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Der Mythos vom „Grünen Wachstum“


Von Martin Auer

Vor 50 Jahren erschien das bahnbrechende Buch „Die Grenzen des Wachstums“, in Auftrag gegeben vom Club of Rome, erstellt am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Hauptautor*innen waren Donella und Dennis Meadows. Ihre Untersuchung beruhte auf einer Computersimulation, in der der Zusammenhang zwischen fünf globalen Tendenzen nachgebildet wurde: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Unterernährung, Ausbeutung von Rohstoffreserven und Zerstörung von Lebensraum. Das Ergebnis war: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“1

Das Buch, so Donella Meadows, „wurde nicht geschrieben, um den Untergang zu prophezeien, sondern die Menschen herauszufordern, Lebensweisen zu finden, die mit den Gesetzen des Planeten in Übereinstimmung stehen“2

Obwohl zwar heute große Einigkeit darüber besteht, dass menschliche Aktivitäten unumkehrbare Auswirkungen auf die Umwelt haben, wie die Zeitschrift Nature in ihrer jüngsten Ausgabe schreibt3, sind sich Forscher*innen über Lösungswege uneinig, vor allem über die Frage, ob es notwendig ist, das wirtschaftliche Wachstum zu begrenzen, oder ob „grünes Wachstum“ möglich ist.

Unter „grünem Wachstum“ versteht man, dass die Wirtschaftsleistung wächst, während der Verbrauch an Ressourcen abnimmt. Mit Ressourcenverberbrauch kann der Verbrauch von fossilen Brennstoffen gemeint sein oder der Verbrauch von Energie im allgemeinen oder der Verbrauch von bestimmten Rohstoffen. Von größter Bedeutung sind natürlich der Verbrauch des verbleibende CO2-Budgets, der Verbrauch von Boden, der Verlust von Biodiversität, der Verbrauch von sauberem Wasser, die Überdüngung der Böden und Gewässer mit Stickstoff und Phosphor, die Versauerung der Ozeane und die Verschmutzung der Umwelt mit Plastik und anderen chemischen Produkten.

Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch

Wesentlich für die Diskussion ist der Begriff der „Entkopplung“ des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch. Wenn der Verbrauch an Ressourcen im gleichen Maß zunimmt wie die Wirtschaftsleistung, sind Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch gekoppelt. Wenn der Verbrauch an Ressourcen langsamer zunimmt als die Wirtschaftsleistung, spricht man von „relativer Entkopplung“. Nur wenn der Verbrauch an Ressourcen abnimmt, während die Wirtschaftsleistung zunimmt, kann man von „absoluter Entkopplung“ sprechen, und erst dann kann auch von „grünem Wachstum“ die Rede sein. Aber nur wenn der Verbrauch an Ressourcen in dem Maß abnimmt, das notwendig ist, um die Klima- und Biodiversitätsziele zu erreichen, ist es laut Johan Rockström vom Stockhom Resilience Centre gerechtfertigt, von „echtem grünem Wachstum4 zu sprechen.

Rockström, der das Konzept der planetaren Grenzen5 mit entwickelt hat, vertritt die Ansicht, dass nationale Wirtschaften wachsen können, während ihre Treibhausgasemissionen sinken. Da seine Stimme international großes Gewicht, hat, gehen wir hier ausführlich auf seine These ein. Er beruft sich dabei auf Erfolge der nordischen Staaten bei der Senkung ihrer Treibhausgas-Emissionen. In einem gemeinsam mit Per Espen Stoknes verfassten Artikel6 von 2018 entwickelt er eine Definition von „echtem grünen Wachstum“. Rockström und Stoknes beziehen sich in ihrem Modell nur auf den Klimawandel, weil es dafür bekannte Maßzahlen gibt. Es geht also im konkreten Fall um das Verhältnis von CO2-Emissionen zur Wertschöpfung. Damit die Emissionen sinken können, während gleichzeitig die Wertschöpfung steigt, muss sich die Wertschöpfung pro Tonne CO2 erhöhen. Die Autoren gehen davon aus, dass eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes ab 2015 um jährlich 2% notwendig ist, um das Ziel einer Erwärmung von unter 2°C zu erreichen. Weiter gehen sie von einer durchschnittlichen Zunahme der weltweiten Wirtschaftsleistung (des globalen GDP oder gross domestic product) um jährlich 3% aus. Daraus leiten sie ab, dass die Wertschöpfung pro Tonne CO2-Emissionen jährlich um 5% pro Jahr wachsen muss, damit „echtes grünes Wachstum“ gegeben ist7. Diese 5% bezeichnen sie als minimale und optimistische Annahme.

Im nächsten Schritt untersuchen sie, ob eine solche Zunahme der Kohlenstoffproduktivität (also der Wertschöpfung pro CO2-Emissionen) tatsächlich irgendwo erreicht worden ist, und stellen fest, dass Schweden, Finnland und Dänemark im Zeitraum von 2003 bis 2014 tatsächlich eine jährliche Steigerung der Kohlenstoffproduktivität um 5,7%, 5,5% 5,0% erreicht hätten. Daraus ziehen sie den Schluss, dass „echtes grünes Wachstum“ möglich und empirisch feststellbar ist. Diese Möglichkeit einer Win-win-Situation, die sowohl Klimaschutz als auch Wachstum ermöglicht, erachten sie als wichtig für die politische Akzeptanz von Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Tatsächlich ist „grünes Wachstum“ eine Zielvorgabe für viele politische Entscheidungsträger*innen in der EU, der UNO und auf der ganzen Welt.

In einer Studie von 20218 gehen Tilsted et al. auf den Beitrag von Stoknes und Rockström ausführlich ein. Sie kritisieren vor allem, dass Stoknes und Rockström produktionsbasierte territoriale Emissionen herangezogen haben, also Emissionen, die jeweils im Land selbst erzeugt werden. In diesen Emissionen sind die Emissionen durch internationale Schiffahrt und Flugverkehr nicht enthalten. Bezieht man diese Emissionen in die Berechnung ein, so verändert sich zum Beispiel das Ergebnis für Dänemark beträchtlich. Maersk, das weltgrößte Containerschiff-Unternehmen, ist in Dänemark beheimatet. Da seine Wertschöpfung ins dänische GDP eingeht, müssen auch seine Emissionen einbezogen werden. Damit verschwindet aber der Fortschritt Dänemarks bei der Entwicklung der Kohlenstoffproduktivität fast vollständig und es zeigt sich fast keine absolute Entkopplung mehr.

Zieht man statt produktionsbasierten Emissionen die konsumbasierten heran, verändert sich das Bild noch stärker. Konsumbasierte Emissionen sind diejenigen, die durch die Herstellung der im Land verbrauchten Güter entstehen, unabhängig davon, in welchem Teil der Welt sie produziert werden. In dieser Berechnung bleiben alle nordischen Länder weit unter der für „echtes grünes Wachstum“ erforderlichen Steigerung der Kohlenstoffproduktivität von jährlich 5%.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Soknes und Rockström das 2°C-Ziel herangezogen haben. Da die Risiken bei einer Erwärmung um 2°C weitaus höher sind als bei 1,5°C, sollte dieses Ziel als Maßstab für eine ausreichende Reduzierung der Emissionen herangezogen werden.

Sieben Hindernisse für Grünes Wachstum

2019 veröffentlichte die NGO Europäisches Umweltbüro die Studie „Decoupling Debunked“9 („Entkopplung entlarvt“) von Timothée Parrique und sechs weiteren Wissenschaftler*innen. Im letzten Jahrzehnt, so stellen die Autor*innen fest, hat „Grünes Wachstum“ die ökonomischen Strategien in der UNO, der EU und zahlreichen anderen Ländern dominiert. Diese Strategien beruhen auf der falschen Annahme, dass eine ausreichende Entkopplung allein durch verbesserte Energieeffizienz erreicht werden könne, ohne die Produktion und den Konsum von Wirtschaftsgütern zu begrenzen. Es gibt keine empirischen Beweise dafür, dass irgendwo eine Entkopplung erreicht worden wäre, die ausreicht um den Zusammenbruch der Umwelt zu vermeiden, und es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass eine solche Entkopplung in der Zukunft möglich ist.

Die Autor*innen stellen fest, dass bestehende politische Strategien zur Verbesserung der Energieeffizienz unbedingt durch Maßnahmen in Richtung zur Suffizenz10 ergänzt werden müssen. Damit ist gemeint, dass Produktion und Konsum in den wohlhabenden Ländern auf ein ausreichendes, ein genügendes Maß heruntergeschraubt werden sollen, ein Maß, in dem ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen möglich ist.

In diesem Zusammenhang zitieren die Autor*innen die Studie „Global carbon inequality“ von Hubacek et al. (2017)11: Das erste der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) ist die Beseitigung der Armut. 2017 lebte die Hälfte der Menschheit von weniger als 3 USD am Tag. Diese Einkommensgruppe verursachte nur 15 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Ein Viertel der Menschheit lebte von ca. 3 bis 8 USD pro Tag und verursachte 23 Prozent der Emissionen. Ihr CO2-Fußabdruck pro Person war demnach ungefähr dreimal so hoch wie der der niedrigsten Einkommensgruppe. Wenn also die niedrigsten Einkommen bis 2050 auf die nächsthöhere Stufe angehoben werden sollen, würde das (bei gleichbleibender Energieeffizienz) alleine schon 66 Prozent des für das 2°C-Ziel zur Verfügung stehenden CO2-Budgets verbrauchen. Der CO2-Fußabdruck der obersten 10 Prozent mit mehr als 23 USD an Tag war mehr als zehnmal so hoch wie der der Ärmsten. (Siehe auch den Beitrag in Celsius: Die Reichen und das Klima.)

CO2-Fußabdruck nach Einkommensgruppen (global)
Eigene Grafik, Datenquelle: Hubacek et al. (2017): Global carbon inequality. In: Energ. Ecol. Environ. 2 (6), S. 361–369.

Daraus folgt laut dem Team um Parrique eine klare moralische Verpflichtung für die Länder, die bisher am meisten von der CO2-Verseuchung der Atmosphäre profitiert haben, ihre Emissionen radikal zu senken, um den Ländern des globalen Südens den notwendigen Spielraum für Entwicklung zu geben.

Im Detail halten die Autor*innen fest, dass sich ausreichende Entkopplung weder im Bereich des Materialverbrauchs, des Energieverbrauchs, des Bodenverbrauchs, des Wasserverbrauchs, noch der der Treibhausgasemissionen, der Wasserverschmutzung oder des Biodivrsitätsverlusts feststellen lässt. In den meisten Fällen ist die Entkopplung relativ. Wenn absolute Entkopplung vorliegt, dann nur über einen kurzen Zeitraum und örtlich begrenzt.

Die Autor*innen nennen eine Reihe von Gründe, die Entkopplung verhindern:

  1. Steigender Energieaufwand: Wenn eine bestimmte Ressource gewonnen wird (nicht nur fossile Brennstoffe, sondern z.B. auch Erze), so wird sie zuerst dort gewonnen, wo es mit den geringsten Kosten und dem geringsten Energieverbrauch möglich ist. Je mehr von der Ressource schon verbraucht ist, um so schwieriger, teurer und energieintensiver wird die Ausbeutung neuer Vorkommen, zum Beispiel Teersand und Ölschiefer. Auch die wertvollste Kohle Anthrazit ist schon fast aufgebraucht, und heute werden minderwertigere Kohlen abgebaut. 1930 wurden Kupfererze mit einer Kupferkonzentration von 1,8 % abgebaut, heute ist die Konzentration bei 0,5 %. Für die Gewinnung von Materialien muss heute dreimal soviel Materie bewegt werden als vor 100 Jahren. 1 kWh erneuerbarer Energie verbraucht 10 Mal soviel Metall wie eine kWh fossiler Energie.
  2. Rebound-Effekte: Verbesserungen der Energieeffizienz führen oft dazu, dass die Einsparungen anderswo teilweise oder zur Gänze kompensiert werden. Zum Beispiel, wenn ein sparsameres Auto öfter benützt wird oder wenn die Ersparnisse durch geringere Energiekosten in eine Flugreise investiert werden. Auch strukturelle Effekte gibt es. Zum Beispiel können sparsamere Verbrennungsmotoren dazu führen, dass das autolastige Verkehrssystem sich verfestigt und nachhaltigere Alternativen wie Rad- und Fußverkehr nicht zum Zug kommen. In der Industrie ist die Anschaffung effizienterer Maschinen ein Anreiz, die Produktion zu erhöhen.
  3. Problemverlagerung: Technische Lösungen eines Umweltproblems können neue Probleme schaffen oder bestehende verschärfen. Elektrische Privatautos steigern den Druck auf Lithium-, Kobalt- und Kupfervorkommen. Das kann die sozialen Probleme, die mit der Gewinnung dieser Rohstoffe verbunden sind, weiter verschärfen. Die Gewinnung seltener Erden verursacht schwere Umweltschäden. Biotreibstoffe oder Biomasse zur Energiegewinnung wirken sich negativ auf die Landnutzung aus. Wasserkraft kann zu Methan-Emissionen führen, wenn die Ansammlung von Schlamm hinter den Dämmen das Algenwachstum fördert. Ein krasses Beispiel für Problemverlagerung ist das folgende: Die Welt konnte das Wirtschaftswachstum von der Verschmutzung durch Pferdemist entkpopeln und vom Verbrauch von Walfett – doch nur, indem diese durch andere Arten von Naturverbrauch ersetzt wurden.
  4. Die Auswirkungen der Dienstleistungs-Wirtschaft werden oft unterschätzt: Die Dienstleistungswirtschaft kann nur auf der Basis der materiellen Wirtschaft existieren, nicht ohne sie. Immaterielle Produkte brauchen eine materielle Infrastruktur. Software braucht Hardware. Ein Massagesalon braucht einen geheizten Raum. Die Beschäftigten im Dienstleistungssektor bekommen Gehälter, die sie wieder für materielle Güter ausgeben. Werbeindustrie und Finanzdienstleistungen dienen dazu, den Verkauf materieller Güter anzukurbeln. Sicherlich können Yoga-Klubs, Paartherapeut*innen oder Kletterschulen weniger Druck auf die Umwelt erzeugen, doch auch das ist nicht zwingend. Informations- und Kommunikationsindustrie sind energieintensiv: Allein das Internet ist verantwortlich für 1,5 % bis 2 % des weltweiten Energieverbrauchs. Die Umwandlung zur Dienstleistungswirtschaft ist in den meisten OECD-Ländern schon so gut wie abgeschlossen. Und das sind gerade die Länder, die einen hohen konsumbasierten Fußabdruck haben.
  5. Das Potential von Recycling ist begrenzt: Derzeit sind die Recycling-Raten noch sehr niedrig uns sie erhöhen sich nur langsam. Recycling erfordert immer noch einen erheblichen Aufwand an Energie und neu gewonnenen Rohstoffen. Materialien. Materialien verschlechtern sich im Lauf der Zeit und müssen durch neu gewonnene ersetzt werden. Selbst beim für seinen modularen Aufbau hoch geschätzte Fairphone können im besten Fall 30 % der Materialien wiedergewonnen werden. Die seltenen Metalle, die für die Erzeugung und Speicherung erneuerbarer Energie notwendig sind, wurden 2011 nur zu 1 % recycelt. Es ist klar, dass auch das beste Recycling das Material nicht vermehren kann. Eine wachsende Wirtschaft kann nicht mit recyceltem Material auskommen. Das Material mit der besten Recycling-Rate ist Stahl. Bei einem jährlichen Wachstum des Stahlverbrauchs um 2 % werden die Eisenerzvorräte der Welt rund um das Jahr 2139 aufgebraucht sein. Die gegenwärtige Recycling-Rate von 62 % kann diesen Zeitpunkt um 12 Jahre hinausschieben. Kann die Recycling-Rate auf 90 % gesteigert werden, so bringt das nur weitere 7 Jahre12.
  6. Die technologischen Erneuerungen reichen nicht aus: Der technische Fortschritt zielt nicht auf die Produktionsfaktoren, die für ökologische Nachhaltigkeit wichtig sind und führt nicht zu Innovationen, die den Druck auf die Umwelt verringern. Er schafft es nicht, andere, unerwünschte Technologien zu ersetzen und ist auch nicht schnell genug, um ausreichende Entkopplung zu gewährleisten. Der größte Teil des technologischen Fortschritts zielt auf die Einsparung von Arbeit und Kapital ab. Genau dieser Prozess führt aber zum immer weiteren Anwachsen der Produktion. Bis jetzt haben erneuerbare Energiequellen nicht dazu geführt, den Verbrauch von fossiler Energie zu verringern, weil der Energieverbrauch insgesamt wächst. Die Erneuerbaren sind als nur zusätzliche Energiequellen.. Der Anteil der Kohle am globalen Energieverbrauch ist zwar prozentuell gesunken, doch der absolute Kohleverbrauch steigt bis heute an. In einer kapitalistischen, wachstumsorientierten Wirtschaft geschehen Innovatione vor allem dann, wenn sie Profit bringen. Daher kurbeln die meisten Innovationen das Wachstum an.
  7. Kostenverlagerung: Manches, was als Entkopplung bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit nur eine Verlagerung der Umweltschäden aus den Ländern mit hohem Konsum in Länder mit niedrigem Konsum. Zieht man den konsumbasierten ökologischen Fußabdruck in Betracht, so ergibt sich ein viel weniger rosiges Bild und die Zweifel an der Möglichkeit zukünftiger Entkopplung verstärken sich.

Die Autor*innen schließen damit, dass die Befürworter*innen des „Grünen Wachstums“ nichts oder wenig Überzeugendes zu den angeführten sieben Punkten zu sagen haben. Entscheidungsträger*innen müssen die Tatsache anerkennen, dass die Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise (die nur zwei von mehreren Umweltkrisen sind) es erforderlich macht, die wirtschaftliche Produktion und Konsumtion in den wohlhabendsten Ländern zu reduzieren. Das ist, betonen sie, keine abstrakte Erzählung. In den letzten Jahrzehnten haben sich soziale Bewegungen im globalen Norden um das Konzept der Suffizienz organisiert: Transition Towns, Degrowth-Bewegung, Ökodörfer, Slow Cities, solidarische Ökonomie, Gemeinwohlökonomie sind Beispiele. Was diese Bewegungen sagen, ist: Mehr ist nicht immer besser, und genug ist reichlich. Notwendig ist laut den Autor*innen der Studie nicht die Entkopplung des Wirtschaftswachstums von Umweltschäden, sondern die Entkopplung von Wohlstand und Gutem Leben vom Wirtschaftswachstum.

GESICHTET: Renate Christ
TITELBILD: Montage von Martin Auer, Fotos von Matthias Böckel und bluelightpictures via Pixabay)

Fußnoten:

1Club of Rome (2000): Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. 17. Aufl. Stuttgart: Dt. Verl.-Anst., S.17

2https://www.nature.com/articles/d41586-022-00723-1

3Ebenda

4Stoknes, Per Espen; Rockström, Johan (2018): Redefining green growth within planetary boundaries. In: Energy Research & Social Science 44, S. 41–49. DOI: 10.1016/j.erss.2018.04.030

5Rockström, Johan (2010): Planetary Boundaries. In: New Perspectives Quarterly 27 (1), S. 72–74. DOI: 10.1111/j.1540-5842.2010.01142.x.

6Ebenda.

7Wertschöpfung pro Einheit CO2 wird Kohlenstoffproduktivität genannt, englisch carbon productivity, abgekürzt CAPRO.
CAPRO = GDP/CO2 → GDP/CAPRO = CO2.. Setzt man für GDP 103 ein und für CAPRO 105, so ergibt sich für CO2 0,98095, also eine Abnahme um fast genau 2%.

8Tilsted, Joachim Peter; Bjørn, Anders; Majeau-Bettez, Guillaume; Lund, Jens Friis (2021): Accounting matters: Revisiting claims of decoupling and genuine green growth in Nordic countries. In: Ecological Economics 187, S. 1–9. DOI: 10.1016/j.ecolecon.2021.107101.

9Parrique T., Barth J., Briens F., C. Kerschner, Kraus-Polk A., Kuokkanen A., Spangenberg J.H (2019): Decoupling-Debunked. Evidence and arguments against green growth as a sole strategy for sustainability. Brussels: European Environmental Bureau.

10Von engl. Sufficent = genug.

11Hubacek, Klaus; Baiocchi, Giovanni; Feng, Kuishuang; Muñoz Castillo, Raúl; Sun, Laixiang; Xue, Jinjun (2017): Global carbon inequality. In: Energ. Ecol. Environ. 2 (6), S. 361–369. DOI: 10.1007/s40974-017-0072-9.

12Grosse, F; Mainguy, G. (2010): Is recycling “part of the solution”? The role of recycling in an expanding society and a world of finite resources. https://journals.openedition.org/sapiens/906#tocto1n2

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