„Wir beobachten in vielen Ländern, wohin schwammige Terrorismusgesetze führen können: KritikerInnen werden eingeschüchtert, mundtot gemacht oder eingesperrt.“
Annemarie Schlack , Amnesty Int.
2018 war an demokratischen Absonderlichkeiten bisher reichlich bestückt. Zu Jahresbeginn erstaunte die Regierung – mehr oder weniger – mit einer Neuauflage des „Sicherheitspaketes“ das im Vorjahr zu heftiger Kritik geführt hatte. Insgesamt wurden dazu 9.000 Stellungnahmen von Bürgern, NGOs und Behörden eingebracht – mehr als je zuvor für ein Gesetz. Das Kernstück dieser Gesetzesnovelle zur „wirkungsvollen Handhabe im Kampf gegen schwere Kriminalität und Terrorismus“, wie die Regierungsparteien es betonten, ist der Einsatz einer staatlichen Spionagesoftware (Bundestrojaner).
Der Staat hat also nun die Möglichkeit auf sämtliche Daten und Funktionen von Handys und Computern – etwa via WhatsApp, Skype, oder die persönliche „cloud“ – zuzugreifen. Wohlgemerkt bedarf dies einer Anordnung durch die Staatsanwaltschaft sowie eine gerichtliche Bewilligung. Nebenbei wurden bei dieser Gelegenheit auch gleich das Briefgeheimnis aufgeweicht, die (anlassbezogene) Vorratsdatenspeicherung eingeführt und die Video-Überwachung im öffentlichen Raum verstärkt. Die Opposition sowie zahlreiche NGOs sahen darin einen unverhältnismäßigen Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte, warnten vor Missbräuchen und sprachen von „Überwachungsstaat“.
Nicht minder befremdlich ist die aktuelle Verfassungsreform, wonach Gerichtsbezirke künftig vom Bund alleine per Verordnung festgelegt werden können. Bisher war für die Festlegung von Gerichtssprengeln die Zustimmung der Bundesländer und die Verabschiedung eines Bundesgesetzes erforderlich. Die österreichische Richtervereinigung sieht hinter dieser Änderung „einen massiven Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit (und Unversetzbarkeit) und damit auch in die Rechtsstaatlichkeit Österreichs“.
Auch die Medienfreiheit gibt kaum Anlass zur Sorglosigkeit. Abgesehen von einer beispiellosen Medienkonzentration und finanziell ausgehungerten Redaktionsteams war auch der ORF seit Jahresbeginn zahlreichen politischen Angriffen ausgesetzt. Das veranlasste immerhin 45.000 Menschen einen Appell des Vereins „aufstehen!“ zu unterzeichnen um gegen die politische Vereinnahmnung des ORF zu protestieren.
Die Migrationspolitik verdiente wahrlich ein eigenes Kapitel. Dennoch sei hier erwähnt dass der Nationalrat im Juli eine neuerliche Verschärfung des Fremdenrechts beschloss das der Polizei nun ermöglicht auf Mobiltelefone und Bargeld von Flüchtlingen zuzugreifen. Daneben wurden Beschwerdefristen verkürzt, Integrationshilfen für Deutschkurse gekürzt und die Rechtsberatung für Asylwerber verstaatlicht. Es handelt sich seit 2005 um die 17. Novellierung des Fremdenrechts.
Eine Zivilgesellschaft aus lauter Terroristen
Für kollektives Aufstoßen sorgte auch die geplante Streichung des Paragraphen 278c Abs.3 StGB. Es handelt sich um einen Paragraphen des Strafgesetzbuches der terroristische Aktivitäten eindeutig von zivilgesellschaftlichem Engagement für demokratische und rechtstaatliche Verhältnisse, sowie für Menschenrechte abgrenzt. Die Streichung hätte bewirkt dass etwa Demokratie- und Menschenrechtsaktivitsten gerichtlich als Terroristen eingestuft und auch bestraft werden könnten. Erfreulich ist an diesem Fall lediglich, dass die Regierung aufgrund des Widerstandes aus der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Opposition von der Streichung letztendlich Abstand nahm. Amnesty International Österreich zählt – neben mehr Demokratie!, Bündnis für Gemeinnützigkeit, Sozialwirtschaft Österreich und dem Ökobüro – zu jenen NGOs, die die geplante Strafrechtsreform mit Argusaugen mitverfolgten. Die Geschäftsführerin Annemarie Schlack erinnert in diesem Zusammenhang an die autokratischen Tendenzen in anderen Ländern: „Wir beobachten in vielen Ländern, wohin schwammige Terrorismusgesetze führen können: KritikerInnen werden eingeschüchtert, mundtot gemacht oder eingesperrt. Der Schutz von Menschenrechtsverteidigern in Österreich wäre so empfindlich geschwächt worden“.
Ein Blick gen Osten
Die Visegrad-Staaten zeigen uns deutlich vor, wohin eine autokratische und zentralistische Politik letztendlich führen kann. Der ungarische Premierminister Viktor Orban etwa führt einen dezidierten Feldzug gegen NGOs die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen und aus dem Ausland unterstützt werden. Nachdem ungarische NGOs im Vorjahr per Gesetz dazu verpflichtet wurden ihre ausländischen Spenden offenzulegen wurde heuer im Juni ein neues NGO-Gesetz verabschiedet wonach sie 25 Prozent dieser Mittel an den ungarischen Staat abführen müssen. Außerdem müssen sie sich in ihren Publikationen als „Organisation, die Unterstützung aus dem Ausland erhält“ ausweisen. Begründet werden diese sogenannten „Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung“ offiziell damit dass diese NGOs „Einwanderung organisieren“ und dadurch „die Zusammensetzung der ungarischen Bevölkerung auf Dauer verändern wollen“.
Auch in Polen setzt sich die Regierung oft und gerne über rechtsstaatliche Prinzipien und Menschenrechte hinweg und versucht gesetzlich gegen Meinungs- und Versammlungsfreiheit vorzugehen. Friedliche Demonstranten werden gerichtlich verfolgt und Nichtregierungsorganisationen schikaniert. Nach neun Regierungsjahren und einer absoluten Mehrheit in beiden Kammern hat die Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ihre Wählergunst jedoch scheinbar endgültig verspielt. Die Frustration über die Arroganz der Macht führte im Vorjahr zu einem Aufruhr innerhalb der Bevölkerung und einer dezidierten Aufbruchstimmung innerhalb der Zivilgesellschaft. Massive Proteste führten letztendlich zum Veto des Staatspräsidenten gegen zwei von drei demokratiefeindlichen Reformgesetzen. Während der Proteste entstanden zudem laufend neue Organisationen und demokratische Initiativen die sich auch in einer gemeinsamen Organisationsplattform vernetzten.
Die slowakische Zivilgesellschaft ist ebenfalls erwacht, nachdem im Februar 2018 der Journalist Jan Kuciak ermordet wurde. Er war gerade dabei ein korruptes Netzwerk aufzudecken in dem sich führende Vertreter der slowakische Wirtschaft, Politik und Justiz gegenseitig bedienten. Kaum jemand zweifelt daran, dass Kuciak wegen seiner Enthüllungen umgebracht wurde. Als Reaktion auf den Mord wurde das Land von einer noch nie dagewesenen Demonstrationswelle erfasst. Die bewirkte immerhin den Rücktritt des obersten Polizeichefs, des Premiers, des Innenministers und letztendlich auch seines Nachfolgers.
Angesichts dieser Probleme ist es nicht verwunderlich dass die Unzufriedenheit der Bevölkerungen der Visegrad-Staaten mit der Entwicklung ihrer Demokratie und ihrer politischen Situation EU-weit beispiellos ist. Eine internationale Untersuchung diagnostizierte den Ländern zudem ein „Syndrom der Hilflosigkeit“ das sich in der gesamten Gesellschaft breit macht. Ganze 74 Prozent der Bevölkerung sind demnach der Meinung, dass die Macht in ihrem Land ausschließlich in den Händen der Politiker liegt und der Durchschnittsbürger in diesem System vollkommen machtlos ist. Mehr als die Hälfte stimmte sogar der Aussage zu, dass es überhaupt sinnlos sei sich in das politische Geschehen einzumischen und nicht wenige haben sogar Angst ihre Meinung öffentlich kundzutun. Das vorherrschende Gefühl dass ihre Demokratien fragil oder gar verloren seien, lässt die Unterstützung für Demokratie weiter sinken und macht den Weg für Populismus und antidemokratische Politik frei, so die Autoren.
Während in Polen und Ungarn die Bevölkerung mit einer stärkeren Unterstützung für Demokratie reagiert, lässt sich in Tschechien und der Slowakei ein ebenso starker Appetit auf „den starken Mann“ feststellen. Dies ist auch in Österreich der Fall. Während hierzulande laut SORA Institut mittlerweile 43 Prozent der Bevölkerung einen „starken Mann“ als wünschenswert erachten, sind es in den Visegrad-Staaten lediglich 33 Prozent.
Die Autoren einer SORA-Studie zum Demokratiebewusstsein der Österreicher stellten zudem fest, dass während in Österreich die Unterstützung für Demokratie in den letzten zehn Jahren deutlich abgenommen hat, die Zustimmung zu einem „starken Führer“ und „law & order“ deutlich zugenommen haben. Ebenso verbreite sich innerhalb der österreichischen Bevölkerung eine allgemeine Unsicherheit und der Eindruck keine Mitsprache zu haben. Das Fazit der Autoren lautet: „Je höher die Unsicherheit desto häufiger der Wunsch nach einem „starkem Mann“ für Österreich.“
Terroristen, was nun?
Aus dieser Erkenntnis und der jahrelangen Beforschung des österreichischen Verhältnisses zur Demokratie heraus präsentierte der wissenschaftliche Leiter des SORA Instituts Günther Ogris sechs Thesen zur Stärkung der Demokratie in Österreich. Darin spielen Bildung, Geschichtsbewusstsein, die Qualität von politische Institutionen und Medien, soziale Gerechtigkeit, aber auch Respekt und Wertschätzung innerhalb der Bevölkerung eine Schlüsselrolle.
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INFO: Folgende sechs Thesen zur Stärkung der Demokratie zur Diskussion,
von Günther Ogris, www.sora.at
Bildungspolitik: Bildung spielt eine wichtige Rolle für die Demokratie. Die Schule kann politische Kompetenzen stärken, also die Kompetenzen sich zu informieren, zu diskutieren und mitzuwirken. Diese Funktion spielt in unterschiedliche Unterrichtsfächer hinein und sollte in den laufenden Bildungsreformen als Ziel gestärkt werden.
Geschichtsbewusstsein: Die Auseinandersetzung und Reflexion der eigenen Geschichte stärkt nachweislich eine demokratische politische Kultur, die Fähigkeit zum konstruktiven Umgang mit Konflikten und Differenzen. Dieses Potential kann genutzt werden, indem der Unterricht der Zeitgeschichte in allen Schulformen weiter gestärkt wird.
Politische Institutionen: Die politischen und politiknahen Institutionen müssen ihre Beziehungen zu den BürgerInnen laufend und immer wieder überprüfen: Wo ist es möglich und sinnvoll, Mitwirkung zu ermöglichen oder zu stärken, wo gilt es, dass eigene Image zu verbessern, wo kann Vertrauen (zurück) gewonnen werden?
Medien: Die Medien befinden sich gemeinsam mit dem politischen System in einer Vertrauenskrise. Zugleich hat die Art und Weise, wie Medien über Politik, Diskurs und Kompromisse sowie das Zusammenspiel der Institutionen berichten einen wesentlichen Einfluss auf die politische Kultur. Es gilt zu überprüfen und neue Wege zu finden, wie Medien sowohl ihre Kontrollfunktion wahrnehmen als auch die Grundlagen des Vertrauens in ihre Arbeit – die nur auf demokratischer Grundlage funktioniert – zu erneuern.
Die BürgerInnen: Politik ist anders als Unterhaltung oft kompliziert und anstrengend. Dennoch hängt es letztlich von den BürgerInnen und ihren Diskussionen ab, wie sich unsere Demokratie weiter entwickelt: das Zusammenspiel von Regierung und Opposition, die „checks und balances“, das Verhältnis von Gerichten und Exekutive, Medien und Politik, von Allmacht und Kompromiss.
Soziale Gerechtigkeit, Wertschätzung und Respekt: Kränkungen, vor allem durch zunehmende Ungerechtigkeit der Gesellschaft aber auch durch mangelnde Wertschätzung und Respekt, so zeigt die Forschung, haben eine starke negative Wirkung auf die politische Kultur. Jene BürgerInnen, die Demokratie unterstützen und stärken wollen, sind daher heute auch mit der Frage konfrontiert, wie soziale Gerechtigkeit, Wertschätzung und Respekt in der Gesellschaft gestärkt werden können.
Foto/Video: Shutterstock.