie, die Ölpalm-Plantagen. Und sie alle fallen mit der Ausbeutung von Menschen, unerlaubtem Pestizideinsatz sowie Landraub auf, die nicht geahndet werden.
Ist Made in A eine Garantie?
Das ist ein schöner Gedanke. Schließlich versichern uns die heimischen Unternehmen glaubhaft, dass ihre Lieferanten Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutzstandards einhalten. Aber da ist es auch schon wieder: Das Lieferketten-Problem. Die Betriebe von denen österreichische Unternehmen kaufen, sind in der Regel Einkäufer und Importeure. Und die stehen eben nur an der Spitze der Lieferkette.
Das Ausbeuten beginnt aber weit dahinter. Haben wir als Konsumenten überhaupt Einfluss? „Verschwindend geringen“, sagt die heimische Abgeordnete Petra Bayr, die zusammen mit Julia Herr im März hierzulande einen Antrag auf ein Lieferkettengesetz ins Parlament eingebracht hat. „In manchen Bereichen ist es möglich faire Produkte zu kaufen, wie zum Beispiel bei der genannten Schokolade“, fügt sie hinzu, „einen fairen Laptop gibt es jedoch nicht auf dem Markt.“
Ein anderes Beispiel? Der Pestizideinsatz. „In der EU ist etwa das Pestizid Paraquat seit 2007 verboten, doch auf globalen Palmölplantagen wird es weiterhin angewendet. Und Palmöl findet sich in 50 Prozent der Lebensmittel in unseren Supermärkten.“
Bricht jemand in einer entlegenen Weltgegend Rechte, sind zudem aktuell weder Supermärkte, Produzenten noch sonstige Unternehmen dafür rechtlich verantwortlich. Und die freiwillige Selbstkontrolle funktioniert in den wenigsten Fällen, wie auch EU-Justizkommissar Didier Reynders im Februar 2020 feststellte. Nur ein Drittel der EU-Unternehmen prüft seine globalen Lieferketten betreffend Menschenrechte und Umweltauswirkungen im Moment bereits sorgfältig. Und auch deren Bemühungen enden bei den direkten Zulieferern, wie eine Studie in Reynders Auftrag zeigte.
Lieferkettengesetz ist unumgänglich
Im März 2021 beschäftigte sich dann auch die EU mit dem Thema Lieferkettengesetz. Die Abgeordneten im EU-Parlament nahmen ihren „Legislativvorschlag zur Rechenschafts- und Sorgfaltspflicht von Unternehmen“ mit großer Mehrheit von 73 Prozent an. Von Seite Österreichs scherten allerdings die ÖVP-Abgeordneten (Ausnahme Othmar Karas) aus. Sie stimmten dagegen. Am nächsten Step, dem Richtlinienvorschlag der Kommission für ein EU-Lieferkettengesetz, änderte das aber nichts.
Beschleunigt hat die ganze Sache, dass sich mittlerweile in Europa einige Lieferkettengesetz-Initiativen gebildet hatten. Deren Forderung ist es, Unternehmen auch außerhalb Europas für Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen zur Kasse zu bitten. Allem voran in Staaten, in denen Ausbeutung weder verboten ist, noch exekutiert wird. Und so sollte der Entwurf für die EU-Richtlinie noch im Sommer kommen und finanzielles Ungemach für Regelbrecher mit sich bringen: z.B. für einige Zeit von Förderungen ausgeschlossen zu werden.
Lobbyismus gegen ein Lieferkettengesetz
Dann aber verschob die EU Kommission den Entwurf medial weitgehend unbeachtet in den Herbst. Da liegt eine Frage natürlich auf der Hand: War der Gegenwind aus der Wirtschaft zu stark? Germanwatch-Expertin für Unternehmensverantwortung Cornelia Heydenreich beobachtet jedenfalls mit Sorge, „dass seit neuestem neben EU-Justiz-Kommissar Reynders auch der EU-Kommissar für Binnenmarkt, Thierry Breton, für das Gesetzesvorhaben zuständig ist.“
Dass Breton, ein französischer Geschäftsmann auf Seiten der Wirtschaft steht, ist kein Geheimnis. Heydenreich erinnert das an das deutsche Szenario: „Dass in Deutschland seit Sommer 2020 auch der Bundeswirtschaftsminister mitzuständig war, hat die Konsensfindung enorm verkompliziert – und aus unserer Sicht auch stärker die Lobbyforderungen der Wirtschaftsverbände in den Prozess eingebracht.“ Dennoch sieht sie die Entwicklungen der EU nicht unbedingt als ,Rückzieher‘: „Dass sich Gesetzesvorhaben auf EU-Ebene verzögern, das kennen wir aus vielen anderen Gesetzgebungsprozessen.“ Heydenreich sagt auch, dass die EU-Kommission abwarten will, wie der deutsche Gesetzesentwurf nun genau aussehen wird: „Und der ist ja immer noch nicht verabschiedet.“
Lieferkettengesetz in Deutschland auf Warteposition
Tatsächlich sollte der deutsche Lieferketten-Gesetzesentwurf schon am 20. Mai 2021 verabschiedet werden, wurde aber kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags genommen. (Inzwischen verabschiedet. Wird am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Hier das Bundesgesetzblatt dazu.) Dabei hatte man sich bereits geeinigt. Ab 2023 sollten zunächst für Konzerne mit mehr als 3.000 Mitarbeitern in Deutschland (das sind 600) gewisse Lieferketten-Regeln gelten. In einem zweiten Schritt ab 2024 sollten die auch für Betriebe mit über 1.000 Mitarbeitern gelten. Damit wären knapp 2.900 Unternehmen betroffen.
Doch der Entwurf hat Schwachstellen. Franziska Humbert, Oxfam Referentin für Arbeitsrechte und soziale Unternehmensverantwortung kennt sie: „Allem voran gelten die vorgesehenen Sorgfaltspflichten nur abgestuft.“ Sprich, der Fokus liegt wieder auf den direkten Zulieferern. Die gesamte Lieferkette soll erst aufgrund von Hinweisen mit Substanz unter die Lupe genommen werden. Nun sitzen aber beispielsweise die direkten Zulieferer der Supermärkte in Deutschland, wo ohnehin strenge Arbeitsschutzregeln gelten. „Daher droht das Gesetz in diesem Punkt seinen Zweck zu verfehlen.“ Auch den UN-Leitprinzipien entspricht es damit nicht, die von der gesamten Lieferkette ausgehen. „Und es fällt hinter die bereits bestehenden freiwilligen Bemühungen vieler Unternehmen zurück“, so Humbert. „Außerdem fehlt der zivilrechtliche Anspruch auf Schadensersatz. Immer noch haben Arbeiter, die auf Bananen, Ananas- oder Weinplantagen für unser Essen schuften, keine echte Chance, vor deutschen Gerichten Schadensersatz einzuklagen, zum Beispiel für Gesundheitsschäden durch den Einsatz hochgiftiger Pestizide.“ Positiv? Sei, dass die Einhaltung der Regeln durch eine Behörde überprüft werde. Die könne im Einzelfall auch Bußgelder verhängen oder Unternehmen bis zu drei Jahren von öffentlichen Ausschreibungen ausschließen.
Und Österreich?
In Österreich setzen sich zwei Kampagnen für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in den globalen Lieferketten ein. Über zehn NGOs, die AK und der ÖGB rufen im Zuge ihrer Kampagne gemeinsam zur Petition „Menschenrechte brauchen Gesetze“ auf. Die türkis-grüne Regierung will allerdings dem deutschen Vorstoß nicht folgen, sondern wartet, was weiter so aus Brüssel kommt.
Das ideale Lieferkettengesetz
Heydenreich sagt, im Idealszenario werden Unternehmen wirksam dazu angehalten, die größten und schwerwiegendsten menschenrechtlichen Risiken in ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu identifizieren, möglichst abzustellen oder wiedergutzumachen. „Es geht vor allem um Prävention, also dass die Risiken gar nicht erst eintreten – und die sind in der Regel eher nicht bei den direkten Lieferanten zu finden, sondern tiefer in der Lieferkette.“ Zudem müsse man Betroffene stärken, damit sie im Falle von Verstößen auch ihr Recht einfordern können. „Und es muss Beweislasterleichterungen geben, im Idealfall sogar eine Beweislastumkehr.“
Für die österreichische Abgeordnete Bayr ist es wichtig, ein ideales Gesetz nicht nur auf Konzerne zu beschränken: „Auch kleine europäische Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern können große Menschenrechtsverletzungen in der globalen Lieferkette bewirken“, stellt sie fest. Ein Beispiel seien Import-Export-Firmen: „Personell oft sehr klein, kann der menschenrechtliche oder ökologische Impact der von ihnen importierten Waren dennoch sehr groß sein.
Für Heidenreich ist außerdem klar: „Der deutsche Entwurf darf nur ein weiterer Impuls für den EU-Prozess sein kann und nicht 1:1 den Rahmen für die EU-Regelung setzen. An entscheidenden Punkten muss die EU-Regelung darüber hinausgehen.“ Das, sagt sie, wäre für Deutschland, und auch für Frankreich, wo es seit 2017 das erste übergreifende Sorgfaltspflichtengesetz in Europa gibt, durchaus machbar: „Gemeinsam mit den 27 EU-Mitgliedsstaaten können auch Frankreich und Deutschland noch ambitionierter werden, weil es dann innerhalb von Europa ein sogenanntes Level-Playing-Field gäbe.“ Und was ist nun wirklich mit den Lobbyisten? „Selbstverständlich sind wir von Lobbyisten regiert. Mal mehr, mal weniger“, bringt es Oxfam-Referentin Franziska Humbert trocken auf den Punkt.
Lieferketten-Ambitionen Global
In der EU wird derzeit über ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene diskutiert. Im Herbst 2021 will die EU-Kommission entsprechende Pläne für eine europäische Richtlinie vorstellen. Aktuelle Empfehlungen des Europäischen Parlaments sind dabei deutlich ehrgeiziger als der deutsche Gesetzesentwurf: So sind u.a. eine zivilrechtliche Haftungsregelung und vorbeugende Risikoanalysen für die gesamte Wertschöpfungskette vorgesehen. Die EU hat für den Handel mit Holz und Mineralien aus Konfliktgebieten bereits verbindliche Vorgaben erlassen, die Sorgfaltspflichten für Unternehmen vorschreiben.
Die Niederlande haben im Mai 2019 ein Gesetz gegen den Umgang mit Kinderarbeit verabschiedet, das Unternehmen zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Kinderarbeit verpflichtet und Beschwerdemöglichkeiten und Sanktionen vorsieht.
Frankreich hat im Februar 2017 ein Gesetz zu Sorgfaltspflichten französischer Unternehmen verabschiedet. Das Gesetz verlangt von Unternehmen Sorgfaltsmaßnahmen und ermöglicht, die Unternehmen bei Verstößen dagegen zivilrechtlich zu belangen.
In Großbritannien verpflichtet ein Gesetz gegen moderne Formen der Sklaverei zur Berichterstattung und Maßnahmen gegen Zwangsarbeit.
In Australien gibt es seit 2018 ein Gesetz gegen Moderne Sklaverei.
Die USA legen Unternehmen seit 2010 verbindliche Vorgaben im Handel mit Materialien aus Konfliktgebieten auf.
Die Situation in Österreich: Die NGO Südwind fordert Regeln auf verschiedenen Ebenen, national und international. Unterzeichnen kann man sie hier: www.suedwind.at/petition
Die SPÖ-Abgeordneten Petra Bayr und Julia Herr legten im Nationalrat Anfang März einen Antrag für ein Lieferkettengesetz vor, der das Thema auch im Parlament ins Zentrum rücken soll.
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