Bizarre Video-Trends: Bis zu 101 Millionen Aufrufe bei einem Video bei Youtube, das ist schon was und bringt bares Geld durch Werbung. Doch was in den Filmchen zu sehen ist, scheint unspektakulär und vor allem seltsam: Leute essen süßes Gelee, oder auf englisch Jelly. Die attraktive Blondine „HunniBee“ hat das Konzept „verfeinert“ und verschlingt das Gummizeug mit glänzend roten Lippen und unterschwelliger Sexualität. Hat etwas von Fellatio. Ob das erklärt, warum bis zu 20 Millionen Menschen ihre Trend-Videos sehen und ihr Kanal von fünf Millionen abonniert wurde?
Bis zu 18 Millionen Zuseher hat „Sac dep spa“, ein Spa in Vietnam, das mit Pickel-Behandlungsvideos Begeisterung auslöst. Denn: Auch „acne treatment“ ist ein Special für moderne Youtube-Voyeure. Stundenlang können manche zusehen.
Bizarre Video-Trends: Phänomen „oddly satisfying”
Als „oddly satisfying” oder zu Deutsch „seltsam befriedigend“ wird dieses Genre von Videos bezeichnet. Ein Phänomen, das es vor dem Internet-Zeitalter noch nicht gab. Ein Begriff, um die unerklärlich erfreuliche Qualität zu beschreiben, die das Betrachten einer alltäglichen Betätigung hervorrufen kann. „Seltsamerweise befriedigende“ Videos umfassen alles, von der Beobachtung der Säuberung von Gehsteigen durch Hochdruckreiniger bis hin zum Glasieren von Kuchen oder Industriemaschinen, die durch Eis schneiden. Ein Beispiel einer seltsam befriedigenden Handlung: einen zerknitterten Papierball werfen und beim ersten Mal den Mülleimer treffen. Und dann immer wieder und immer wieder – im Video eben dann als Zusammenstellung.
Bizarre Video-Trends: Kunst?
Heutzutage müssen wir nicht erklären können, warum wir etwas mögen, damit es existiert, sagt Kevin Allocca, Leiter der Abteilung „Trends und Kultur“ bei YouTube und Autor von Videocracy: „Ich weiß nicht, ob es unbedingt eine Sache ist, die mit diesem Moment verbunden ist. Ich denke, wir hatten schon immer den Wunsch, solche Dinge zu sehen, aber wir hatten einfach keine Sprache dafür. Jetzt schon.“ Eventuell läuft es auf Kongruenz hinaus? Die neuen bizarren Video-Trends haben (abgesehen von grellen Farben und übermäßigen Glitzern) eine bewusste Nachbildung visuell kongruenter Elemente gemeinsam, die keinen anderen Nutzen haben, als die Zuschauer zufrieden zu stellen. Allocca: „Kongruenz in visuellen Reizen zu finden, scheint der Wert dabei zu sein. Ich denke, die Leute beginnen zu verstehen, dass es eine Kunst ist, Dinge zu schaffen, die seltsamerweise befriedigend sind.”
Mikrotherapie
Das Publikum scheint zudem die Videos als eine Art Mikrotherapie anzusehen. Dr. Anita Deák, ein Psychologieprofessor an der Universität von Pécs, glaubt, dass einer der Gründe, warum die Zuseher Entspannung empfinden, in der sogenannten Spiegelneuronentheorie liegt. „Spiegelneuronen sind Motoneuronen im Gehirn, die aktiv werden, wenn wir jemanden sehen, der eine Aktion ausführt“, sagt sie. „Aber diese Neuronen sind auch aktiv, wenn wir die Aktion ausführen.“ Im Wesentlichen haben die Zuschauer Freude an diesen Videos, als würden sie die Aktion tatsächlich selbst durchführen. Zusehen ist dann halt doch praktischer. Und, der wahrscheinlich wesentlichste Aspekt: Die bizarren Video-Trends sorgen in einer komplexen, turbulenten Zeit für den Anschein einer heilen Welt.
Foto/Video: HunniBee.