Gerade einmal 16 Prozent der EU-Bürger setzen noch Vertrauen in ihre politischen Parteien. Gleichzeitig genießt die Zivilgesellschaft ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Hat sie das Potenzial verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen und der Entfremdung der Bürger vom Staat entgegenzuwirken?
Die Wirtschaftskrise hat nicht nur dem Wirtschaftswachstum in Europa einen kräftigen Schlag versetzt. Sie markiert auch den Wendepunkt, an dem das Vertrauen der Europäer in die Institutionen der EU, ebenso wie in ihre nationalen Regierungen und Parlamente, massiv eingebrochen ist. Eine aktuelle Euro-Barometer-Umfrage zeigt, dass europaweit nur noch 16 Prozent der EU-Bürger ihren politischen Parteien vertrauen, während ihnen ganze 78 Prozent explizit nicht (ver)trauen. Österreich gehört dabei zu jenen Ländern, in denen das nationale Parlament und die Regierung noch vergleichsweise viel Vertrauen genießen (44 bzw. 42 Prozent). In jedem Fall mehr als in die Institutionen der EU (32 Prozent). EU-weit überwiegt hingegen die Mehrheit derer, die ihren nationalen Regierungen und Parlamenten sowie den Institutionen der EU ihr Vertrauen entzogen haben.
Vertrauen in politische Institutionen in Österreich und EU (in Prozent)
Die Folgen dieser Vertrauenskrise sind nicht unerheblich. Im vergangenen Jahr sind bei der Europawahl rechts-populitische, EU-kritische und fremdenfeindliche Parteien als Sieger hervorgegangen und der Alte Kontinent wurde von Massenprotesten übersät – nicht nur in Griechenland, Italien, Frankreich oder Spanien, sondern auch in Brüssel, Irland, Deutschland oder Österreich gingen die Menschen auf die Straße, weil sie sich von der Politik im Stich gelassen fühlen. Die Unzufriedenheit der Menschen mit ihren politischen Vertretern hat längst eine globale Dimension erreicht. Der CIVICUS State of Civil Society Report 2014 stellte etwa fest, dass im Jahr 2011 Menschen in 88 Ländern, also rund der Hälfte aller Staaten, an Massendemonstrationen teilnahmen. Angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise, hoher (Jugend)Arbeitslosigkeit, extremer Einkommens- und Vermögensungleichheit, gepaart mit schwachem Wirtschaftswachstum, ist zu erwarten dass sich die Polarisierung der Gesellschaft weiter zuspitzen wird. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass eine der größten Sorgen moderner Demokratien die Entfremdung der Bürger von politischen Prozessen ist. Und wenn sie es nicht ist, dann sollte sie es sein.
Es stellt sich die Frage, ob eine demokratische Stärkung der Zivilgesellschaft der Polarisierung der Gesellschaft und dem Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts etwas entgegensetzen kann. Hat sie das Potenzial, das Vertrauen der Bevölkerung wieder herzustellen und die Abkehr von demokratischen Werten, Menschrechten, sozialem Ausgleich und Toleranz aufzuhalten? Sie kann die Idee von Partizipation, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit wesentlich glaubhafter vertreten als der Staat und genießt etwas, das politischen Institutionen längst abhanden gekommen ist: das Vertrauen der Bevölkerung.
„Der Zivilgesellschaft wird konsequent mehr Vertrauen entgegengebracht als Regierungen, Wirtschaftsvertretern und Medien. Wir leben in einer Zeit, in der Vertrauen die wertvollste aller Währungen ist.“
Ingrid Srinath, Civicus
Laut einer repräsentativen Telefonumfrage des Marktforschunsginstituts market (2013) schreiben neun von zehn Befragten zivilgesellschaftlichen Organisationen in Österreich einen hohen Stellenwert zu und mehr als 50 Prozent der Österreicher sind der Meinung, dass ihre Bedeutung weiter zunehmen wird. Auf europäischer Ebene zeichnet sich ein ähnliches Bild: Eine Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2013 zur Einstellung der EU-Bürger zur partizipativen Demokratie ergab, dass 59 Prozent der Europäer der Meinung sind, dass Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ihre Interessen und Werte teilen würden. „Der Zivilgesellschaft wird konsequent mehr Vertrauen entgegengebracht als Regierungen, Wirtschaftsvertretern und Medien. Wir leben in einer Zeit, in der Vertrauen die wertvollste aller Währungen ist“ so Ingrid Srinath, ehemalige Generalsekretärin der weltweiten Alianz für bürgerliche Beteiligung CIVICUS.
Diesem Umstand wird vonseiten Internationaler Organisationen immer mehr Rechnung getragen. So schreibt etwa das World Economic Forum in seinem Bericht zur Zukunft der Zivilgesellschaft: „Bedeutung und Einfluss der Zivilgesellschaft nehmen zu und sollten gefördert werden um Vertrauen wieder herzustellen. […] Die Zivilgesellschaft sollte nicht mehr als „Dritter Sektor“ betrachtet werden, sondern als Klebstoff, der die öffentliche und die private Sphäre zusammenhält“. Das Ministerkomitee des Europarates hat in seiner Empfehlung „den wesentlichen Beitrag von Nichtregierungsorganisationen zur Entwicklung und Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten, insbesondere durch die Förderung des öffentlichen Bewusstseins, die Teilnahme am öffentlichen Leben und die Gewährleistung von Transparenz und Rechenschaftspflicht bei Behörden“ ebenfalls anerkannt. Auch der hochrangige europäische Beraterstab BEPA schreibt der Beteiligung der Zivilgesellschaft eine Schlüsselrolle für die Zukunft Europas zu: „Es geht nicht mehr darum die Bürger und die Zivilgesellschaft zu konsultieren oder mit ihnen zu diskutieren. Es geht heute darum Bürgern das Recht zu gewähren EU-Entscheidungen mitzugestalten, ihnen die Möglichkeit zu geben Politik und Staat zur Verantwortung zu ziehen.“ heißt es in einem Bericht zur Rolle der Zivilgesellschaft.
Und das politische Gewicht?
Viele österreichische NGOs bemühen sich redlich darum, an der politischen Entscheidungs- und Meinungsbildung teilzuhaben. „Wir sprechen mit unseren Themen direkt die betroffenen EntscheidungsträgerInnen in Verwaltung (Ministerien, Behörden) und Gesetzgebung (Nationalrat, Landtage) an, machen Probleme bewusst und liefern Lösungsvorschläge“, so etwa Thomas Mördinger vom ÖkoBüro, einer Allianz aus 16 Organisationen aus dem Bereich des Umwelt-, Natur- und Tierschutzes. Auch der WWF Österreich kontaktiert im Rahmen seiner Kampagnen die Parlamentsparteien, Ministerien, Behörden und politischen Vertreter auf Landes- und Gemeindeebene. Die Asylkoordination Österreich, ein Netzwerk von AusländerInnen- und Flüchtlingshilfsorganisationen, betreibt wiederum einen kontinuierlichen Austausch mit den politischen Parteien, sodass zum Beispiel parlamentarische Anfragen gestellt werden, die von der Asylkoordination angeregt oder gar ausgearbeitet werden.
„Auf formaler Ebene sind die Möglichkeiten zur Partizipation an der Gesetzgebung in Österreich sehr eingeschränkt.“
Thomas Mördinger, ÖkoBüro
Der Austausch zwischen der österreichischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft ist zwar ein reger, doch ist er durch ein hohes Maß an Willkür gekennzeichnet. Er findet lediglich auf informeller Basis statt und ist auf einige wenige Organisationen beschränkt. In den meisten Fällen geht die Initiative von den Vertretern der Zivilgesellschaft aus. Einen Einblick in die Praxis dieser Zusammenarbeit gibt Thomas Mördinger vom ÖkoBüro: „Die Ministerien führen eigene Listen, welche Organisationen zur Stellungnahme eingeladen werden. Doch die Begutachtungsfristen sind für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit einem Gesetzestext oft zu kurz oder so gelegt, dass sie klassische Urlaubszeiten beinhalten“. Die Vertreter der Zivilgesellschaft können in der Regel zwar Stellungnahmen abgeben, doch gibt es dafür keine verbindlichen Regeln. „Auf formaler Ebene sind die Möglichkeiten zur Partizipation an der Gesetzgebung in Österreich sehr eingeschränkt“, so Mördinger weiter. Dieses Defizit bestätigt auch Franz Neunteufl, Geschäftsführer der Interessenvertretung Gemeinnütziger Organisationen (IGO): „Der Dialog ist immer zufällig, punktuell und lange nicht so organisiert und systematisch wie gewünscht.“
„Der Dialog ist immer zufällig, punktuell und lange nicht so organisiert und systematisch wie gewünscht.“
Franz Neunteufl, Interessenvertretung Gemeinnütziger Organisationen (IGO)
Dabei ist der zivile Dialog schon längst internationaler Standard. So fordern zum Beispiel das Weißbuch Europäisches Regieren, die Aarhus Konvention, ebenso wie der Europarat eine strukturierte Einbindung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Gesetzwerdungsprozess. Gleichzeitig zeigen es internationale Gremien – ob UNO, G20, oder Europäischer Kommission – vor und beteiligen regelmäßig zivilgesellschaftliche Organisationen an offiziellen Konsultationsprozessen.
Zivilgesellschaft: Der Deal
Für Franz Neunteufl stellt der sogenannte „Compact“ das Vorzeigebeispiel einer formalisierten und verbindlichen Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Regierung dar. Dieser Compact ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Staat und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Zweck und Form ihrer Einbindung regeln. So fordert der Compact etwa von öffenlicher Seite Unabhängigkeit und Ziele zivilgesellschaftlicher Organisationen zu respektieren und zu wahren, sicherzustellen dass diese auf vernünftige und gerechte Weise mit Ressourcen ausgestattet werden und vom ehest möglichen Zeitpunkt an in die Entwicklung von politischen Programmen eingebunden werden. Von der Zivilgesellschaft wiederum fordert der Compact eine professionelle Organisation, eine solide Evidenz als Grundlage für ihre Lösungsvorschläge und Kampagnen, das systematische Eruieren und Vertreten der Standpunkte und Interessen ihrer Zielgruppe und nicht zuletzt Klarheit darüber wen sie vertreten und wen nicht.
Mit dem Abschluss des Compacts hat sich die britische Regierung dazu bekannt „den Menschen mehr Macht und Kontrolle über ihr Leben und ihre Kommune zu geben und soziales Engagement über staatliche Kontrolle und von oben verordnete Strategien zu stellen“. Sie sieht dabei ihre Rolle primär darin „einen kulturellen Wandel zu ermöglichen indem Macht vom Zentrum abgegeben und Transparenz erhöht werden“. So ist es nicht weiter verwunderlich dass England auch ein eigenes „Ministerium für Zivilgesellschaft“ besitzt.
Tatsächlich haben mittlerweile ungefähr die Hälfte aller EU-Mitgliedstaaten ein solches Dokument entwickelt und sind damit eine verbindliche Partnerschaft mit der Zivilgesellschaft eingegangen. Österreich ist leider nicht dabei.
NGO Österreich
Die Österreichische Zivilgesellschaft umfasst etwa 120.168 Vereine (2013) und eine nicht eruierbare Zahl an gemeinnützigen Stiftungen. Dem aktuellen Wirtschaftsbericht Österreich ist wiederum zu entnehmen, dass im Jahr 2010 5,2 Prozent aller in Österreich Erwerbstätigen über 15 Jahren im gemeinnützigen Sektor beschäftigt waren.
Auch die wirtschaftliche Bedeutung der Zivilgesellschaft darf nicht außer Acht gelassen werden. Zwar wird diese hierzulande noch immer nicht systematisch erfasst, doch immerhin nach den Regeln der Kunst geschätzt. So ergaben etwa Berechnungen der Wirtschaftsuniversität Wien und der Donauuniversität Krems, dass die Bruttowertschöpfung der österreichischen NGOs zwischen 5,9 und 10 Milliarden Euro pro Jahr beträgt. Das entspricht etwa 1,8 bis 3,0 Prozent des österreichischen Bruttoinlandsproduktes BIP.
Foto/Video: Shutterstock, Option Medien.
Seltsam, dass weder die „Initiative Zivilgesellschaft“ noch das leider still entschlafene „Austrian Social Forum“ erwähnt werden, die ja die größte Themenübergreifenden Plattformen wirklich unabhingeger NGOs darstellen. Die großen Spenden NGOs sind ja shcon mehr wie Unternehmen und bei den „gemeinnützigen Organisationen“ sind ja viele schon quasi im Staatssystem eingebunden bzw. parteinahe.
Was die reale Situation in Österreich betrifft ein leider sehr oberflächlicher Artikel.