„Dass Politiker lügen oder die Wahrheit zurecht biegen, ist nichts Neues, doch nie ist es in dem heutigen Ausmaß geschehen.“
Die dreistesten Politiker-Lügen
„Ich werde euch immer die Wahrheit sagen“, Donald Trump bei einer Veranstaltung in Charlotte, South Carolina, August 2016
„Vor Präsident Obama hat es keine nennenswerten Terroranschläge auf amerikanischem Boden gegeben.“ Rudy Giuliani, Rechtsberater von Donald Trump, war während der Anschläge vom 11. September 2001 Bürgermeister von New York.
„Die zu Tausenden auf der Krim aufmarschierten Uniformierten sind keine russischen Soldaten“, Vladimir Putin im März 2014.
„Das irakische Regime besitzt und verbirgt weiterhin einige der tödlichsten Waffen, die jemals ausgedacht wurden.“ George W. Bush in seiner Rede, mit der er den Einmarsch in den Irak rechtfertigte (März 2003)
„Bei einem EU-Austritt wird es jede Woche 350 Millionen Pfund mehr für die staatliche Gesundheitskasse geben.“ Befürworter des Brexit vor dem Referendum im Juni 2016
„Der Mensch spielt keine Rolle bei der globalen Erwärmung.“ Heinz-Christian Strache in einem Interview mit dem Standard, Dezember 2018
Jänner 2019: Heinz Christian Strache verklagt Rudolf Fußi, der in einem Twitter-Posting Straches Kontakte zu rechtsextremen Identitären thematisiert. Während Strache in der Klage noch behauptet, das Foto, das ihn mit Identitären zeigt, sei eine Fälschung, nimmt er diesen Vorwurf später zurück.
„Die gesammelten Lügen des Heinz-Christian Strache“ nennt sich eine Aufzählung der nachweisbaren Unwahrheiten des Vizekanzlers seit August 2015 auf der Website medium.com. 165 Lügen wurden bereits dokumentiert, darunter zum Migrationspakt oder zu nicht statt gefundenen Krawallen auf Demos. Auch Parteikollege Herbert Kickl versteht es, die Wahrheit zu verdrehen. So erklärte der Innenminister im Zuge des BVT-Skandals, dass „sich bei den Hausdurchsuchungen immer an die Rechtsstaatlichkeit gehalten wurde und die Polizeieinheit absolut korrekt vorgegangen sei.“ Wahr ist vielmehr: Die Hausdurchsuchungen waren rechtswidrig.
Rücktritt beruht auf Freiwilligkeit
Dass Politiker lügen oder die Wahrheit zurecht biegen, ist nichts Neues, doch nie ist es in dem heutigen Ausmaß geschehen. Und noch nie ist im Laufe der Zweiten Republik ein Politiker nach einer Lüge zurück getreten. „Es gibt im Verfassungsrecht keine Pflicht für Politiker, bei einer nachgewiesenen Lüge zurück zu treten“, erklärt der Verfassungsjurist Bernd Wieser, Vorstand des Instituts für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft an der Universität Graz. „Ein möglicher Rücktritt beruht ausschließlich auf Freiwilligkeit.“ Beispiele von angekündigten Rücktritten, die nie stattgefunden haben, gäbe es laut Wieser in der Geschichte Österreichs genug, allen voran Bruno Kreisky.
Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz nimmt es nicht so genau mit der Wahrheit: Im Zusammenhang mit den E-Cards spricht er von einem „unfassbaren Missbrauch“ bei der Krankenversicherung und setzt es durch, dass es künftig nur noch E-Cards mit Fotos geben wird. Statt Einsparungen bringt das jedoch nach Berechnungen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger einen Verlust von 18 Millionen Euro. Der von Kurz behauptete Schaden von 200 Millionen Euro macht demnach nicht einmal 15.000 Euro aus.
Auch bei anderen Themen fällt der Kanzler vor allem mit Schweigen und Unwahrheiten auf. Darunter die Behauptung, dass bei der Mindestsicherung Neu Österreicher keine Einbuße bei den Leistungen zu befürchten hätten. Tatsache ist jedoch, dass vor allem kinderreiche Familien von der Kürzung der Mindestsicherung betroffen sind.
Fake News und Desinformation
Rechtspopulistische Politiker wie Heinz Christian Strache oder Donald Trump drehen indes den Spieß gerne um und bezeichnen Journalisten als Lügner. Im Februar 2019 postet Strache ein Foto von ORF-Moderator Armin Wolf mit dem Text „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF.“ US-Präsident Trump steht mit liberalen Medien auf Kriegsfuß und hat mit Fox News praktischerweise ein Medium an seiner Seite, das Nachrichten in seinem Sinn veröffentlicht.
Fake News – diesen Begriff hat US-Präsident Donald Trump geprägt wie kein anderer. Er versteht es, mit Vorwürfen gegen kritische Medien von eigenen Unwahrheiten abzulenken. Und derer gibt es viele, wie die Washington Post anlässlich des 700. Amtstages des US-Präsidenten im Dezember 2018 aufzeigte: 7.546 Trump-Aussagen waren nach Zählung der Zeitung bis dahin falsch oder zumindest irreführend gewesen.
Noch komplizierter wird es, wenn nicht die Politiker selbst, sondern Sympathisanten Falschmeldungen über Dienste wie whatsapp oder facebook verbreiten. So wurden in der Endphase des US-Wahlkampfes 2016 die 20 erfolgreichsten Falschmeldungen öfter geteilt, gelikt und kommentiert als die 20 erfolgreichsten Berichte seriöser Medien. Zahlreiche Medien berichteten über den Verdacht, einflussreiche brasilianische Konzerne hätten über Whatsapp Falschmeldungen zugunsten des später gewählten, rechtsradikalen Präsidenten Jair Bolsonaro verbreitet.
Politiker-Lügen mit Tradition
In einer Rede anlässlich des 100. Geburtstages von Nelson Mandela im Juli 2018 ging der ehemalige US-Präsident Barack Obama auf das Wahrheitsverständnis heutiger Politiker ein: „Politiker haben auch früher hin und wieder gelogen. Damals haben sie sich zumindest geschämt, wenn sie erwischt wurden“, so Obama. „Jetzt lügen sie einfach weiter.“
Für den Autor und Philosophen Niccolò Machiavelli waren Lüge, Verstellung und Heuchelei legitime Mittel im politischen Kampf, der starke Staat entscheide gegenüber dem schwachen, was Lüge sei und was nicht. Hannah Arendt schreibt in ihrem Essay „Wahrheit und Politik“, über das, was wahr ist, könne nicht die Politik bestimmen. „Der Beruf eines Politikers ist nicht das Beschreiben von Wirklichkeit, sondern ihre Veränderung.“ Die Wahrheit herauszufinden sei Aufgabe der Philosophen, Wissenschaftler, Richter und Journalisten.
Und tatsächlich hat das Flunkern unter Staatsmännern Tradition: Bereits im Mittelalter wurde oft in Form gefälschter Urkunden die Wahrheit unterschlagen. So schuf eine von Herzog Rudolf IV. in Auftrag gegebene Fälschung im 14. Jahrhundert die Grundlage für den Aufstieg der Habsburger: In der Urkunde Privilegium maius beriefen sich die Habsburger auf angeblich seit Jahrhunderten bestehende Rechte. Diktaturen wie im Nationalsozialismus oder Kommunismus gründeten ihre gesamte Berechtigung auf Lügen. Doch erst mit dem Internet und dem Aufschwung von Social Media konnten politische Lügen große Verbreitung finden. Im Englischen gibt es dafür den Ausdruck post-truth politics. Beispiel: Für FPÖ- (und zunehmend auch ÖVP-) Wähler ist es gefühlt wahr, dass seit der großen Flüchtlingsbewegung 2015 die Kriminalität gestiegen ist – auch wenn Statistiken ein anderes Bild zeichnen. Das nutzen Politiker aus, um auf der Klaviatur der Angst zu spielen.
Oder: Obwohl 99 Prozent der Studien zeigen, dass der Klimawandel durch Menschen verursacht wurde, wird immer wieder Zweifel daran laut. Das passiert immer dann, wenn Tatsachen das eigene Weltbild bedrohen. Wenn es also unangenehm wäre, sich mit Fakten auseinander zu setzen, flüchten sich viele lieber in Theorien, die beim Verdrängen helfen. So gesehen ist es nicht erstaunlich, dass Politiker, die lügen, dennoch Zuspruch von ihren Anhängern erhalten. Dass etwa Trumps oder Straches Unwahrheiten regelmäßig aufgedeckt werden, schadet ihrer Beliebtheit nicht – im Gegenteil.
Interview mit Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle
Warum ist es in Ordnung, dass Politiker lügen?
Kathrin Stainer-Hämmerle: Man muss von der Meinungsfreiheit ausgehen, die natürlich für alle Menschen gilt. Das heißt, Politiker dürfen alles tun, was auch andere Bürger dürfen, solange es nicht strafrechtlich relevant ist.
Und weshalb nehmen Parteien lügende Mitglieder in Schutz?
Stainer-Hämmerle: Parteien sind pragmatisch, sie tun das, was ihnen ins Konzept passt und Wählerstimmen bringt.
Wo bleibt da die Moral?
Stainer-Hämmerle: Natürlich sollte man bei Politikern ein gewisses moralisches und ethisches Verständnis voraussetzen, leider ist das nicht immer gegeben.
Welche Rolle spielen die Wähler?
Stainer-Hämmerle: Oft fallen Anhänger von Politikern auf Wahlversprechen herein, die mit ein wenig kritischem Hinterfragen als nicht einlösbar erkennbar wären. Hier müssten die Wähler mehr Verantwortung übernehmen, kritischer sein und auch mehr Druck bei unangemessenem Verhalten machen.
Wie könnte man Wähler dahingehend schulen?
Stainer-Hämmerle: Das wäre eigentlich Aufgabe der politischen Bildung, aber natürlich ist auch eine grundlegende Bildung Voraussetzung für kritisches Hinterfragen.
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