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Urheberrechtsrichtlinie – Wie gerecht wird das Internet?

1989 wurden am Genfer CERN die Grundlagen für das digitale Netzzeitalter geschaffen. Ende 1990 ging die erste Website online. Über 30 Jahre danach: Was bleibt von der anfänglichen digitalen Freiheit?

Urheberrechtsrichtlinie - Wie gerecht wird das Internet?

An der Basis der heutigen Bedürfnispyramide, so heißt es scherzhaft, stehen nicht mehr körperliche Bedürfnisse, sondern Akku und WLAN. Tatsächlich ist das Internet aus dem Leben der meisten Menschen nicht mehr wegzudenken. Die wunderbare Online-Welt hat aber ihre Schattenseiten: Hasspostings, Cybercrime, Terrorismus, Stalking, Malware, illegale Kopien von urheberrechtlich geschützten Werken und vieles mehr scheinen das weltweite Internet zu einem gefährlichen Ort zu machen.
Kein Wunder also, dass in der Europäischen Union zunehmend versucht, diesen Ort mit Gesetzen zu regulieren.

Umstrittenes Urheberrecht

Da wäre als Erstes das Urheberrecht. Seit vielen Jahren wird heftig darüber diskutiert, wie Urheber im digitalen Zeitalter vor illegalem Kopieren ihrer Werke geschützt und adäquat entgolten werden können. Mindestens ebenso lang herrscht dabei ein Ungleichgewicht zwischen den Kreativen und den Labels und Verlagen. Diese haben lange Zeit verschlafen, dass das Publikum ins Netz abgewandert ist und dort nicht mehr nur konsumiert, sondern auch selbst gestaltet – mit Schnipseln von Werken anderer. Als die Umsätze einbrachen, verlangten sie, an den Einnahmen der Online-Plattformen beteiligt zu werden. Die User fordern ein Urheberrecht, das der heutigen technischen und gesellschaftlichen Realität gerecht wird.

Herausgekommen ist nach langem zähem Ringen eine Urheberrechtsrichtlinie der EU, die für Ärger sorgt. Problem Nummer eins ist das Leistungsschutzrecht, das Presseverlagen für eine bestimmte Zeit das ausschließliche Recht einräumt, ihre Erzeugnisse öffentlich zugänglich zu machen. Das bedeutet, dass z.B. Suchmaschinen Links auf Artikel nur mehr mit „einzelnen Wörtern“ anzeigen dürfen. Das ist erstens rechtlich unklar, zweitens sind Hyperlinks ein entscheidendes Element des World Wide Web, und drittens hat das Leistungsschutzrecht in Deutschland, wo es seit 2013 existiert, nicht die erhofften Einnahmen für die Verlage gebracht. Google drohte mit dem Ausschluss deutscher Verlage und erhielt daraufhin eine kostenlose Lizenz für Google News.

Problem Nummer zwei ist Artikel 13. Demnach müssen Inhalte vor einer Veröffentlichung in sozialen Netzwerken auf Urheberrechtsverletzungen geprüft werden. Das ist de facto nur mit Uploadfiltern möglich. Diese seien schwierig zu entwickeln und teuer, sagt Bernhard Hayden, Urheberrechtsexperte der Bürgerrechtsorganisation epicenter.works: „Kleinere Plattformen müssten deshalb ihre Inhalte über die Filter großer Plattformen spielen, was zu einer zentralen Zensurinfrastruktur in Europa führen würde.“ Dazu kommt, dass Filter nicht unterscheiden können, ob ein Inhalt wirklich das Urheberrecht verletzt oder unter eine Ausnahmeregelung wie Satire, Zitat usw. fällt. Diese Ausnahmen sind noch dazu je nach EU-Mitgliedsstaat unterschiedlich. Viel sinnvoller wäre eine „notice and take down“-Lösung wie in den USA, sagt Bernhard Hayden, wo Plattformen Inhalte erst entfernen müssen, wenn sie von einer Behörde dazu aufgefordert werden.

Die Abstimmung über die Urheberrechtsrichtlinie erfolgte knapp zugunsten der umstrittenen neuen Regeln. Die nationale Rechtslage entscheiden die EU-Mitgliedsstaaten selbst, eine generell gültige Lösung wird es für das gesamte EU-Gebiet also wieder nicht geben.

Der gläserne Mensch

Das nächste Ungemach für die Telekommunikation steht schon vor der Tür: Die E-Evidence-Verordnung. Dabei handelt es sich um einen Entwurf der EU-Kommission zum grenzüberschreitenden Zugang zu Nutzerdaten. Werde ich als Österreicherin z.B. von einer ungarischen Behörde der „Beihilfe zur illegalen Migration“, also Unterstützung von Geflüchteten, verdächtigt, kann sie von meinem Mobilnetzbetreiber die Herausgabe meiner Telefonverbindungen verlangen – ohne ein österreichisches Gericht. Der Provider müsste dann selbst prüfen, ob das rechtskonform ist oder nicht. Das würde eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung bedeuten, kritisiert die ISPA – Internet Service Providers Austria. Die Auskunft müsste außerdem binnen weniger Stunden erfolgen, kleinere Provider haben aber nicht rund um die Uhr eine Rechtsabteilung zur Verfügung und könnten damit recht rasch vom Markt verdrängt werden.

Über den Sommer 2018 hat die EU-Kommission auch eine Verordnung zur Bekämpfung terroristischer Inhalte erarbeitet, obwohl die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung erst im April 2017 in Kraft getreten ist. Auch hier sollen Provider verpflichtet werden, Inhalte binnen kurzer Zeit zu entfernen, ohne dass definiert wird, was genau ein terroristischer Inhalt ist.
In Österreich sorgte zuletzt die Änderung des Militärbefugnisgesetzes für Aufregung, die dem Militär ermöglichen soll, bei „Beleidigungen“ des Bundesheeres Personenkontrollen durchzuführen und Auskunft über die Handy- und Internet-Verbindungsdaten zu verlangen. Als nächstes werden vermutlich ein Gesetzesentwurf für eine Klarnamenpflicht im Internet und weitere nationale Überwachungsinstrumente kommen, die die Grundrechte einschränken könnten, sagt der Geschäftsführer des Vereins epicenter.works. „Wir müssen in Österreich wie auch auf EU-Ebene alle Gesetze prüfen, die in Begutachtung gehen“, so Thomas Lohninger.

KMU vs. Netzgiganten

Auch die Internetnutzer, also wir alle, sollten aufmerksam sein, denn in der Mehrzahl der Fälle profitieren von neuen Internet- und Telekom-Gesetzen die Strafverfolgungsbehörden oder die großen, global agierenden Internet-Unternehmen. Dabei zahlen die nicht einmal Steuern in dem Maße, wie es kleinere Firmen müssen. Das soll nun mit einer Digitalsteuer geändert werden, nach der Facebook, Google, Apple und Co dort Steuern zahlen müssen, wo ihre Kunden leben. Auf EU-Ebene wird so etwas überlegt, die österreichische Regierung hat eine eigene, rasche Lösung angekündigt. Wie sinnvoll das ist, ob es mit bestehenden Gesetzen vereinbar ist und ob es wirken wird, ist noch offen.

Gescheiterte Rechtslage

Eines ist jedenfalls klar erkennbar: Dem einzelnen Nutzer und der Nutzerin nützen die rechtlichen Beschränkungen des Netzes oft eher wenig. Der Fall von Sigrid Maurer, die via Facebook sexistisch beschimpft wurde und nach Veröffentlichung des vermeintlichen Posters diesem eine saftige Entschädigung zahlen muss, sich aber nicht gegen die Beschimpfung wehren kann, zeigt auf, dass in Sachen Hass im Netz das Recht der Realität deutlich hinterher hinkt. Die Journalistin Ingrid Brodnig, die Bücher über Hass und Lügen im Netz geschrieben hat, regt deshalb an, von den großen Internet-Unternehmen mehr Transparenz einzufordern: „Eine frühe Utopie des Internets war, dass wir dadurch eine offenere Gesellschaft werden. Tatsächlich sind aber nur die User transparent, die Auswirkungen der Algorithmen auf die Gesellschaft nicht.“ Es müsse möglich sein, dass z.B. WissenschaftlerInnen diese untersuchen können, damit wir erfahren, warum uns bestimmte Suchergebnisse oder Postings in sozialen Netzwerken in einer bestimmten Reihung angezeigt werden. Damit die großen Plattformbetreiber nicht noch größer und mächtiger werden, bräuchte es auch eine strengere Auslegung von Wettbewerbsrecht.

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Sonja Bettel

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