Slogans in klingendstem Dialekt, Bilder von zufriedenen Kühen, die satte Gräser auf idyllischen Almwiesen mampfen – rund um Lebensmittel erzählen uns Werbeprofis gerne die Geschichte von bäuerlicher Ländlichkeit, romantisch inszeniert. Lebensmittelhandel und Hersteller rücken den regionalen Ursprung ihrer Produkte allzu gerne in den Vordergrund. Die Konsumentinnen greifen zu.
„Zahlreiche Studien belegen eine große Zunahme am Interesse an regionalen Lebensmitteln und sprechen von einem Regionalitätstrend, der den Bio-Trend mittlerweile eingeholt haben soll“, schreibt Melissa Sarah Ragger bereits 2018 in ihrer Masterarbeit über die Kaufmotive für regionale Lebensmittel. Denn’s Biomarkt zitiert eine nicht näher genannte Umfrage aus dem Jahr 2019, die ergeben haben soll, „dass für die befragten Konsumentinnen Bio und Nachhaltigkeit eine geringere Rolle spielen als die österreichische Herkunft und Regionalität der Lebensmittel.“
Regionale Herkunft überbewertet
Kein Wunder: Lebensmittel aus der Region genießen das Image hoher Qualität und fairer Produktionsbedingungen für Mensch und Tier. Außerdem müssen sie nicht über den halben Globus transportiert werden. Genauso werden regionale Produkte vermarktet und entsprechend wahrgenommen. Aber: Sind Lebensmittel aus der Region wirklich so gut? 2007 hat die Agrarmarkt Austria (AMA) die CO2-Belastung einzelner Lebensmittel berechnet. Dabei waren Weintrauben aus Chile mit 7,5 kg CO2 pro Kilo Frucht die größten Klimasünder. Beim Apfel aus Südafrika waren es 263 Gramm, gegenüber dem steirischen Apfel mit 22 Gramm.
Eine weitere Berechnung aus dieser Studie zeigt allerdings auch, dass mit dem Griff zu regionalen Lebensmitteln insgesamt nur wenig CO2 eingespart werden kann. Würden alle Österreicher*innen die Hälfte ihres Essens durch regionale Produkte ersetzen, würden laut AMA 580.000 Tonnen CO2 eingespart. Das sind pro Kopf nur 0,07 Tonnen pro Jahr – bei einem Durchschnittsausstoß von elf Tonnen sind das gerade einmal magere 0,6 Prozent des jährlichen Gesamtausstoßes.
Regional ist nicht Bio
Ein wichtiger Faktor, der nicht gerne kommuniziert wird: regional ist nicht Bio. Während „Bio“ offiziell geregelt ist und die Voraussetzungen für Bioprodukte genau festgehalten sind, ist der Begriff „regional“ weder geschützt noch definiert oder standardisiert. So greifen wir oft zu vermeintlich nachhaltigen Produkten vom Bauern im Nachbarort. Dass dieser Bauer aber konventionelle Landwirtschaft – vielleicht gar mit weiterhin in Österreich erlaubten umweltschädigenden Spritzmittel – betreibt, ist uns oft nicht klar.
Das Beispiel Tomaten zeigt den Unterschied: Beim konventionellen Anbau kommt Mineraldünger zum Einsatz. Allein die Herstellung dieser Düngemittel verbraucht so viel Energie, dass Bio-Tomaten aus Sizilien laut Expertinnen mitunter die bessere CO2-Bilanz aufweisen als jene aus konventioneller Landwirtschaft, die im Kleintransporter innerhalb der Region verfrachtet werden. Insbesondere, wenn in Mitteleuropa in beheizten Gewächshäusern angebaut wird, schießt der CO2-Verbrauch in der Regel um ein Vielfaches in die Höhe. Als Konsumentin muss aber auch individuell abgewogen werden. Wer zum Einkaufen beim Hofladen extra mit dem eigenen fossil betriebenen Auto mehr als 30 Kilometer zurücklegt, wirft eine gute Klimabilanz generell über den Haufen.
Wirtschaftsförderung statt Umweltschutz
Trotz all dieser Aspekte fördern öffentliche Stellen den regionalen Bezug von Lebensmitteln. In Österreich wurde zum Beispiel vor einigen Jahren die Vermarktungsinitiative „GenussRegion Österreich“ vom Lebensministerium in Kooperation mit AMA initiiert. Damit ein Produkt das Label „GenussRegion Österreich“ tragen darf, muss der Rohstoff aus der jeweiligen Region stammen und in der Region hochwertig verarbeitet werden. Ob das Produkt aus konventioneller oder aus biologischer Landwirtschaft stammt, war nie Kriterium. Immerhin konnte Greenpeace aber 2018 das Gütezeichen „GenussRegion Österreich“ von „bedingt vertrauenswürdig“ auf „vertrauenswürdig“ hochstufen. Damals wurde bekanntgegeben, dass Träger des Labels bis zum Jahr 2020 komplett auf Gentechnik-Futtermittel zu verzichten haben und ausschließlich regionale Futtermittel einsetzen dürfen.
Auf europäischer Ebene ist die Zertifizierung von Produkten mit „geschützter geographischer Angabe“ und „geschützter Ursprungsbezeichnung“ von Bedeutung. Dabei steht jedoch der Schutz von Spezialitäten durch die Verknüpfung zwischen Produktqualität und einem namensgebenden Herkunftsort oder Herkunftsgebiet im Vordergrund. Die Idee einer Lebensmittelversorgung der kurzen Wege sei dabei nicht einmal zweitrangig ausschlaggebend, meinen manche Kritiker*innen.
Das Klima kennt keine Grenzen
Bei aller Heimatliebe ist eines klar: der Klimawandel kennt keine Grenzen. Last but not least ist also auch zu bedenken, dass der Konsum importierter Biolebensmittel immerhin den Bioanbau vor Ort stärkt – am besten in Kombination mit dem Fairtrade-Siegel. Während in Österreich für Biobetriebe zumindest gewisse Anreize geschaffen beziehungsweise Unterstützung geboten wird, müssen gerade in Schwellenländern engagierte Bio-Unternehmer*innen erst Pionierarbeit leisten.
Unhinterfragt zum Produkt aus der Region zu greifen, kann also durchaus kontraproduktiv sein. Die Marketingabteilung von denn’s Biomarkt formuliert es entsprechend der vorherrschenden Lehrmeinung so: „Zusammenfassend kann man sagen, dass Regionalität allein im Gegensatz zu Bio kein Nachhaltigkeitskonzept ist. Allerdings könnte sich die regionale Lebensmittelproduktion gemeinsam mit der biologischen Landwirtschaft als starkes Duo positionieren. Als Entscheidungshilfe beim Lebensmitteleinkauf kann man darum Folgendes festhalten: Bio, saisonal, regional – und zwar am besten auch in dieser Reihenfolge.“
REGIONAL IN ZAHLEN
Über 70 Prozent der Befragten kaufen mehrmals im Monat regionale Lebensmittel. Fast die Hälfte gab an, sogar bei ihrem wöchentlichen Lebensmitteleinkauf auf regionale Lebensmittel zurückzugreifen. Dabei nimmt Österreich die Vorreiterrolle mit ca. 60 Prozent ein. Deutschland folgt mit etwa 47 Prozent und die Schweiz mit rund 41 Prozent. 34 Prozent der Befragten verbinden mit dem Konsum von regionalen Lebensmitteln Engagement für den Umweltschutz, wozu auch kürzere Transportwege gezählt werden. 47 Prozent erwartet von einem regionalen Produkt, dass es maximal auf 100 Kilometer entfernten Bauernhöfen produziert worden ist. Bei einer Entfernung von 200 Kilometern fällt die Zustimmung der Befragten mit 16 Prozent weit niedriger aus. Lediglich 15 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten messen der Frage, ob die Produkte aus einer biologischen Landwirtschaft stammen, Bedeutung bei.
(Quelle: Studien von A.T. KEARNEY 2013, 2014; zitiert in: Melissa Sarah Ragger: „Regional vor Bio?“)
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