Mit Digital Detox den Alltag vergessen – das ist der eigentliche Sinn von Urlaub. So einfach ist das freilich nicht, denn der erste Schritt zum Gelingen ist gleichzeitig der schwerste: Handy, Tablet & Co ausschalten und für einige Zeit auf Tauchstation gehen.
Die Ampel ist rot – das geht sich aus, die WhatsApp Antwort einzutippen. Der Film ist ein wenig langwierig – dann man schnell eine Runde facebooken, und sich in die Diskussion um den Kinderspielplatz einklinken. Die Schlange im Supermarkt ist lange – rasch eine Email getippt. Früher hat man in solchen Situationen einfach gewartet, heute muss man sich beschäftigen. Selbst wer noch analog aufgewachsen ist, kann sich diesem Trend kaum entziehen. Und was im Kleinen nicht klappt (das untätige Warten darauf, dass es in einer Minute weitergeht), das funktioniert im Großen dann überhaupt nicht mehr: das Abschalten mal für einen ganzen Tag (oder mehr) von allem. Es scheint so, als hätten wir die Muße verlernt, jene wertvolle Zeit, die man dem seligen Nichtstun widmet und die einem so unendlich gut tut, Stichwort Entspannung, Entschleunigung, Sich-selbst-wieder-finden.
Millionen Digital-Junkies
Digital Detox also. Smartphone, Tablet, Computer ausschalten und offline gehen. Klingt simpel, ist aber oft ein schier unüberwindbares Hindernis: 42 Prozent haben das schon mal probiert, wie eine repräsentative Umfrage Ende 2020 im Auftrag des Digitalverbands Bitkom unter rund tausend Befragten über 16 Jahre in Deutschland ergeben hat. Vier Prozent halten zumindest regelmäßig ein paar Stunden durch, zehn Prozent ein oder mehrere Tage – ganze 28 Prozent haben mittendrin aufgegeben. Das entspricht 29 Millionen Deutschen, die gerne ab und an auf digitale Medien verzichten möchten und 19 Millionen, die es nicht geschafft haben. Man kann davon ausgehen, dass die Zahlen in Österreich in der Relation vergleichbar sind.
Den Ausstieg proben
Man kennt das aus eigener Erfahrung: wie oft juckt der Finger, wenn es eigentlich gar keinen Grund dafür gibt, online zu sein. Es ist wie eine kleine Sucht, die schleichend immer größer wird. Der Urlaub wird zum Probelauf für die digitale Entgiftung – doch gerade der hält zusätzliche Hürden parat, ist das Smartphone doch als Fotoapparat, GPS-Wanderbegleiter und Restaurantkritiker gerade jenseits von Daheim scheinbar unabdingbar. So gerät der Verzicht auf die heiß geliebten digitalen Helferleins gerade im Urlaub zur Bewährungsprobe für die innere Widerstandskraft.
Es empfiehlt sich, bei einem Profi Rat zu suchen. So gibt etwa Monika Schmiderer aus Tirol, Digital Detox Expertin und Autorin des Buches „Switch Off“, individuelle digitale Entschlackung im Schlosshotel Fiss. „Die Bereitschaft, die digitalen Trampelpfade zu verlassen ist der erste Schritt. Das gelingt besonders gut in schöner Umgebung mit Raum zur Regeneration“, erklärt Schmiderer dieses Urlaubsangebot, „In Gesprächen biete ich kompetente Begleitung für Fragen und Emotionen, die aufkommen. Weiters setzen wir uns ehrlich mit der Frage ‚Warum bin ich zu viel online‘ – und wie kann ich dieses Warum künftig anders ausleben, auseinander.“ Dazu gibt’s praktische, alltagstaugliche, persönliche Tipps für einen nachhaltigeren Umgang mit den neuen Medien zurück im Alltag.
Die Reise aus dem Netz
Wer es auf eigene Faust probieren mag, hat beste Chancen bei einem mehrtägigen Trekking von Hütte zu Hütte in den Bergen – bei dem schlechten Empfang im Gebirge lässt man das Handy bald von alleine beiseite. Helfen beim Ablegen der digitalen Begleiter können auch Yoga- und Achtsamkeitsretreats oder Auszeiten im Kloster. Ganz zurück zu den Wurzeln geht es im Camp Breakout, dem Ferienlager für Erwachsene. Termine an zwei Locations in Norddeutschland gibt es jeden August und September, gewohnt wird in Mehrbettzimmern in Hütten oder im Zelt, das Tagesprogramm aus Spiel und Spaß, Musik und Kunst knüpft an unbeschwerte Kinderzeiten – so werden die zu Anfang der Woche abgegebenen Geräte nicht vermisst.
Die drei wichtigsten Campregeln: keine Handys, Tablets oder sonstige digitalen Geräte; jeder nimmt einen Campnamen an; es wird nicht über den Job gesprochen. Der Ursprung dieses Angebots liegt in Amerika, 2012/13 wurde in Kalifornien der Begriff Digital Detox geprägt und das erste Camp abgehalten.
Vom Biohotel bis Profi-Entwöhnung
Wem das zu erdig ist: Den passenden Rahmen fürs Abschalten bieten schöne Biohotels in traumhafter Umgebung mit passendem Wellnessangebot – allerdings wird die digitale Entgiftung so ganz ohne (professionelle) Hilfe vermutlich eher sehr schwer fallen, wenn das WLAN gar so perfekt funktioniert und ringsum alle aufs Display starren. Da kommt die Online-Plattform „digitaldetoxdestination.de“ ins Spiel, die ein kuratiertes Angebot aus 59 Häusern weltweit bietet.
Vom Kloster in den Bergen bis zum Strand-Bungalow, von preiswert bis luxuriös, darunter auch etliche schöne Biohotels wie Theiner’s Garten in Südtirol oder das Eco Camp Patagonia. Die ausgewählten Destinationen ermöglichen digitales Fasten für jedes Level. Ob Smartphone-Safe mit Timer-Funktion für Detox-Anfänger, Handyabgabe bei Check-In oder absolutes Funkloch für die Profis – je nachdem, wie viel Detox man braucht oder sich zutraut, helfen die Kategorien „Soft Detox“, „High Detox“ und „Black Hole“ bei der Suche nach dem richtigen Urlaubsziel. Aus Österreich ist das „Lebe Frei Hotel der Löwe“ in Leogang vertreten, das bei konsequenter Handyabstinenz zehn Prozent des Packagepreises bei der Abreise retourniert.
Alina und Agatha sind die Köpfe hinter diesem Angebot, wie kommt man auf diese spezielle Idee? Agatha Schütz: „In erster Linie durch unseren eigenen Wunsch nach einer Auszeit von der medialen Dauerberieselung. Wir sind tagtäglich einer großen digitalen Informationsflut ausgesetzt – beruflich und privat. Wir checken Online-News, Mails, Social Media, kommunizieren per WhatsApp etc., sind permanent auf diversen Apps unterwegs. Am Ende des Tages ist das eine unglaubliche Informationsüberflutung. Dieser Überfluss und der ständige Blick aufs Handy versetzen uns in einen Zustand permanenter Alarmbereitschaft. Auf Dauer macht das nicht nur unzufrieden, sondern schränkt die Konzentration und paradoxerweise auch die Produktivität ein.
Hinzu kam, dass die ständige Erreichbarkeit durch unsere Jobs in der Werbebranche zu unserem Alltag gehört. Auf eigene Faust ist uns die Handy-Abstinenz nicht wirklich gelungen. So kam uns die Idee zumindest im Urlaub darauf zu verzichten, um sich auf das analoge Dasein zurückzubesinnen und die Batterien wieder aufzuladen. Nach einer umfassenden Recherche stellten wir fest, dass es weltweit viele, wunderbare Digital Detox Unterkünfte gibt, aber bisher keine Plattform, die das unübersichtliche Angebot zusammenfasst. Gleichzeitig haben wir uns gedacht, dass diese Idee auch andere Leute begeistern könnte“.
Beide haben diese Form des Urlaubs natürlich selbst mehrfach ausprobiert, Alinas Erfahrung in Malaysia ist im Blog auf der Homepage nachzulesen. „Das ist natürlich ein Extrembeispiel, wer klein anfangen möchte, dem empfehlen wir ein Digital Detox Wochenende im Nahbereich, zwei Tage sind ein guter Einstieg um den digitalen Entzug auszuprobieren“, fasst Agatha ihre und die Erfahrungen ihrer Kunden zusammen, „Wir können definitiv sagen, dass die Umstellung gar nicht so einfach ist. Das Handy ist so präsent in unserem Alltag, dass wir erst bei Handy-Abstinenz merken, wie abhängig wir sind. Anfangs ist es seltsam, nicht ständig auf das Handy zu gucken. Man hat den Eindruck, dass etwas fehlt. Nach der kurzen Eingewöhnungsphase stellt sich aber in der Regel ein Gefühl der Entschleunigung und plötzlich merkt man, wie viel mehr Zeit man für die schönen Dinge des Lebens hat“.
7 Tipps für Digital Detox:
1 – Ausgeruht aufstehen
Wecker kaufen und das Smartphone aus dem Schlafzimmer verbannen – so entfällt der letzte Blick aufs Handy vorm Einschlafen, der sonst schnell mal ein einer Stunde rumsurfen, twittern, oder followen endet.
2 – Flug-/Nicht-Stören-Modus nutzen
Zwischendurch mal offline gehen – Uhr, Kalender, Kamera und (gespeicherte) Musik lassen sich trotzdem nutzen.
3 – Push-Nachrichten blockieren
Jede App versucht den Nutzer bei sich zu behalten – ein Tool dafür sind sogenannt Push-Nachrichten, die, von der App als wichtig eingestuft, urplötzlich am Handy aufpoppen und so schon wieder Aufmerksamkeit abziehen.
4 – Digital-Detox-Apps
Kurioserweise gibt es Apps, die helfen sollen, die Mediennutzung zu verringern. Quality Time, Menthal oder Offtime zeichnen auf, wie häufig der Nutzer sein Smartphone aktiviert und was er damit macht. Am Ende des Tages staunt man dann nicht schlecht, wenn man feststellt, wieder 4 Std. 52 Minuten am Handy online gewesen zu sein und 99 mal den Bildschirm entsperrt zu haben. Das schafft Bewusstsein.
5 – Offline-Zonen einführen
Zeitlich wie räumlich smartphone-freie Zonen definieren also z. B. zwischen 22 und sieben Uhr bzw. generell im Schlafzimmer oder am Esstisch.
6 – Analoge Alternativen suchen
Eine echte Armbanduhr, eine reale Taschenlampe, ein Stadtplan zum Angreifen, ein Buch mit Seiten zum Umblättern. Es gibt viele Dienste, die sich zurück in die analoge Welt auslagern lassen.
7 – Take your time
Man muss nicht immer gleich antworten – das darf man sich herausnehmen und auch den anderen zugestehen. Das nimmt viel Stress.
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