Das chinesische Wort „weiji“ heißt übersetzt Krise und besteht aus den zwei Schriftzeichen für „Gefahr“ („wei“) und „Chance“ („ji“).
Die Corona-Pandemie ist noch nicht überstanden. Wann unser gewohnter Alltag wieder einkehren wird und ob überhaupt ist offen. Zweifelsfrei steht die Welt vor vielen offenen Fragen. Klar ist nur: Die Welt steckt in der Krise.
Laut Umfrage des Österreichischen Gallup Instituts befürchtet jeder zweite Österreicherin (49 Prozent) infolge der Krise langfristige wirtschaftliche Nachteile für sich. Auch global werden die Auswirkungen enorm sein. Klar ist aber auch: die Krise gibt uns Gelegenheit zum Überdenken, Umdenken und Neudenken. Es braucht neue Strategien und Lösungen für fast jeden Bereich unseres Lebens. Vom privatesten Event und persönlichen Gewohnheiten bis zum Arbeitsplatz nimmt die Krise Einzug in unser Leben. Deshalb sind auch viele Expertinnen sicher, dass die Corona Pandemie langfristige Auswirkungen auf die Gesellschaft und auf individuelle Verhaltensgewohnheiten haben wird.
Zwar sagt etwa der Soziologe Manfred Prisching gegenüber ORF.at, dass die Post-Corona-Gesellschaft „im Großen und Ganzen ziemlich ähnlich aussehen“ werde wie die Gesellschaft vor der Krise, die Geschäftsführerin des österreichischen Gallup Instituts, Andrea Fronaschütz ist allerdings im Juni 2020 überzeugt: „Die Corona-Krise ist dabei, das Wertesystem unserer Gesellschaft grundlegend zu verändern.“ Das Gallup Institut hat nach Ausbrechen des Virus (Mitte Mai) Österreicherinnen nach ihren Prioritäten befragt. Es zeigt sich: 70 Prozent benennen Arbeitslosigkeit und Gesundheit als die Themen, die in der Krise am stärksten an Bedeutung gewonnen haben. Mehr als 50 Prozent sehen Regionalität im Aufwind. So scheinen nicht zuletzt die Hamsterkäufe im Frühjahr das Thema Versorgungssicherheit in die Köpfe der Menschen gerückt zu haben. „Bewusster, maßvoller und nachhaltiger Konsum heißt das neue Leitbild. Acht von zehn Konsumenten beabsichtigen, stärker auf regionale Herkunft der gekauften Produkte zu achten. Für zwei Drittel spielen Nachhaltigkeit und Qualität eine größere Rolle, neun von zehn wollen auf den Kauf von Prestige- und Luxusmarken verzichten“, führt Fronaschütz aus. Auch Sebastian Theising-Matei von Greenpeace bestätigt das: „Viele Menschen in Österreich wollen sich seit der Corona-Krise gesünder und regionaler ernähren“, sagt er.
Krise als Chance für Neugestaltung?
Die Corona-Krise kann eine Chance sein. „Der Lockdown gab vielen von uns die Möglichkeit, inne zu halten und zu reflektieren. Ich sehe die Krise als Notbremse. Unsere Erde hat die Nase voll. Sie braucht Heilung. Wir haben alle so gelebt, als hätten wir noch zehn weitere Planeten zur Verfügung. Die Krise hat jedoch auch deutlich gemacht, dass rigorose Veränderung innerhalb kürzester Zeit möglich ist. Innerhalb weniger Tage wurden Grenzen und Geschäfte flächendeckend geschlossen und neue Verhaltensregeln eingeführt. Das zeigt, dass die Politik durchaus schnell und entschlossen handeln kann, wenn es sein muss. Für Bewegungen, wie zum Beispiel Fridays for Future, ist das DIE Chance für Neugestaltung“, sagt Astrid Luger, Geschäftsführerin des Naturkosmetik-Unternehmens CULUMNATURA. Und Fronaschütz meint: „Die Coronakrise hat die größere Zäsur im Konsumentenverhalten ausgelöst als die Finanzkrise. Jetzt wird nämlich die Globalisierung als Wirtschaftsmodell in Frage gestellt, die Mobilität rückt in den Hintergrund. In unseren Umfragen im Jahr 2009 zählten sowohl Globalisierung als auch Mobilität noch zu den Zukunftsthemen.“
Es scheint kein Stein auf dem anderen zu bleiben. Ende April reagierte zum Beispiel Brüssel auf die Abstandsregeln mit der Umwandlung der gesamten Innenstadt in eine Begegnungszone, damit Fußgänger und Radfahrer mehr Platz haben und die Abstände einhalten können. Auf 460 Hektar dürfen in Brüssel Autos, Busse und Straßenbahnen während der Krise nicht schneller fahren als 20 km/h und Fußgänger die Straße nützen. Zwar hat man diese Maßnahme vorerst zeitlich begrenzt bis wieder Normalität einkehrt, Brüssels Bevölkerung hat damit aber die großartige Möglichkeit, dieses Konzept zumindest zu testen. So sammeln wir durch Corona neue Erfahrungswerte, die noch vor Kurzem undenkbar zu sein schienen.
Offen für Ideen und Innovation
Ökonomisch wird die Krise wohl enorme Verluste bringen. Für viele Unternehmen sind die Maßnahmen existenzbedrohend. „Klar sichtbar ist jedoch, dass der Lockdown einige Branchen gestärkt hat. Neben naheliegenden wie Maskenproduktion und Desinfektionsmittel sind das auch Videospiele, der Versandhandel und natürlich Kommunikationssoftware. Andere Bereiche wie Restaurants und viele Dienstleistungen kämpfen mit einem Totalausfall“, erläutert Nikolaus Franke, Leiter des Instituts für Entrepreneurship & Innovation. Unternehmerinnen und Unternehmer müssen nun flexibel reagieren und individuelle Lösungen entwickeln. Astrid Luger berichtet aus der Praxis: „Wir waren zum Glück sehr gut für die Umstellung auf Homeoffice gerüstet und haben den Lockdown vergleichsweise gut überstanden. Danach ging das Geschäft explosionsartig wieder los. Die Krise und der Lockdown haben uns gezeigt, wie richtig wir mit unserer Philosophie liegen, unsere Produkte nicht über den Handel oder online zu verkaufen, sondern ausschließlich über die NATURfriseure. Das hat vielen ihre Existenz gerettet, da sie trotz geschlossenem Salon durch Abholservice die Produkte verkaufen konnten.“ Für viele kleinere Händler*innen bedeutet wiederum die Einrichtung eines Onlineshops die Rettung. So werden wir laut Prognosen durch Corona einen großen Digitalisierungsschub erfahren. Luger: „Jetzt ist es wichtig in die Zuversicht zu gehen und neuen Ideen und Entwicklungen offen zu begegnen.“
Greenpeace-Umfrage: Für grünen Wiederaufbau
84 Prozent der Befragten machen klar, dass zum Wiederaufbau der Wirtschaft eingesetztes Steuergeld immer auch dazu beitragen soll, die Klimakrise zu bekämpfen.
Für drei Viertel der Befragten ist klar, dass Hilfspakete vorrangig an Unternehmen gehen sollen, die in ihrem Bereich zur Verringerung des CO2-Ausstoßes beitragen.
Dabei zeigt sich, dass die österreichische Bevölkerung in Krisenzeiten von der Regierung nicht nur ökologische, sondern auch soziale Lösungen fordert: Null Toleranz zeigten die Befragten für Unternehmen, die Hilfszahlungen vom Staat erhalten und sich nicht an faire Arbeitsrahmenbedingungen halten. 90 Prozent halten das für ein No-Go.