in ,

Krankheiten aus dem Kofferraum


Schon beim Herauswinken hat er irgendwie verdächtig ausgesehen. Der kleine Laster, der gerade über die Grenze von Österreich nach Italien unterwegs war, fährt langsam an den Straßenrand. Die Luft ist kühl, es ist ein typisch klarer Dezembertag im nordöstlichsten Teil der Region Friaul-Julisch Venetien. „Polizeikontrolle, Dokumente bitte.“ Beim Näherkommen sieht der weiße Camion aus wie jeder andere: unscheinbar, und gerade deswegen wert, genauer betrachtet zu werden. Den Reisepass in der einen Hand, wandert die nächste langsam über den Knauf der Hintertür. Beim Aufmachen kommt den Polizisten, die in einer Gruppe gemeinsam vor dem Wagen stehen, ein stechender Gestank entgegen. Ein Schwall von Federnstaub wirbelt durch die Luft und bleibt schließlich am Straßenboden liegen. Ein aufgeregtes, schrilles Rufen und Schwatzen ist das erste, was den Polizisten zu Ohren kommt. Mit der stickigen Wärme des Innenraums mischt sich jetzt die Gewissheit: sie haben richtig getippt. Giftgrüne, leuchtend Gelbe und auffallend blaue Papageien schauen den Polizisten entgegen. Lebhaft singend versuchen die Tiere, sich zu bewegen, doch der wenige Platz im Käfig lässt kaum zu, dass sie sich umdrehen. Dicht aneinandergegrenzt scheint ihnen die winterliche Sonne auf den Schnabel. 

Ortswechsel. Ein paar Tage später liegt Francesco (*Name geändert) im Bett. Die anfängliche Schwierigkeit, Luft zu bekommen, hat sich rasant verschlechtert. Das hohe Fieber und die Gliederschmerzen machen es nicht einfacher, die Lungenbeschwerden auszuhalten. Eine unerkannte Infektion kann bei Menschen zum Tod führen, das weiß er jetzt. Psittakose, so heißt die Krankheit, an der der Zollpolizist erkrankt ist. Die grippeähnlichen Symptome haben es am Anfang schwer für den behandelnden Arzt gemacht, herauszufinden, womit sein Immunsystem kämpft. Nachdem seine Arbeitskollegen genauso krank wurden, hat die Blutuntersuchung belegt, was schon befürchtet wurde: Der Krankheitserreger heißt Chlamydophila psittaci. Überbracht von den rund 3000 kranken Papageien und Wellensittichen, die beim letzten illegalen Tiertransport gefunden wurden. 

„Die Polizisten haben damals eine schwere Lungenentzündung bekommen, die Krankheit geht stark auf den Atmungstrakt“, erklärt Marie-Christin Rossmann, Veterinärmedizinerin und Sachgebietsleiterin für Infektionskrankheiten in Kärnten. Internationaler Tierhandel ist ihr Spezialisierungsgebiet. Die Papageien-Krankheit war damals, im Winter 2015, der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Am Grenzübergang bei Travis, im italienisch-österreichisch-slowenischen Dreiländereck im Kanaltal, entdeckten Zollpolizisten häufig tierschutzrechtlich überhaupt nicht konforme Transporte. Junge, viel zu früh von der Mutter getrennte Hundewelpen, Katzenbabys, kranke Wellensittiche. Tiere, die allesamt vom Auto aus verkauft neue Besitzer finden sollten. So schlossen sich damals Österreich und Italien als Projektpartner zusammen, und gründeten 2017 das von der EU-co-finanzierte Biocrime Projekt. „70 Prozent der Menschen haben überhaupt keine Ahnung, was Zoonosen sind und wie gefährlich sie für Menschen sein können“, so Rossmann, die für das Land Kärnten in Österreich Leiterin des Interreg-Projekts Bio-Crime ist. Infektionskrankheiten wie die Papageien-Krankheit oder das Coronavirus können von Tieren auf Menschen übertragen werden, und umgekehrt, erklärt sie. Besonders Zollbeamte seien der Gefährdung bei Tiertransporten ausgesetzt, wenn sie Busse oder Autos nach illegalen Substanzen oder Mitbringsel durchsuchen. Aber auch Eltern, die ihren Kindern ein Haustier schenken wollen, kommen mit den Krankheiten vermehrt in Kontakt. Da das Internet bei Tierkäufen boomt, würden laut der Expertin besonders viele Menschen auf die Preise reinfallen. „1000 Euro ist bereits ein billiger Preis für einen Rassehund“, so die Expertin für Tierschutz. Darunter würde es sich mit den Betreuungskosten, den Impf- und Entwurmungskosten unmöglich ausgehen. Seriöse Züchter würden auch stets das Muttertier mitnehmen, und könnten einen Eltern-Stammbaum vorzeigen. „Viele Menschen kaufen im Ausland aus Mitleid die besonders kleinen Hunde, weil sie noch schutzbedürftiger aussehen und ohnehin nur 300 Euro kosten“, so Rossmann. Eine Masche, die funktioniere, obwohl es gesetzlich verboten ist, Jungtiere zu kaufen, die jünger als acht Wochen alt sind. Durch den schnellen Entzug von der Muttermilch und die oft schlechten hygienischen Bedingungen sind die neuen Familienmitglieder dann häufig krank, ein ganzes Leben lang. 

Wie gefährlich Zoonosen sind, habe nicht erst das Coronavirus gezeigt. Die von Tieren übertragenen Krankheiten können großen Schaden anrichten, auch bei Menschen. „Wenn die Krankheit ausbricht, dann wars das. Die wenigsten wissen zum Beispiel, dass jährlich 60.000 Menschen an Tollwut sterben“, so die Veterinärin. Denn die Krankheit verlaufe zu 100 Prozent tödlich. Oft seien die illegal gebrachten Tiere nicht geimpft. Besonders bakterielle Krankheiten würden so oft über Grenzen gebracht werden. Die illegal eingereisten Tiere seien oft krank, viele von ihnen hätten Parasiten, selbst Katzen könnten Salmonellen haben und an Menschen übertragen. „Da haben wir bei den Kindern angesetzt“. Das EU-geförderte Projekt hat in Schulworkshops hunderte Kinder und Jugendliche über die Gefahren informiert, und damit ein Basiswissen bei der nächsten Generation geschaffen. Insgesamt 1000 Polizisten wurden geschult und miteinander vernetzt.  Durch das EU-Projekt ist ein enormes überregionales, von Solidarität geprägtes, Netzwerk entstanden, das sich im Kampf gegen Tierschlepperei unterstützt. Die Kriminalpolizei sei so breiter aufgestellt, und könne länderübergreifend schneller eingreifen.

Ob die Tiere mit Absicht krank über Grenzen gebracht werden? Das wäre eine völlig neue Form des Terrorismus, so die Infektionsexpertin. „Wenn man einem Land absichtlich schaden möchte, wäre das eine Möglichkeit“. 35 Millionen Euro Krankenhauskosten hätte es den italienischen Staat gekostet, wenn die infizierten Papageien damals wirklich verkauft worden wären. Bei fünf Prozent Sterblichkeitsrate hätte das bedeutet, dass 150 Menschen gestorben wären, so die Hochrechnung des Expertenteams. Hauptziel des Projektes ist nicht nur Solidarität bei gesundheitlichen Risiken und Wissensvermehrung über transnationale organisierte Kriminalität, sondern auch das Prinzip „one health“. Da die Verbreitung von Zoonosen wie das Coronavirus auch in der Zukunft ökonomische und gesundheitliche Gefahren birgt, möchte das Projekt die Arbeit zwischen Veterinären und Humanmedizinern noch mehr stärken. Denn nur so könnten noch unbekannte Gefahren in der Zukunft schneller erkannt und gemeinsam bekämpft werden, so die Expertin. 

„Zoonosen sind für die größten Pandemien in der Geschichte der Menschheit verantwortlich“, so Paolo Zucca, Projektmanager des Interreg-Projekts. Entgegen der landläufigen Meinung sei die Verbreitung von durch Säugetiere auf den Menschen übertragenen Krankheiten in Nordamerika, Europa und Russland höher als in Afrika, Australien und Südamerika, so die Erklärung des Veterinärmediziners auf der offiziellen Homepage des Projekts, das während der Pandemie Anfang 2020 laufend geupdatet wurde. Vor COVID-19 waren die bekanntesten zoonosischen Pandemien das Zikavirus, SARS, das Westnilfieber, die Pest und Ebola.

Mit Maske und Handschuhen ausgestattet winkt Francesco einen schwarzen Laster an den Straßenrand. Es ist Juli 2020, und nachdem der Lockdown für eine kurze Zeit kaum illegale Tiertransporte zugelassen hat, sind die Grenzen am Dreiländereck nun wieder offen. Seit seiner Projektschulung weiß der Zollpolizist nun genau, wie man kranke Tiere erkennt, wie er sich und seine Kollegen bei der Arbeit schützen kann und kennt die rechtlichen Grundlagen. Denn im Bio-crime Centre arbeiten die Experten nun zusammen: Es ist das erste Veterinary Medical Intelligence and Research Centre das in Europa etabliert wurde. 

Autorin: Anastasia Lopez

Dieser Beitrag wurde von der Option-Community erstellt. Mach mit und poste Deine Meldung!

ZUM BEITRAG AUF OPTION ÖSTERREICH


Geschrieben von Anastasia Lopez

Anastasia Lopez ist trimediale Nachrichtenjournalistin. Die Römerin hat in Wien, Berlin, Köln, Linz, Rom und London gelebt, studiert und gearbeitet.
Sie war als "On Air"-Reporterin und Digitaljournalistin bei Hitradio Ö3 und beim „ZiB“-Magazin (ORF1) tätig. 2020 zählte sie zu den "30 besten unter 30" (Der österreichische Journalist) und hat in Brüssel den europäischen Journalismusaward "Megalizzi-Niedzielski-Preis" für ihre Arbeit gewonnen.

https://www.anastasialopez.com/
https://anastasialopez.journoportfolio.com/

Schreibe einen Kommentar