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Angst & Champagner – Kolumne von Mira Kolenc

Mira Kolenc

Als Halbwüchsige verkündete ich meinen Eltern gerne, dass ich einmal in einer Bank arbeiten wollen würde. Andere Eltern hätten vielleicht mit großer Freude reagiert, meine fanden es eher absurd. Nicht nur, weil mein Großvater selbst einmal ein Bankhaus besaß und all das verkörperte, wogegen die Wirtschaftswunder-Kinder später als junge Erwachsene rebellierten. Dass nun die eigenen Kinder Sympathien für die konservativen Großeltern und ihre Lebensansichten hegen könnten, war nicht das, wofür die Babyboomer gekämpft hatten. Man könnte natürlich auch sagen, dass wir, die Mitglieder der Generation Y, überhaupt nur mit unseren Großeltern so etwas wie rebellieren konnten. Aber nur ein klein wenig. Weil eigentlich fanden wir unsere Eltern auch in unserer Pubertät ziemlich cool und ein wirklicher Ausbruch war nicht notwendig.

Wir haben von unseren Eltern die Barbara Rütting-Rezepte im Gepäck und das Einkaufen in Bio-Supermärkten endlich zu einem vorzeigbaren Lifestyle gemacht, den man unbedingt auf Instagram teilen muss. Aber das selbstgebackene Brot und die eingekochte Marmelade der besten Freundin wird dann auf dem edlen Meissner Porzellan-Service der Großeltern serviert. Ob man da nun von einem neuen Biedermeier sprechen mag?

Heute fällt das Kopfschütteln über die jungen Leute, die früh heiraten oder überhaupt heiraten, nur noch sehr müde aus. Der Zeitgeist, in den man geboren wird und der jeden erfasst, ohne dass man wüsste, wie das eigentlich genau geht, hat uns den Blick zurück quasi in die Wiege gelegt. Will meinen: Wir haben von unseren Eltern die Barbara Rütting-Rezepte im Gepäck und das Einkaufen in Bio-Supermärkten endlich zu einem vorzeigbaren Lifestyle gemacht, den man unbedingt auf Instagram teilen muss. Aber das selbstgebackene Brot und die eingekochte Marmelade der besten Freundin wird dann auf dem edlen Meissner Porzellan-Service der Großeltern serviert. Die Servietten müssen zum Geschirr passen, das Silberbesteck poliert man jeden zweiten Samstag und fehlende Teile hofft man auf Etsy wiederzufinden. Ob man da nun von einem neuen Biedermeier sprechen mag?

Nach dem Besuch einer Ausstellung über die 1920er Jahre in der deutschen Hauptstadt kann man auf jeden Fall zur Ansicht gelangen, dass man heute – die neuen 20er Jahre stehen ja nicht nur zahlenmäßig wieder vor der Tür – von einem „Tanz auf dem Vulkan“ sprechen kann. Zumindest den Vulkan jedenfalls gibt es, aber das Bedürfnis nach ekstatisch durchtanzten Nächten ist, entgegen aller Berlin-Klischees, nicht ganz so dringlich wie es einmal gewesen zu sein scheint. So entnehmen wir zumindest den Hinterlassenschaften der Zeitzeugen. Es ist weniger der unstillbare Lebenshunger, der einem an jeder Straßenecke auflauert, als vielmehr die Angst vor dem Kontrollverlust über das eigene Leben und die empfundene Nichtigkeit eines jeden Strebens. Und so verspürt manch Einer heutzutage Vitalität nur mehr im Tod. Schafft Bedeutung, indem er dabei andere mitnimmt.

Aber wo waren wir noch einmal stehen geblieben? Genau, beim Meissner Porzellan. Wer also konnte schon ahnen, zumindest mein kindliches Gehirn konnte es noch nicht, dass das gepflegte Chaos eines Künstlerhaushalts die beste Vorbereitung auf das Leben war? Mit all seiner Unübersichtlichkeit und Unbeständigkeit. Sicherheit ist eine Illusion. So wie die Piemont-Kirsche eine raffinierte Marketing-Erfindung von Ferrero ist. Wenn man daran glaubt, ist es vielleicht erfüllend, man könnte aber auch böse erwachen. Wie singt Hildegard Knef so schön? „Illusionen sind das, was uns am Leben hält.“

Sagen wir mal so: Die Bank meines Opas wurde am Ende geschluckt. Und die Illusion eines sicheren Lebens ging stark auf Kosten der eigenen Freiheit. Was einen irgendwie wieder zurück zum Thema Hochzeit führt.

Jede Vorstellung von „Sicherheit“ ist eine ebenso relative Angelegenheit wie die Anstößigkeit beliebiger Körperteile.

Da fällt mir ein, die Flirttipps meiner Oma waren beim Finden eines Mannes nicht besonders hilfreich: „Mädchen im heiratsfähigen Alter müssen tanzen können“, bläute sie mir und meiner Cousine immer wieder ein.
Aber heute geht man eben weniger tanzen, als dass man sich den Kick in radikalen Gruppen holt, ob nun mit religiöser Garnitur oder ohne. Ein nacktes Frauenbein zumindest ist kein Skandal mehr – und jede Vorstellung von „Sicherheit“ eine ebenso relative Angelegenheit wie die Anstößigkeit beliebiger Körperteile. Auf also zum nächsten Vulkan, so lange sich der Weg noch findet. In diesem Sinne: Alles Walzer!

Geschrieben von Mira Kolenc

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