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Irrationales Konsumverhalten ist menschlich

Bewusster Konsum ist uns wichtig, wir kaufen aber trotzdem konventionell? Warum unser Konsumverhalten so unvernünftig ist und was es mit Moral Licencing auf sich hat.

Irrationales Konsumverhalten

Sie haben sich in der Pizzeria ums Eck wieder mal eine billige Salamipizza gegönnt, obwohl Sie doch nur mehr zu Biofleisch greifen wollten? Plagt Sie in so einem Fall schlechtes Gewissen? Muss es nicht. Alles ganz normal. Der Mensch handelt nämlich irrational. Das sagt einer, der es wissen muss, weil Irrationalität sein Beruf ist: Der Verhaltensökonom Dan Ariely.

Dass es ihm selbst schon mal passiert, dass er sich statt dem geplanten Familien-Van einen Sportflitzer zulegt, unterstreicht seine These: „Die Menschen haben weniger Kontrolle über sich selbst, als sie glauben.“ Vernunft sagt Ariely, ist nur eine Illusion. Dass das Bild des rational handelnden Konsumenten ein Mythos ist, bestätigt auch der Psychologe Hans-Georg Häusel, der sich mit der Übertragung der Erkenntnisse der Hirnforschung auf Fragen des Konsumverhaltens beschäftigt:

„Die aktuelle Hirnforschung zwingt uns zum Umdenken. Es gibt keine Entscheidungen, die nicht emotional sind.“

Hans-Georg Häusel

Irrationales Konsumverhalten: Wir sind Gewohnheitstiere

Verhaltensökonom Ariely weiß auch, was uns von der Vernunft abhält. Ganz vorn auf der Liste steht dabei die Gewohnheit. Umgelegt darauf, wie wir einkaufen, heißt das: „Haben wir einmal ein Produkt gefunden, das uns schmeckt, kaufen wir immer wieder dasselbe, ohne je wieder darüber nachzudenken.“ Reinhard Geßl, Co-Autor der Studie „Warum die Konsumenten und Konsumentinnen (kein) Bio kaufen“, weiß, wovon Ariely spricht: „Wenn wir Zeit unseres Lebens Fleisch aus Österreich gekauft und gegessen haben, dann hat dieses Fleisch geschmeckt und es hat uns nicht schlecht getan. Die Konsequenzen für die Haltungsumwelt des Tieres nehme ich als Konsument nicht wahr, weil ich sie nicht begreife. Ich muss also eine schlüssige Begründung für mich finden, warum ich es nun durch ein teures Bio-Fleisch ersetzen soll.“ Diese Rechtfertigung gelinge den meisten Leuten nicht, weil sie komplex sei. Von daher greifen viele zum Billigstpreis, mit dem sich jede Diskussion erübrigt. „Der billige Preis ist ein gutes Argument für einen Kauf.“

Irrationales Konsumverhalten: Faustregeln und Gratis-Angeboten

Dann ist da noch die Heuristik – mentale Strategien, Faustregeln oder Abkürzungen, die uns helfen, mit wenig Wissen und Zeit Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise halten Konsumenten Supermarkt-Bio häufig für das schlechtere Bio, weil ja ein Konzern mitmischt, oder bevorzugen regionale Waren, obwohl dieser Bereich völlig unreglementiert ist. Frei nach dem Motto: „Regional ist das neue Bio“. Hans-Georg Häusel, Marketing-, Verkaufs- und Management-Hirnforscher kennt die Motive dahinter: „Der Wunsch nach heimatlicher Geborgenheit ist eine tiefe Sehnsucht im Menschen. Regionale Produkte bedienen diese Sehnsucht.“ Gleichzeitig suggerierten sie Sorgfalt, Echtheit und unverdorbene Ursprünglichkeit: „Im Gegensatz zu „kalten“, industriell gefertigten Lebensmitteln, die mit minderwertigen Zutaten, Profitgier und Konzernen assoziiert werden.“ Wie die regionalen Produkte dann tatsächlich hergestellt würden, spiele hierbei keine Rolle – „Es reicht der Glaube“.

Dass Supermarkt-Bio von Konsumenten abgelehnt wird, dieses Vorurteil kennt Geßl: „Auf die Gegenfrage hin, wo sie denn ihr „besseres“ Bio kaufen, antworten sie dann mit „Gar nicht!“, weil sie nur im Supermarkt einkaufen. Diese Logik verstehe ich nicht. Wenn ich mit einem Produkt nicht zufrieden bin, dann kaufe ich doch keines, das in allen Kategorien um Potenzen schlechter ist.“ Man kaufe sich doch auch ein besseres Auto, wenn man unzufrieden sei, und nicht ein schlechteres. Ariely bestätigt diese Unlogik. In der Regel, sagt er, sei das eigene irrationale Konsumverhalten durch die Attribute größer, schneller, weiter dominiert. Sprich: „Wer einen Porsche Boxter fährt, wünscht sich oft einen 911er, wer eine kleine Wohnung besitzt, eine größere.“

Das Streben kann allerdings mit dem Verlust der Verhältnismäßigkeit einhergehen. Dann kann es passieren, dass man bei einer Rechnung über einige tausend Euro einen Aufschlag von 200 Euro locker hinnimmt und am kommenden Tag einen Gutschein einlöst, um bei einer ein-Euro-Dosensuppe 25 Cent zu sparen.

Irrationales Konsumverhalten: Beauty-Aberglauben

Am deutlichsten zeigt sich unsere Irrationalität im Beautybereich. Dort finden viele selbst Gentechnik und Stammzelltherapie spannend und sind bereit, jeden Preis dafür zu zahlen. Der Glaube macht´s auch hier, sagt Neuromarketing-Vordenker Häusel: „Wir glauben an die Astrologie, wir glauben an ein Leben nach dem Tod, und wir glauben, dass eine Creme unsere Falten killt. Die Hoffnung und damit verbunden der Glaube – es gibt ja keinen Aberglauben – ist ein wichtiger Teil der menschlichen Existenz.“ Beides seien tief emotionale Prozesse: „Während der Glaube eher Sicherheit und Geborgenheit vermittelt, verspricht die Hoffnung eine Verbesserung.“ Und wo sind sie angesiedelt? „Der Glaube ist mehr mit unserem Balance-, unserem Sicherheitssystem verbunden, die Hoffnung mehr mit unserem Belohnungs-Erwartungs-System.“

Was sagt aber die Wissenschaft dazu, die ja bekanntlich abseits jeglicher Emotionen agiert? Ökotest untersuchte zuletzt 2017 22 hochpreisige Gesichtscremes, davon zwölf konventionelle und zehn Naturkosmetik-Cremes. Während es bei letzteren nicht eine Beanstandung gab, fand sich in den konventionellen Produkten jede Menge problematischer Inhaltsstoffe wie z. B. PEG/PEG-Derivate, halogenorganische Verbindungen, bedenkliche UV-Filter oder allergisierende Duftstoffe.

Warum die Mehrzahl der Konsumenten trotzdem zu konventioneller Kosmetik greift? „Es liegt an der Tatsache, dass wir zwischen Schönheitsprodukten und unserer Gesundheit noch keinen unmittelbaren Zusammenhang sehen“, so Sophia Elmlinger, die Gründerin des veganen Frischekosmetiklabels Imiko. Kosmetika, sagt sie, betrachten wir noch als Produkte, die wir lediglich äußerlich anwenden.

Belohnungen und Moral Licencing

Verantwortlich für den Kauf oder Nichtkauf, das weiß man heute aus der Hirnforschung, sind übrigens die unbewussten Belohnungswerte von Produkten. Jetzt könnte man denken, bei grünen Käufern ist das der Umweltschutz. Stimmt aber nicht: Das stärkste Motiv ist der Wunsch nach mehr Ansehen bei anderen Menschen, wie die Rotterdam School of Management zusammen mit zwei US-Universitäten herausfand.

Doch es geht noch schlimmer: Nina Mazar und Chen-Bo Zhong von der Universität Toronto zeigten, dass Käufer, nachdem sie mit dem Bioeinkauf Pluspunkte auf ihrem „moralischen Konto“ gesammelt hatten, gar zu Egoisten mutierten. Die Probanden handelten zwar uneigennütziger, wenn sie zuvor mit Bioprodukten konfrontiert worden waren. Wenn sie sie aber nicht nur ansahen, sondern auch kauften, verhielten sie sich in darauf folgenden Testsituationen unsozialer und betrogen oder stahlen sogar häufiger. Moral Licensing heißt der Fachbegriff und er besagt: Wer in einem Lebensbereich sein moralisches Konto auflädt, sieht sich im Recht, sich in anderen Bereichen gehen zu lassen. Auch irgendwie irrational. Aber vielleicht kann man ja doch gegensteuern?

Irrationales Konsumverhalten:
Erkenntnisse aus dem Neuromarketing

  1. Rabatte sorgen für Käufe – Rabattschilder sorgen für eine deutliche Ankurbelung des Konsums. Das Belohnungszentrum wird auf Touren gebracht, während eine Region im Gehirn, die für Kontrolle zuständig ist, ihre Aktivitäten reduziert. In einem Experiment stellte man zwei gleich aussehende Wühltische mit Socken vor einen Laden. Auf dem einen gab es das Paar für drei Euro, direkt daneben kostete der angeblich ermäßigte Dreierpack 15 Euro. Trotz der einfachen Rechnung wurden vor allem die Dreier-Packs gekauft.
  2. Idealfiguren motivieren uns – Sehen wir ein Model mit Idealfigur und lächelt es uns an, aktiviert das das Belohnungszentrum, das für „Haben-Wollen“ und ein Glücksgefühl zuständig ist.
  3. Gesichter bleiben – Wer in Erinnerung bleiben will, setzt auf Gesichter, nicht mehr auf Logos. Gesichter aktivieren die Gehirn-Areale stärker, die mit Gefühlen und mit der Gedächtnisbildung in Verbindung gebracht werden.
  4. An die Marke am Beginn erinnern wir uns – Untersuchungen im Kernspintomographen belegen, dass ein Markenname am ehesten in Erinnerung bleibt, wenn er zu Beginn eines Werbespots über den Bildschirm flimmert.
  5. Das Markenimage verändert die Wahrnehmung – Ein Experiment, bei dem Probanden Coca Cola und Pepsi zu trinken gegeben wurde zeigte klar: Wussten die Testpersonen nicht, was sie gerade tranken, schmeckte dem Großteil Pepsi besser, konsumierten sie es im Wissen um die Marke, Coca Cola.

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Alexandra Binder

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