Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) greifen nach wie vor ca. 80 Prozent der Weltbevölkerung in ihrer grundlegenden medizinischen Betreuung auf Pflanzen zurück. Diese sind regional verfügbar und werden ohne großen technischen Aufwand mit dem traditionellen Erfahrungswissen zu Naturheilmitteln verarbeitet.
Interessant: Nicht nur Menschen, auch Tiere nützen Naturheilmittel gegen diverse Unpässlichkeiten. Schimpansen falten bestimmte Blätter zu einer „Pille“, um sich damit von lästigen Darmparasiten zu befreien. Waldelefanten aus der Zentralafrikanischen Republik fressen regelmäßig ein Tonmineral, das ihnen – einer Kohletablette ähnlich – dabei hilft, Giftstoffe auszuscheiden. Hunde und Katzen wiederum nützen Gras als Brechmittel. Die Orang-Utans auf Borneo schmieren sich einen Brei aus Blättern auf die Arme. Sie verfolgen damit wohl einen ähnlichen Zweck wie die Menschen der Region: ihre Gelenkschmerzen zu mildern.
Naturheilmittel: Jahrtausende altes Wissen
Die Pflanzenheilkunde zählt unbestritten zu den größten Errungenschaften der menschlichen Kultur. Sie wurde auf allen Kontinenten und zu allen Zeiten parallel praktiziert. Über die Jahrtausende kam dabei ein umfassendes Wissen zusammen, wie sich anhand des indischen Ayurveda oder der Traditionellen Chinesischen Medizin TCM nachvollziehen lässt. Als eine der ältesten schriftlichen Quellen zur Heilpflanzenkunde wird oft das Buch Chen Nong Ben Cao Jing genannt, das dem legendären chinesischen Kaiser Shennong (ca. 2800 v. Chr.) zugeschrieben wird. Darin dokumentiert finden sich 365 Pflanzen mit ihrer spezifischen Heilwirkung. Doch die Pflanzenheilkunde reicht viel weiter zurück als schriftliche Quellen jemals belegen können. In der Siedlung Mehrgarh im heutigen Pakistan wurden Zähne gefunden, an denen steinzeitliche „Zahnärzte“ bereits 7.000 – 6.000 v. Chr. Behandlungen mit Pflanzenpasten durchgeführt haben sollen. Bodenanalysen von 60.000 Jahre alten Gräbern im irakischen Kurdistan deuten darauf hin, dass schon verstorbene Neandertaler auf Sträuße ausgewählter Heilkräuter gebettet wurden (auf Schafgarbe, Flockenblumen, u.a.).
„Die Natur kann von keinem belehrt werden, sie weiß immer das Richtige.“
Hippokrates (460 bis 370 v. Chr.) über Naturheilmittel
In unserem Kulturkreis brachten vor allem die Griechen berühmte kräuterkundige Ärzte hervor, von denen heute noch die Rede ist. Von Hippokrates stammt der Satz: „Die Natur kann von keinem belehrt werden, sie weiß immer das Richtige.“ Auch heute noch dient der sogenannte Äskulapstab (Äskulap = griechischer Gott der Heilkunde) als Symbol für unseren Ärzte- und Pharmazeutenstand. Von den alten Griechen ließen sich später auch die christlichen Klosterspitäler inspirieren, mit ihren Gärten voll duftender Heilkräuter. Natürlich gab es auch außerhalb der Kirche ein reiches Erfahrungswissen in Europa: Kräuterweiber, Wurzelschneider und Hebammen. Ihre Kompetenz wurde jedoch zunehmend als Konkurrenz betrachtet. Im düsteren Zeitalter der Hexenverbrennungen kam es zu einem schlimmen Bruch in der Linie der traditionellen europäischen Volksheilkunde und den Naturheilmittel.
Pflanzenmedizin heute
Mit Beginn des Industriezeitalters und durch den Siegeszug der Naturwissenschaften verlor die traditionelle Pflanzenmedizin und damit Naturheilmittel in Europa schließlich ihre Vormachtstellung. Wirksam war nun, was im Labor gemessen werden konnte. Man begann mittels chemischer Methoden einzelne Wirkstoffe aus den Pflanzen zu isolieren und synthetisch nachzubauen. Praktische standardisierte Fertigpräparate wurden immer populärer und eroberten die Märkte in Europa und den USA. Antibiotika, Impfungen, Chemotherapie und gentechnisch manipulierte Stoffe wurden als neue Waffen gegen Krankheiten aller Art ins Feld geführt. Gleichzeitig entstanden global agierende pharmazeutische Unternehmen mit Jahresumsätzen in Milliardenhöhe.
Diese Entwicklung verursacht heute Bauchschmerzen. Kritische Ärzte und Journalisten weisen auf den massiven Einfluss hin, den die Pharmaindustrie auf wichtige Gesellschaftsbereiche nimmt: auf die Ärzteausbildung, die Forschung, die Gesetzgebung und die öffentliche Meinung. Ja, die Unabhängigkeit der Wissenschaft scheint gefährdet. Laut dem Gerichtsgutachter Dr. John Abramson werden heutzutage 85 Prozent aller klinischen Studien von Unternehmen finanziert, von den einflussreichsten Studien sogar 97 Prozent.
Das Geschäft mit der Krankheit ist sehr lukrativ geworden. Früher soll ein chinesischer Arzt nur dann bezahlt worden sein, wenn der Patient gesund blieb. Wurde er trotz Behandlung krank, musste der Arzt die Kosten übernehmen. In unserer Gesellschaft ist das genaue Gegenteil der Fall: Je mehr Behandlungen und verkaufte Medikamente, umso höher wird das Bruttoinlandsprodukt. Und umso mehr verdienen die Konzerne. „Was bringt den Doktor um sein Brot? a) Die Gesundheit, b) der Tod. Drum hält der Arzt, auf dass er lebe, uns zwischen beiden in der Schwebe. (Eugen Roth)
„Alles ist Gift; allein die Dosis macht´s, ob etwas ein Gift ist oder nicht.“
Paracelsus (1493 bis 1541) über Naturheilmittel
Negativ-Kampagnen der Pharmaindustrie
Um auf den Verkaufstischen mehr Platz für eigene Produkte zu schaffen, rückte die Pharmabranche in den letzten Jahren immer wieder Naturheilmittel in ein fragwürdiges Licht. Dazu wurde einzelnen isolierten Inhaltsstoffen Schädlichkeit nachgewiesen. So ist es etwa dem Huflattich passiert ist, einem alten Naturheilmittel gegen Husten. Huflattich enthält in Spuren Pyrrolizidinalkaloide, die in großen Mengen leberschädigend wirken. 1988 entzog das deutsche Bundesgesundheitsamt über 2.500 Naturheilmitteln mit diesem Inhaltsstoff die Zulassung. Auslöser war der Tod eines Neugeborenen, dessen Mutter während der Schwangerschaft Huflattich-Tee getrunken hatte. Im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass die Mutter drogenabhängig war. Durch Tierversuche sollte die Schädlichkeit von Huflattich ebenfalls bewiesen werden: Ratten wurden mit einer enormen Menge des Krauts zwangsgefüttert. Nach Monaten entwickelten sie schließlich – wie erwartet – Lebertumore. Doch der Hausverstand weiß, dass jede Substanz schadet, wenn sie im Übermaß zu sich genommen wird. Ob es sich nun um Schokolade, Alkohol, Fertiggerichte oder Kaffee handelt. Huflattichtee wurde als Naturheilmittel von Pflanzenkundigen immer nur kurmäßig verschrieben (max. vier Wochen). Wie sagte schon Paracelsus: „Alles ist Gift; allein die Dosis macht´s, ob etwas ein Gift ist oder nicht.“ Die Panikmache bezüglich alter Naturheilmittel dient meist kommerziellen Interessen. Produkte der Pharmaindustrie erscheinen so sicherer als das, was die Natur zu bieten hat.
Ein weiterer Irrweg ist der Versuch, Patente auf alte traditionelle Naturheilmittel anzumelden, was dazu führt, dass Hausmittel plötzlich nur mehr von einer bestimmten Firma vermarktet werden dürfen. Genauso wie bei der Vielfalt des Saatgutes stellt sich hier die Frage, was zum immateriellen Erbe der ganzen Menschheit gehört. Ein Beispiel dafür ist der Schwarzkümmel, für den der Nestlé-Konzern seit 2010 Patentrechte bzgl. Lebensmittelallergien anmelden möchte. Tatsache ist jedoch, dass Schwarzkümmel als Naturheilmittel bei Verdauungsproblemen im Orient seit Jahrtausenden bekannt ist.
Komisch: Trotz des massiven Einsatzes von neuen chemischen Medikamenten scheinen die Menschen nicht gesünder zu werden. Dr. David P. Phillips von der Universität Kalifornien/San Diego wies nach der Auswertung von 50 Millionen Totenscheinen darauf hin, dass die Zahl der Todesfälle durch Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen von Medikamenten in den USA innerhalb von 21 Jahren (von 1983 bis 2004) um über 360 Prozent gestiegen ist. Die volkswirtschaftlichen Kosten für Behandlungen wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen werden für Deutschland auf 350 bis 400 Millionen Euro jährlich geschätzt.
Kein Wunder, dass der Ruf nach Naturheilmittel immer lauter wird. Sebastian Kneipp, Pfarrer Weidinger, Maria Treben, Dr. Bach und viele andere versuchten in den letzten Jahrzehnten eine Gegenbewegung einzuleiten und das Vertrauen in Naturheilmittel wieder zu stärken. Dabei gibt es einige Hürden zu nehmen: Denn obwohl manche Kräutermedizin ihre Wirksamkeit in langer Tradition deutlich macht, sind die von der Gesetzgebung geforderten Nachweise im Labor teils schwer zu erbringen.
Naturheilmittel: Mehr als Einzelkomponenten
Das liegt daran, dass in Pflanzen bzw. Naturheilmittel ein ganzer Cocktail an Inhaltsstoffen für die Heilwirkung zuständig ist und nicht eine Einzelkomponente. Viele naturwissenschaftlichen Forschungsreihen beziehen sich jedoch auf isolierte Inhaltsstoffe. Daher kommt es zu so kuriosen Situationen, dass alten und beliebten Heilpflanzen (wie Echinacea, Mistel oder Ginseng) von den zuständigen Kommissionen nur eine bescheidene medizinische Wirkung zugesprochen wird. Andere Naturheilmittel werden sogar als unwirksam abgestempelt.
Der Grund dafür ist, dass viele Naturheilmittel allgemein aufbauend und „adaptogen“ (stressanpassend) wirken. Man fühlt sich irgendwie besser – ohne dass sich das gesteigerte Lebensgefühl deswegen in Zahlen ausdrücken lassen könnte. In der traditionellen Kräuterheilkunde wird eine Pflanze als Ganzes gesehen, mit der Summe ihrer Inhaltsstoffe, die sich oft gegenseitig unterstützen und ergänzen. Manch aggressive Substanz wird von einer anderen abgepuffert, sodass sie vom Körper besser vertragen wird. Oft sind die pflanzlichen Molekülkomplexe den körpereigenen Hormonen und Enzymen sehr ähnlich. So können sie mit Leichtigkeit „einspringen“, wenn ein Stoff im Körper fehlt. Werden ganze Heilpflanzen verwendet, anstatt isolierter Wirkstoffe, leitet das im Körper oft eine nachhaltigere Heilung ein (im Gegensatz zur reinen Symptomunterdrückung).
Doch Pflanzen bzw. Naturheilmittel sind Naturstoffe, ihr Wirkstoffgehalt schwankt auf natürliche Weise je nach den Wuchsbedingungen, der Weiterverarbeitung, etc. Daher sind sie nicht so leicht zu dosieren. Vor allem nicht in einer anonymen medizinischen Versorgung, wenn der Arzt seine Patienten kaum kennt oder wenig Zeit für den einzelnen aufbringen kann.
Auf der Suche nach immer neuen Wirkstoffen werden tausende von Proben durch vollautomatisierte Testverfahren geschleust. Es besteht die Hoffnung, dass mitten im Regenwald oder in der Wüste jene Pflanze gefunden wird, aus der ein tolles Mittel gegen Aids oder Krebs produziert werden kann. Doch die meisten Proben halten im Labor nicht, was sie in ihrer Heimat versprachen. Man wundert sich: Haben sich die indigenen Medizinmänner die Heilwirkung der Naturheilmittel bloß über Generationen eingeredet? Die enge materialistische Weltsicht ist blind für die feineren Daseinsebenen, für die Kraft des Pflanzengeistes und des menschlichen Bewusstseins.
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